nur freye Handlungen sind, sondern in welchen zugleich der Wille des Handelnden auf die Entstehung oder Auf- lösung eines Rechtsverhältnisses unmittelbar gerichtet ist (§ 104).
Drey Momente derselben sind hier einzeln zu erwägen: der Wille selbst, die Erklärung des Willens, und die Übereinstimmung des Willens mit der Erklärung.
Der Wille selbst bedarf nach zwey Seiten hin einer genaueren Bestimmung:
1) Das Daseyn desselben kann zweifelhaft werden durch entgegen wirkende Thatsachen, deren Einfluß unter- sucht und festgestellt werden muß. Diese Thatsachen sind: Zwang und Irrthum.
2) Der Umfang des Willens kann modificirt werden durch Beschränkungen, die er sich selbst giebt. Diese mög- liche Selbstbeschränkungen sind: Bedingung, Zeit, Modus.
Das Daseyn des Willens scheint durch Zwang und Irrthum ausgeschlossen zu werden nach folgender Betrach- tung. Zwang ist der Gegensatz der Freyheit. Wenn also Zwang als Beweggrund auf den Willen eingewirkt hat, so ist kein freyer, also kein wirklicher Wille vorhanden, sondern nur der Schein des Willens. -- Wenn ferner ein Irrthum als Beweggrund auf den Willen einwirkt, so ist der Wollende ohne wahres (mit der Wirklichkeit überein- stimmendes) Bewußtseyn, folglich eben so wenig einer wirk-
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§. 114. Zwang und Irrthum.
nur freye Handlungen ſind, ſondern in welchen zugleich der Wille des Handelnden auf die Entſtehung oder Auf- löſung eines Rechtsverhältniſſes unmittelbar gerichtet iſt (§ 104).
Drey Momente derſelben ſind hier einzeln zu erwägen: der Wille ſelbſt, die Erklärung des Willens, und die Übereinſtimmung des Willens mit der Erklärung.
Der Wille ſelbſt bedarf nach zwey Seiten hin einer genaueren Beſtimmung:
1) Das Daſeyn deſſelben kann zweifelhaft werden durch entgegen wirkende Thatſachen, deren Einfluß unter- ſucht und feſtgeſtellt werden muß. Dieſe Thatſachen ſind: Zwang und Irrthum.
2) Der Umfang des Willens kann modificirt werden durch Beſchränkungen, die er ſich ſelbſt giebt. Dieſe mög- liche Selbſtbeſchränkungen ſind: Bedingung, Zeit, Modus.
Das Daſeyn des Willens ſcheint durch Zwang und Irrthum ausgeſchloſſen zu werden nach folgender Betrach- tung. Zwang iſt der Gegenſatz der Freyheit. Wenn alſo Zwang als Beweggrund auf den Willen eingewirkt hat, ſo iſt kein freyer, alſo kein wirklicher Wille vorhanden, ſondern nur der Schein des Willens. — Wenn ferner ein Irrthum als Beweggrund auf den Willen einwirkt, ſo iſt der Wollende ohne wahres (mit der Wirklichkeit überein- ſtimmendes) Bewußtſeyn, folglich eben ſo wenig einer wirk-
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§. 114. Zwang und Irrthum.
nur freye Handlungen ſind, ſondern in welchen zugleich
der Wille des Handelnden auf die Entſtehung oder Auf-
löſung eines Rechtsverhältniſſes unmittelbar gerichtet iſt
(§ 104).
Drey Momente derſelben ſind hier einzeln zu erwägen:
der Wille ſelbſt, die Erklärung des Willens, und die
Übereinſtimmung des Willens mit der Erklärung.
Der Wille ſelbſt bedarf nach zwey Seiten hin einer
genaueren Beſtimmung:
1) Das Daſeyn deſſelben kann zweifelhaft werden
durch entgegen wirkende Thatſachen, deren Einfluß unter-
ſucht und feſtgeſtellt werden muß. Dieſe Thatſachen ſind:
Zwang und Irrthum.
2) Der Umfang des Willens kann modificirt werden
durch Beſchränkungen, die er ſich ſelbſt giebt. Dieſe mög-
liche Selbſtbeſchränkungen ſind: Bedingung, Zeit, Modus.
Das Daſeyn des Willens ſcheint durch Zwang und
Irrthum ausgeſchloſſen zu werden nach folgender Betrach-
tung. Zwang iſt der Gegenſatz der Freyheit. Wenn alſo
Zwang als Beweggrund auf den Willen eingewirkt hat,
ſo iſt kein freyer, alſo kein wirklicher Wille vorhanden,
ſondern nur der Schein des Willens. — Wenn ferner ein
Irrthum als Beweggrund auf den Willen einwirkt, ſo iſt
der Wollende ohne wahres (mit der Wirklichkeit überein-
ſtimmendes) Bewußtſeyn, folglich eben ſo wenig einer wirk-
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/111>, abgerufen am 24.11.2024.
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