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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.

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§. 64. Einschränkung der Rechtsfähigkeit. Einleitung.
übel verstandenen Lehre von der Rechtsfähigkeit, sind in
den neueren Rechtssystemen verbreiteter und befestigter, als
man glauben sollte; ja sie sind selbst bis in neuere Ge-
setzgebungen eingedrungen. Wie anders können wir uns
nun von der Herrschaft dieser verwirrenden Irrthümer
befreyen, als indem wir eigene, gründliche Forschung an
die Stelle der zu wenig geprüften Überlieferungen setzen?
Hierin also liegt der zweyte Grund, der uns eine genaue
Feststellung jener alten Lehre des Römischen Rechts un-
entbehrlich macht.

Um den eben erwähnten unkritischen Einflüssen zu ent-
gehen, will ich einstweilen von der bisher üblichen Be-
handlung dieses Gegenstandes ganz absehen, auch sogar
alle Kunstausdrücke, ächte oder unächte, vermeiden, und
zunächst die reinen Rechtsregeln aufstellen, wie wir sie in
unsren Quellen angegeben finden; dann erst wird es mög-
lich seyn, auch die Kunstausdrücke kritisch festzustellen. Die
Neueren bezeichnen sehr allgemein die oben angegebenen
drey Unterschiede der Menschen mit den Kunstausdrücken
status libertatis, civitatis, familiae; was daran wahr oder
falsch ist, wird sich erst klar machen lassen, nachdem die
Begriffe und Rechtsregeln selbst außer Zweifel gesetzt seyn
werden. Ferner steht mit jenen drey Unterschieden in un-
verkennbarer Beziehung eine dreyfache Capitis deminutio,
die von den alten Juristen in so vielen Stellen ganz gleich-
förmig erwähnt wird, daß wir darin uralte Rechtsbe-
griffe und Kunstausdrücke nicht bezweifeln dürfen. Aber

§. 64. Einſchränkung der Rechtsfähigkeit. Einleitung.
uͤbel verſtandenen Lehre von der Rechtsfähigkeit, ſind in
den neueren Rechtsſyſtemen verbreiteter und befeſtigter, als
man glauben ſollte; ja ſie ſind ſelbſt bis in neuere Ge-
ſetzgebungen eingedrungen. Wie anders koͤnnen wir uns
nun von der Herrſchaft dieſer verwirrenden Irrthümer
befreyen, als indem wir eigene, gründliche Forſchung an
die Stelle der zu wenig geprüften Überlieferungen ſetzen?
Hierin alſo liegt der zweyte Grund, der uns eine genaue
Feſtſtellung jener alten Lehre des Römiſchen Rechts un-
entbehrlich macht.

Um den eben erwähnten unkritiſchen Einflüſſen zu ent-
gehen, will ich einſtweilen von der bisher üblichen Be-
handlung dieſes Gegenſtandes ganz abſehen, auch ſogar
alle Kunſtausdrücke, ächte oder unächte, vermeiden, und
zunächſt die reinen Rechtsregeln aufſtellen, wie wir ſie in
unſren Quellen angegeben finden; dann erſt wird es mög-
lich ſeyn, auch die Kunſtausdrücke kritiſch feſtzuſtellen. Die
Neueren bezeichnen ſehr allgemein die oben angegebenen
drey Unterſchiede der Menſchen mit den Kunſtausdrücken
status libertatis, civitatis, familiae; was daran wahr oder
falſch iſt, wird ſich erſt klar machen laſſen, nachdem die
Begriffe und Rechtsregeln ſelbſt außer Zweifel geſetzt ſeyn
werden. Ferner ſteht mit jenen drey Unterſchieden in un-
verkennbarer Beziehung eine dreyfache Capitis deminutio,
die von den alten Juriſten in ſo vielen Stellen ganz gleich-
förmig erwähnt wird, daß wir darin uralte Rechtsbe-
griffe und Kunſtausdrücke nicht bezweifeln dürfen. Aber

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[25/0039] §. 64. Einſchränkung der Rechtsfähigkeit. Einleitung. uͤbel verſtandenen Lehre von der Rechtsfähigkeit, ſind in den neueren Rechtsſyſtemen verbreiteter und befeſtigter, als man glauben ſollte; ja ſie ſind ſelbſt bis in neuere Ge- ſetzgebungen eingedrungen. Wie anders koͤnnen wir uns nun von der Herrſchaft dieſer verwirrenden Irrthümer befreyen, als indem wir eigene, gründliche Forſchung an die Stelle der zu wenig geprüften Überlieferungen ſetzen? Hierin alſo liegt der zweyte Grund, der uns eine genaue Feſtſtellung jener alten Lehre des Römiſchen Rechts un- entbehrlich macht. Um den eben erwähnten unkritiſchen Einflüſſen zu ent- gehen, will ich einſtweilen von der bisher üblichen Be- handlung dieſes Gegenſtandes ganz abſehen, auch ſogar alle Kunſtausdrücke, ächte oder unächte, vermeiden, und zunächſt die reinen Rechtsregeln aufſtellen, wie wir ſie in unſren Quellen angegeben finden; dann erſt wird es mög- lich ſeyn, auch die Kunſtausdrücke kritiſch feſtzuſtellen. Die Neueren bezeichnen ſehr allgemein die oben angegebenen drey Unterſchiede der Menſchen mit den Kunſtausdrücken status libertatis, civitatis, familiae; was daran wahr oder falſch iſt, wird ſich erſt klar machen laſſen, nachdem die Begriffe und Rechtsregeln ſelbſt außer Zweifel geſetzt ſeyn werden. Ferner ſteht mit jenen drey Unterſchieden in un- verkennbarer Beziehung eine dreyfache Capitis deminutio, die von den alten Juriſten in ſo vielen Stellen ganz gleich- förmig erwähnt wird, daß wir darin uralte Rechtsbe- griffe und Kunſtausdrücke nicht bezweifeln dürfen. Aber

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/39>, abgerufen am 28.03.2024.