Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.§. 81. Infamie. Juristische Bedeutung. (Fortsetzung.) bloßen Infamie, sondern nur noch auf den Verlust derganzen, vollständigen Civität angewendet. Erst dadurch erhielt der Begriff der capitis deminutio diejenige aus- schließende Beziehung auf die privatrechtliche Rechtsfähig- keit, welche wir in unsren Rechtsquellen wahrnehmen (Beylage VI. Num. XIII.). -- Diese Veränderung des Sprachgebrauchs wird ausdrücklich erwähnt in folgender merkwürdigen Stelle des Modestin: L. 103 de V. S. (50. 16.). Licet capitalis latine loquentibus omnis causa exi- stimationis videatur, tamen appellatio capitalis, mor- tis vel amissionis civitatis intelligenda est. Das heißt: nach dem jetzt geltenden Sprachgebrauch (der (d) Modestin bezeichnet also den
Gegensatz eines älteren und neue- ren Sprachgebrauchs, welcher zu- gleich mit dem des nichtjuristi- schen und juristischen zusammen fällt, weil sich der neuere in Folge einer Reflexion der Juristen ge- bildet hatte. Marezoll S. 112. 113 erklärt irrig das latine lo- quentibus von dem Sprachge- brauch des gemeinen Lebens, und nimmt die oben angeführten Stel- len des Cicero für rednerische Übertreibung; in der Stelle pro Roscio möchte das noch etwa gel- ten, in der pro Quinctio, wo der Ausdruck so oft, und ganz wie etwas allgemein Bekanntes ge- braucht wird, ist es ganz un- möglich. §. 81. Infamie. Juriſtiſche Bedeutung. (Fortſetzung.) bloßen Infamie, ſondern nur noch auf den Verluſt derganzen, vollſtändigen Civität angewendet. Erſt dadurch erhielt der Begriff der capitis deminutio diejenige aus- ſchließende Beziehung auf die privatrechtliche Rechtsfähig- keit, welche wir in unſren Rechtsquellen wahrnehmen (Beylage VI. Num. XIII.). — Dieſe Veränderung des Sprachgebrauchs wird ausdrücklich erwähnt in folgender merkwürdigen Stelle des Modeſtin: L. 103 de V. S. (50. 16.). Licet capitalis latine loquentibus omnis causa exi- stimationis videatur, tamen appellatio capitalis, mor- tis vel amissionis civitatis intelligenda est. Das heißt: nach dem jetzt geltenden Sprachgebrauch (der (d) Modeſtin bezeichnet alſo den
Gegenſatz eines älteren und neue- ren Sprachgebrauchs, welcher zu- gleich mit dem des nichtjuriſti- ſchen und juriſtiſchen zuſammen fällt, weil ſich der neuere in Folge einer Reflexion der Juriſten ge- bildet hatte. Marezoll S. 112. 113 erklärt irrig das latine lo- quentibus von dem Sprachge- brauch des gemeinen Lebens, und nimmt die oben angeführten Stel- len des Cicero für redneriſche Übertreibung; in der Stelle pro Roscio möchte das noch etwa gel- ten, in der pro Quinctio, wo der Ausdruck ſo oft, und ganz wie etwas allgemein Bekanntes ge- braucht wird, iſt es ganz un- möglich. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0227" n="213"/><fw place="top" type="header">§. 81. Infamie. Juriſtiſche Bedeutung. (Fortſetzung.)</fw><lb/> bloßen Infamie, ſondern nur noch auf den Verluſt der<lb/> ganzen, vollſtändigen Civität angewendet. Erſt dadurch<lb/> erhielt der Begriff der <hi rendition="#aq">capitis deminutio</hi> diejenige aus-<lb/> ſchließende Beziehung auf die privatrechtliche Rechtsfähig-<lb/> keit, welche wir in unſren Rechtsquellen wahrnehmen<lb/> (Beylage <hi rendition="#aq">VI.</hi> Num. <hi rendition="#aq">XIII.</hi>). — Dieſe Veränderung des<lb/> Sprachgebrauchs wird ausdrücklich erwähnt in folgender<lb/> merkwürdigen Stelle des Modeſtin:</p><lb/> <list> <item><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 103 <hi rendition="#i">de V. S.