Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. III. Entstehung und Untergang.
satzes: der Zwang schließt nicht die Freiheit aus, so daß neben ihm die Willenserklärung dennoch besteht und wirkt. Ihre natürlichen Folgen aber werden durch eine positive Gegenwirkung gehemmt, deren Grund in der Unsittlichkeit liegt, wodurch der Zwang das Rechtsgebiet stört.
In dieser Verbindung aber tritt die Wahrheit der Grundregel, daß der Zwang die Freyheit nicht ausschließt, noch deutlicher hervor. Erstlich wegen der nöthig gefun- denen positiven Gegenanstalten. Wenn ein Unmündiger oder ein Wahnsinniger solche Worte ausspricht, wodurch ein Handlungsfähiger, welcher sie ausspräche, verpflichtet werden würde, so wird nicht daran gedacht, ihm dagegen einen künstlichen Schutz zu bereiten, z. B. durch eine Ex- ception gegen die Contractsklage des Gegners; es ist ju- ristisch gar Nichts geschehen, das ist genug. Ganz so müßte es auch seyn bey Demjenigen, welcher durch Dro- hungen zu einer Willenserklärung bestimmt wird, wenn wirklich der Zwang die Willensfreyheit ausschlösse; da es hier nicht so ist, so muß wohl Freyheit als vorhanden vorausgesetzt seyn. -- Zweytens, wenn die Freyheit durch Furcht ausgeschlossen würde, so müßte es ganz gleichgül- tig seyn, ob diese Furcht durch das bloße Denken des Fürchtenden allein, oder durch fremde Drohung entstanden wäre, da in beiden Fällen der Seelenzustand des Fürch- tenden derselbe ist. Da nun aber jener Rechtsschutz nie der bloßen Furcht allein, sondern lediglich der durch Dro- hung erzeugten Furcht gewährt wird, so muß der Grund
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ſatzes: der Zwang ſchließt nicht die Freiheit aus, ſo daß neben ihm die Willenserklärung dennoch beſteht und wirkt. Ihre natürlichen Folgen aber werden durch eine poſitive Gegenwirkung gehemmt, deren Grund in der Unſittlichkeit liegt, wodurch der Zwang das Rechtsgebiet ſtört.
In dieſer Verbindung aber tritt die Wahrheit der Grundregel, daß der Zwang die Freyheit nicht ausſchließt, noch deutlicher hervor. Erſtlich wegen der nöthig gefun- denen poſitiven Gegenanſtalten. Wenn ein Unmündiger oder ein Wahnſinniger ſolche Worte ausſpricht, wodurch ein Handlungsfähiger, welcher ſie ausſpräche, verpflichtet werden würde, ſo wird nicht daran gedacht, ihm dagegen einen künſtlichen Schutz zu bereiten, z. B. durch eine Ex- ception gegen die Contractsklage des Gegners; es iſt ju- riſtiſch gar Nichts geſchehen, das iſt genug. Ganz ſo müßte es auch ſeyn bey Demjenigen, welcher durch Dro- hungen zu einer Willenserklärung beſtimmt wird, wenn wirklich der Zwang die Willensfreyheit ausſchlöſſe; da es hier nicht ſo iſt, ſo muß wohl Freyheit als vorhanden vorausgeſetzt ſeyn. — Zweytens, wenn die Freyheit durch Furcht ausgeſchloſſen würde, ſo müßte es ganz gleichgül- tig ſeyn, ob dieſe Furcht durch das bloße Denken des Fürchtenden allein, oder durch fremde Drohung entſtanden wäre, da in beiden Fällen der Seelenzuſtand des Fürch- tenden derſelbe iſt. Da nun aber jener Rechtsſchutz nie der bloßen Furcht allein, ſondern lediglich der durch Dro- hung erzeugten Furcht gewährt wird, ſo muß der Grund
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ſatzes: der Zwang ſchließt nicht die Freiheit aus, ſo daß
neben ihm die Willenserklärung dennoch beſteht und wirkt.
Ihre natürlichen Folgen aber werden durch eine poſitive
Gegenwirkung gehemmt, deren Grund in der Unſittlichkeit
liegt, wodurch der Zwang das Rechtsgebiet ſtört.
In dieſer Verbindung aber tritt die Wahrheit der
Grundregel, daß der Zwang die Freyheit nicht ausſchließt,
noch deutlicher hervor. Erſtlich wegen der nöthig gefun-
denen poſitiven Gegenanſtalten. Wenn ein Unmündiger
oder ein Wahnſinniger ſolche Worte ausſpricht, wodurch
ein Handlungsfähiger, welcher ſie ausſpräche, verpflichtet
werden würde, ſo wird nicht daran gedacht, ihm dagegen
einen künſtlichen Schutz zu bereiten, z. B. durch eine Ex-
ception gegen die Contractsklage des Gegners; es iſt ju-
riſtiſch gar Nichts geſchehen, das iſt genug. Ganz ſo
müßte es auch ſeyn bey Demjenigen, welcher durch Dro-
hungen zu einer Willenserklärung beſtimmt wird, wenn
wirklich der Zwang die Willensfreyheit ausſchlöſſe; da es
hier nicht ſo iſt, ſo muß wohl Freyheit als vorhanden
vorausgeſetzt ſeyn. — Zweytens, wenn die Freyheit durch
Furcht ausgeſchloſſen würde, ſo müßte es ganz gleichgül-
tig ſeyn, ob dieſe Furcht durch das bloße Denken des
Fürchtenden allein, oder durch fremde Drohung entſtanden
wäre, da in beiden Fällen der Seelenzuſtand des Fürch-
tenden derſelbe iſt. Da nun aber jener Rechtsſchutz nie
der bloßen Furcht allein, ſondern lediglich der durch Dro-
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/120>, abgerufen am 25.11.2024.
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