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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. II. Personen.
war nicht mehr, wie früher, eine scharf bestimmte Rechts-
regel, unabänderlich bindend für alle ausführende Behör-
den, sondern mehr eine Ankündigung desjenigen, was der
Kaiser in einzelnen Fällen thun werde, wobey er sich na-
türlich vorbehielt, nach Umständen den Begriff der Infa-
mie, wenn von der Ertheilung eines Amtes die Rede war,
einzuschränken oder auszudehnen. So erklären sich die
sehr schwankenden Ausdrücke einer Verordnung von Con-
stantin, welche freylich für die frühere Verfassung unpas-
send gewesen wären, der Zeit dieses Gesetzes aber ganz
angemessen waren (b). -- Auch die Tafel von Heraklea
bestätigt jenen Rechtssatz, wie dieses weiter unten genauer
angegeben werden wird.

2) Verlust des suffragium, oder was dasselbe sagt, Aus-
stoßung aus allen Tribus, Versetzung unter die Ärarier (c).


(b) L. 2 C. de dign. (12. 1.).
"Neque famosis, et notatis, et
quos scelus aut vitae turpitudo
inquinat, et quos infamia ab
honestorum coetu segregat, dig-
nitatis portae patebunt.
"
--
Mit Recht bemerkt Burchardi
p.
58, daß hier der bestimmte Be-
griff der juristischen Infamie ver-
lassen, und der unbestimmte ei-
ner infamia facti substituirt sey.
Nur ist es unrichtig, darin eine
Veränderung der juristischen Lehre
der Infamie zu suchen, und noch
weniger ist Grund vorhanden, eine
Justinianische Interpolation anzu-
nehmen. Die Schlußworte sagen
ja sehr deutlich nicht mehr als Fol-
gendes: "Solche schlechte Men-
schen sollen sich keine Hoffnung
machen, jemals Auszeichnungen
vom Kaiser zu erhalten." Darin
liegt nun kein Rechtssatz, der ge-
nau bestimmter Bedingungen be-
dürftig oder empfänglich wäre.
(c) Zur Rechtfertigung dieser
Ausdrücke mag hier Folgendes die-
nen. So lange in Rom drey
völlig getrennte Comitien existir-
ten, war die Theilnahme an ir-
gend einer Tribus Bedingung der
Stimmfähigkeit nur für die tri-
buta comitia,
nicht für die an-
deren Comitien. Allein schon früh
änderte sich dieses. Die Curien
verschwanden, und erhielten ihr

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. II. Perſonen.
war nicht mehr, wie früher, eine ſcharf beſtimmte Rechts-
regel, unabänderlich bindend für alle ausführende Behör-
den, ſondern mehr eine Ankündigung desjenigen, was der
Kaiſer in einzelnen Fällen thun werde, wobey er ſich na-
türlich vorbehielt, nach Umſtänden den Begriff der Infa-
mie, wenn von der Ertheilung eines Amtes die Rede war,
einzuſchränken oder auszudehnen. So erklären ſich die
ſehr ſchwankenden Ausdrücke einer Verordnung von Con-
ſtantin, welche freylich für die frühere Verfaſſung unpaſ-
ſend geweſen wären, der Zeit dieſes Geſetzes aber ganz
angemeſſen waren (b). — Auch die Tafel von Heraklea
beſtätigt jenen Rechtsſatz, wie dieſes weiter unten genauer
angegeben werden wird.

2) Verluſt des suffragium, oder was daſſelbe ſagt, Aus-
ſtoßung aus allen Tribus, Verſetzung unter die Ärarier (c).


(b) L. 2 C. de dign. (12. 1.).
„Neque famosis, et notatis, et
quos scelus aut vitae turpitudo
inquinat, et quos infamia ab
honestorum coetu segregat, dig-
nitatis portae patebunt.

Mit Recht bemerkt Burchardi
p.
58, daß hier der beſtimmte Be-
griff der juriſtiſchen Infamie ver-
laſſen, und der unbeſtimmte ei-
ner infamia facti ſubſtituirt ſey.
Nur iſt es unrichtig, darin eine
Veränderung der juriſtiſchen Lehre
der Infamie zu ſuchen, und noch
weniger iſt Grund vorhanden, eine
Juſtinianiſche Interpolation anzu-
nehmen. Die Schlußworte ſagen
ja ſehr deutlich nicht mehr als Fol-
gendes: „Solche ſchlechte Men-
ſchen ſollen ſich keine Hoffnung
machen, jemals Auszeichnungen
vom Kaiſer zu erhalten.“ Darin
liegt nun kein Rechtsſatz, der ge-
nau beſtimmter Bedingungen be-
dürftig oder empfänglich wäre.
(c) Zur Rechtfertigung dieſer
Ausdrücke mag hier Folgendes die-
nen. So lange in Rom drey
völlig getrennte Comitien exiſtir-
ten, war die Theilnahme an ir-
gend einer Tribus Bedingung der
Stimmfähigkeit nur für die tri-
buta comitia,
nicht für die an-
deren Comitien. Allein ſchon früh
änderte ſich dieſes. Die Curien
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[202/0216] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. II. Perſonen. war nicht mehr, wie früher, eine ſcharf beſtimmte Rechts- regel, unabänderlich bindend für alle ausführende Behör- den, ſondern mehr eine Ankündigung desjenigen, was der Kaiſer in einzelnen Fällen thun werde, wobey er ſich na- türlich vorbehielt, nach Umſtänden den Begriff der Infa- mie, wenn von der Ertheilung eines Amtes die Rede war, einzuſchränken oder auszudehnen. So erklären ſich die ſehr ſchwankenden Ausdrücke einer Verordnung von Con- ſtantin, welche freylich für die frühere Verfaſſung unpaſ- ſend geweſen wären, der Zeit dieſes Geſetzes aber ganz angemeſſen waren (b). — Auch die Tafel von Heraklea beſtätigt jenen Rechtsſatz, wie dieſes weiter unten genauer angegeben werden wird. 2) Verluſt des suffragium, oder was daſſelbe ſagt, Aus- ſtoßung aus allen Tribus, Verſetzung unter die Ärarier (c). (b) L. 2 C. de dign. (12. 1.). „Neque famosis, et notatis, et quos scelus aut vitae turpitudo inquinat, et quos infamia ab honestorum coetu segregat, dig- nitatis portae patebunt.” — Mit Recht bemerkt Burchardi p. 58, daß hier der beſtimmte Be- griff der juriſtiſchen Infamie ver- laſſen, und der unbeſtimmte ei- ner infamia facti ſubſtituirt ſey. Nur iſt es unrichtig, darin eine Veränderung der juriſtiſchen Lehre der Infamie zu ſuchen, und noch weniger iſt Grund vorhanden, eine Juſtinianiſche Interpolation anzu- nehmen. Die Schlußworte ſagen ja ſehr deutlich nicht mehr als Fol- gendes: „Solche ſchlechte Men- ſchen ſollen ſich keine Hoffnung machen, jemals Auszeichnungen vom Kaiſer zu erhalten.“ Darin liegt nun kein Rechtsſatz, der ge- nau beſtimmter Bedingungen be- dürftig oder empfänglich wäre. (c) Zur Rechtfertigung dieſer Ausdrücke mag hier Folgendes die- nen. So lange in Rom drey völlig getrennte Comitien exiſtir- ten, war die Theilnahme an ir- gend einer Tribus Bedingung der Stimmfähigkeit nur für die tri- buta comitia, nicht für die an- deren Comitien. Allein ſchon früh änderte ſich dieſes. Die Curien verſchwanden, und erhielten ihr

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/216>, abgerufen am 18.05.2024.