Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 65. Einschränkung der Rechtsfähigkeit. I. Unfreyheit.
denn da die Geschäfte des täglichen Verkehrs großentheils
von Sklaven besorgt wurden, die dabey oft selbständig
auftraten, so kam man sehr natürlich darauf, die Strenge
des alten Grundsatzes in dieser Hinsicht einzuschränken.
Dabey ist jedoch zuerst eine Gränze der Möglichkeit sol-
cher Modificationen zu erwägen. Während des Sklaven-
standes war eine civilis obligatio für den Sklaven ganz
unmöglich, weil derselbe niemals, weder als Kläger, noch
als Beklagter, vor Gericht stehen konnte: eine naturalis
obligatio
war schon jetzt an sich nicht unmöglich. Nach
der Freylassung waren civiles und naturales obligationes
für den Sklaven denkbar, als Nachwirkungen der noch
im Sklavenstand vorgenommenen Handlungen. Die wirk-
lichen Regeln aber waren folgende:

I. Forderungen erwerben konnte der Sklave in der
Regel gar nicht, weil er Alles dem Herrn erwerben mußte
und wirklich erwarb, so daß für ihn selbst kein möglicher
Fall übrig blieb, in welchem er hätte Gläubiger werden
können. Dieser Grund aber führte consequenterweise auf
die Ausnahme, wenn der Herr selbst Schuldner seines
Sklaven werden wollte: nun entstand in Wahrheit eine
obligatio, aber diese war nur naturalis. Folgerecht müs-
sen wir dasselbe für die Fälle annehmen, wenn der Sklave
herrenlos war.

II. Schulden konnte der Sklave haben ohne Rück-
sicht auf das bey den Forderungen erwähnte Hinderniß,
weil er seinem Herrn zwar unbedingt Rechte erwerben,

3*

§. 65. Einſchränkung der Rechtsfähigkeit. I. Unfreyheit.
denn da die Geſchäfte des täglichen Verkehrs großentheils
von Sklaven beſorgt wurden, die dabey oft ſelbſtändig
auftraten, ſo kam man ſehr natürlich darauf, die Strenge
des alten Grundſatzes in dieſer Hinſicht einzuſchränken.
Dabey iſt jedoch zuerſt eine Gränze der Möglichkeit ſol-
cher Modificationen zu erwägen. Während des Sklaven-
ſtandes war eine civilis obligatio für den Sklaven ganz
unmoͤglich, weil derſelbe niemals, weder als Kläger, noch
als Beklagter, vor Gericht ſtehen konnte: eine naturalis
obligatio
war ſchon jetzt an ſich nicht unmöglich. Nach
der Freylaſſung waren civiles und naturales obligationes
für den Sklaven denkbar, als Nachwirkungen der noch
im Sklavenſtand vorgenommenen Handlungen. Die wirk-
lichen Regeln aber waren folgende:

I. Forderungen erwerben konnte der Sklave in der
Regel gar nicht, weil er Alles dem Herrn erwerben mußte
und wirklich erwarb, ſo daß für ihn ſelbſt kein möglicher
Fall übrig blieb, in welchem er hätte Gläubiger werden
koͤnnen. Dieſer Grund aber führte conſequenterweiſe auf
die Ausnahme, wenn der Herr ſelbſt Schuldner ſeines
Sklaven werden wollte: nun entſtand in Wahrheit eine
obligatio, aber dieſe war nur naturalis. Folgerecht müſ-
ſen wir daſſelbe für die Fälle annehmen, wenn der Sklave
herrenlos war.

II. Schulden konnte der Sklave haben ohne Rück-
ſicht auf das bey den Forderungen erwähnte Hinderniß,
weil er ſeinem Herrn zwar unbedingt Rechte erwerben,