</hi></hi> (50. 16.).<lb/><hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">Licet <hi rendition="#i">capitalis</hi> latine loquentibus omnis causa exi-<lb/> stimationis videatur, tamen appellatio <hi rendition="#i">capitalis,</hi> mor-<lb/> tis vel amissionis civitatis intelligenda est.</hi></hi></item> </list><lb/> <p>Das heißt: nach dem jetzt geltenden Sprachgebrauch (der<lb/> Juriſten und der Kaiſergeſetze) gilt nur der Tod und der<lb/> Verluſt der Civität als Kapitalſtrafe, obgleich in den klaſ-<lb/> ſiſchen Schriftſtellern (<hi rendition="#aq">latine loquentibus</hi>) auch ſchon die<lb/> Infamie als Kapitalſtrafe bezeichnet wird <note place="foot" n="(d)">Modeſtin bezeichnet alſo den<lb/> Gegenſatz eines älteren und neue-<lb/> ren Sprachgebrauchs, welcher zu-<lb/> gleich mit dem des nichtjuriſti-<lb/> ſchen und juriſtiſchen zuſammen<lb/> fällt, weil ſich der neuere in Folge<lb/> einer Reflexion der Juriſten ge-<lb/> bildet hatte. <hi rendition="#g">Marezoll</hi> S. 112.<lb/> 113 erklärt irrig das <hi rendition="#aq">latine lo-<lb/> quentibus</hi> von dem Sprachge-<lb/> brauch des gemeinen Lebens, und<lb/> nimmt die oben angeführten Stel-<lb/> len des Cicero für redneriſche<lb/> Übertreibung; in der Stelle <hi rendition="#aq">pro<lb/> Roscio</hi> möchte das noch etwa gel-<lb/> ten, in der <hi rendition="#aq">pro Quinctio,</hi> wo der<lb/> Ausdruck ſo oft, und ganz wie<lb/> etwas allgemein Bekanntes ge-<lb/> braucht wird, iſt es ganz un-<lb/> möglich.</note>. — Was<lb/> nun in dieſer Stelle als juriſtiſcher Sprachgebrauch all-<lb/> gemein bezeugt wird, das findet ſich durch die in vielen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [213/0227]
§. 81. Infamie. Juriſtiſche Bedeutung. (Fortſetzung.)
bloßen Infamie, ſondern nur noch auf den Verluſt der
ganzen, vollſtändigen Civität angewendet. Erſt dadurch
erhielt der Begriff der capitis deminutio diejenige aus-
ſchließende Beziehung auf die privatrechtliche Rechtsfähig-
keit, welche wir in unſren Rechtsquellen wahrnehmen
(Beylage VI. Num. XIII.). — Dieſe Veränderung des
Sprachgebrauchs wird ausdrücklich erwähnt in folgender
merkwürdigen Stelle des Modeſtin:
L. 103 de V. S. (50. 16.).
Licet capitalis latine loquentibus omnis causa exi-
stimationis videatur, tamen appellatio capitalis, mor-
tis vel amissionis civitatis intelligenda est.
Das heißt: nach dem jetzt geltenden Sprachgebrauch (der
Juriſten und der Kaiſergeſetze) gilt nur der Tod und der
Verluſt der Civität als Kapitalſtrafe, obgleich in den klaſ-
ſiſchen Schriftſtellern (latine loquentibus) auch ſchon die
Infamie als Kapitalſtrafe bezeichnet wird (d). — Was
nun in dieſer Stelle als juriſtiſcher Sprachgebrauch all-
gemein bezeugt wird, das findet ſich durch die in vielen
(d) Modeſtin bezeichnet alſo den
Gegenſatz eines älteren und neue-
ren Sprachgebrauchs, welcher zu-
gleich mit dem des nichtjuriſti-
ſchen und juriſtiſchen zuſammen
fällt, weil ſich der neuere in Folge
einer Reflexion der Juriſten ge-
bildet hatte. Marezoll S. 112.
113 erklärt irrig das latine lo-
quentibus von dem Sprachge-
brauch des gemeinen Lebens, und
nimmt die oben angeführten Stel-
len des Cicero für redneriſche
Übertreibung; in der Stelle pro
Roscio möchte das noch etwa gel-
ten, in der pro Quinctio, wo der
Ausdruck ſo oft, und ganz wie
etwas allgemein Bekanntes ge-
braucht wird, iſt es ganz un-
möglich.
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