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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. II. Personen.
§. 62.
Gränzen der natürlichen Rechtsfähigkeit. I. Anfang.
(Fortsetzung).

Der natürliche Anfang der Rechtsfähigkeit ist bestimmt
worden auf den Zeitpunkt der vollendeten Geburt. Die-
sem aber geht vorher ein nicht unbeträchtlicher Zeitraum,
in welchem das Kind auch schon Leben hat, aber kein
selbständiges, sondern ein abhängiges, mit dem Leben der
Mutter eng verbundenes. Welches ist die wahre juristi-
sche Betrachtungsweise für dieses vorbereitende Leben?

Mehrere Stellen des Römischen Rechts sagen ganz
bestimmt, in diesem Zustand sey das Kind noch nicht
Mensch, es habe kein Daseyn für sich, sondern sey nur
als Theil des mütterlichen Leibes zu betrachten (a). An-
dere Stellen dagegen setzen ein solches Kind dem schon
gebornen gleich (b). Die genauere Bestimmung dieses letz-
ten Satzes wird zugleich den Schein eines Widerspruches
entfernen, der durch den Ausdruck beider erwähnten Re-
geln entsteht.


(a) L. 9 § 1 ad L. Falc. (35.
2.) ".. partus nondum editus
homo non recte fuisse dicitur."
-- L. 1 § 1 de inspic. ventre
(25. 4): ".. partus enim, an-
tequam edatur, mulieris portio
est, vel viscerum."
(b) L. 26 de statu hom. (1.5.).
"Qui in utero sunt, in toto
pene jure civili intelliguntur in
rerum natura esse." -- L. 231
de V. S. (50. 16.): "Quod dici-
mus, eum, qui nasci speratur,
pro superstite esse,
tunc verum
est, cum de ipsius jure quae-
ritur: aliis autem non prodest
nisi natus."
-- Die Neueren drü-
cken das so aus: Nasciturus ha-
betur pro nato.
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. II. Perſonen.
§. 62.
Gränzen der natürlichen Rechtsfähigkeit. I. Anfang.
(Fortſetzung).

Der natürliche Anfang der Rechtsfähigkeit iſt beſtimmt
worden auf den Zeitpunkt der vollendeten Geburt. Die-
ſem aber geht vorher ein nicht unbeträchtlicher Zeitraum,
in welchem das Kind auch ſchon Leben hat, aber kein
ſelbſtändiges, ſondern ein abhängiges, mit dem Leben der
Mutter eng verbundenes. Welches iſt die wahre juriſti-
ſche Betrachtungsweiſe für dieſes vorbereitende Leben?

Mehrere Stellen des Römiſchen Rechts ſagen ganz
beſtimmt, in dieſem Zuſtand ſey das Kind noch nicht
Menſch, es habe kein Daſeyn für ſich, ſondern ſey nur
als Theil des mütterlichen Leibes zu betrachten (a). An-
dere Stellen dagegen ſetzen ein ſolches Kind dem ſchon
gebornen gleich (b). Die genauere Beſtimmung dieſes letz-
ten Satzes wird zugleich den Schein eines Widerſpruches
entfernen, der durch den Ausdruck beider erwähnten Re-
geln entſteht.


(a) L. 9 § 1 ad L. Falc. (35.
2.) „.. partus nondum editus
homo non recte fuisse dicitur.”
L. 1 § 1 de inspic. ventre
(25. 4): „.. partus enim, an-
tequam edatur, mulieris portio
est, vel viscerum.”
(b) L. 26 de statu hom. (1.5.).
„Qui in utero sunt, in toto
pene jure civili intelliguntur in
rerum natura esse.” — L. 231
de V. S. (50. 16.): „Quod dici-
mus, eum, qui nasci speratur,
pro superstite esse,
tunc verum
est, cum de ipsius jure quae-
ritur: aliis autem non prodest
nisi natus.”
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[12/0026] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. II. Perſonen. §. 62. Gränzen der natürlichen Rechtsfähigkeit. I. Anfang. (Fortſetzung). Der natürliche Anfang der Rechtsfähigkeit iſt beſtimmt worden auf den Zeitpunkt der vollendeten Geburt. Die- ſem aber geht vorher ein nicht unbeträchtlicher Zeitraum, in welchem das Kind auch ſchon Leben hat, aber kein ſelbſtändiges, ſondern ein abhängiges, mit dem Leben der Mutter eng verbundenes. Welches iſt die wahre juriſti- ſche Betrachtungsweiſe für dieſes vorbereitende Leben? Mehrere Stellen des Römiſchen Rechts ſagen ganz beſtimmt, in dieſem Zuſtand ſey das Kind noch nicht Menſch, es habe kein Daſeyn für ſich, ſondern ſey nur als Theil des mütterlichen Leibes zu betrachten (a). An- dere Stellen dagegen ſetzen ein ſolches Kind dem ſchon gebornen gleich (b). Die genauere Beſtimmung dieſes letz- ten Satzes wird zugleich den Schein eines Widerſpruches entfernen, der durch den Ausdruck beider erwähnten Re- geln entſteht. (a) L. 9 § 1 ad L. Falc. (35. 2.) „.. partus nondum editus homo non recte fuisse dicitur.” — L. 1 § 1 de inspic. ventre (25. 4): „.. partus enim, an- tequam edatur, mulieris portio est, vel viscerum.” (b) L. 26 de statu hom. (1.5.). „Qui in utero sunt, in toto pene jure civili intelliguntur in rerum natura esse.” — L. 231 de V. S. (50. 16.): „Quod dici- mus, eum, qui nasci speratur, pro superstite esse, tunc verum est, cum de ipsius jure quae- ritur: aliis autem non prodest nisi natus.” — Die Neueren drü- cken das ſo aus: Nasciturus ha- betur pro nato.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/26>, abgerufen am 20.04.2024.