3*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0049" n="35"/><fw place="top" type="header">§. 65. Ein&#x017F;chränkung der Rechtsfähigkeit. <hi rendition="#aq">I.</hi> Unfreyheit.</fw><lb/>
denn da die Ge&#x017F;chäfte des täglichen Verkehrs großentheils<lb/>
von Sklaven be&#x017F;orgt wurden, die dabey oft &#x017F;elb&#x017F;tändig<lb/>
auftraten, &#x017F;o kam man &#x017F;ehr natürlich darauf, die Strenge<lb/>
des alten Grund&#x017F;atzes in die&#x017F;er Hin&#x017F;icht einzu&#x017F;chränken.<lb/>
Dabey i&#x017F;t jedoch zuer&#x017F;t eine Gränze der Möglichkeit &#x017F;ol-<lb/>
cher Modificationen zu erwägen. Während des Sklaven-<lb/>
&#x017F;tandes war eine <hi rendition="#aq">civilis obligatio</hi> für den Sklaven ganz<lb/>
unmo&#x0364;glich, weil der&#x017F;elbe niemals, weder als Kläger, noch<lb/>
als Beklagter, vor Gericht &#x017F;tehen konnte: eine <hi rendition="#aq">naturalis<lb/>
obligatio</hi> war &#x017F;chon jetzt an &#x017F;ich nicht unmöglich. Nach<lb/>
der Freyla&#x017F;&#x017F;ung waren <hi rendition="#aq">civiles</hi> und <hi rendition="#aq">naturales obligationes</hi><lb/>
für den Sklaven denkbar, als Nachwirkungen der noch<lb/>
im Sklaven&#x017F;tand vorgenommenen Handlungen. Die wirk-<lb/>
lichen Regeln aber waren folgende:</p><lb/>
          <p><hi rendition="#aq">I.</hi><hi rendition="#g">Forderungen</hi> erwerben konnte der Sklave in der<lb/>
Regel gar nicht, weil er Alles dem Herrn erwerben mußte<lb/>
und wirklich erwarb, &#x017F;o daß für ihn &#x017F;elb&#x017F;t kein möglicher<lb/>
Fall übrig blieb, in welchem er hätte Gläubiger werden<lb/>
ko&#x0364;nnen. Die&#x017F;er Grund aber führte con&#x017F;equenterwei&#x017F;e auf<lb/>
die Ausnahme, wenn der Herr &#x017F;elb&#x017F;t Schuldner &#x017F;eines<lb/>
Sklaven werden wollte: nun ent&#x017F;tand in Wahrheit eine<lb/><hi rendition="#aq">obligatio,</hi> aber die&#x017F;e war nur <hi rendition="#aq">naturalis.</hi> Folgerecht mü&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en wir da&#x017F;&#x017F;elbe für die Fälle annehmen, wenn der Sklave<lb/>
herrenlos war.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#aq">II.</hi><hi rendition="#g">Schulden</hi> konnte der Sklave haben ohne Rück-<lb/>
&#x017F;icht auf das bey den Forderungen erwähnte Hinderniß,<lb/>
weil er &#x017F;einem Herrn zwar unbedingt Rechte erwerben,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">3*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[35/0049] §. 65. Einſchränkung der Rechtsfähigkeit. I. Unfreyheit. denn da die Geſchäfte des täglichen Verkehrs großentheils von Sklaven beſorgt wurden, die dabey oft ſelbſtändig auftraten, ſo kam man ſehr natürlich darauf, die Strenge des alten Grundſatzes in dieſer Hinſicht einzuſchränken. Dabey iſt jedoch zuerſt eine Gränze der Möglichkeit ſol- cher Modificationen zu erwägen. Während des Sklaven- ſtandes war eine civilis obligatio für den Sklaven ganz unmoͤglich, weil derſelbe niemals, weder als Kläger, noch als Beklagter, vor Gericht ſtehen konnte: eine naturalis obligatio war ſchon jetzt an ſich nicht unmöglich. Nach der Freylaſſung waren civiles und naturales obligationes für den Sklaven denkbar, als Nachwirkungen der noch im Sklavenſtand vorgenommenen Handlungen. Die wirk- lichen Regeln aber waren folgende: I. Forderungen erwerben konnte der Sklave in der Regel gar nicht, weil er Alles dem Herrn erwerben mußte und wirklich erwarb, ſo daß für ihn ſelbſt kein möglicher Fall übrig blieb, in welchem er hätte Gläubiger werden koͤnnen. Dieſer Grund aber führte conſequenterweiſe auf die Ausnahme, wenn der Herr ſelbſt Schuldner ſeines Sklaven werden wollte: nun entſtand in Wahrheit eine obligatio, aber dieſe war nur naturalis. Folgerecht müſ- ſen wir daſſelbe für die Fälle annehmen, wenn der Sklave herrenlos war. II. Schulden konnte der Sklave haben ohne Rück- ſicht auf das bey den Forderungen erwähnte Hinderniß, weil er ſeinem Herrn zwar unbedingt Rechte erwerben, 3*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/49
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/49>, abgerufen am 19.04.2024.