Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 79. Infamie. Juristische Bedeutung. (Fortsetzung.)
Infamis heißt derjenige Römer, welcher in Folge ei-
ner allgemeinen Regel (nicht der censorischen Will-
kühr), bey fortdauernder Civität, die politischen
Rechte derselben verloren hat.

Ehe ich den Beweis dieser Behauptung zu führen ver-
suche, will ich einige Sätze aufstellen, die unter Voraus-
setzung ihrer Wahrheit daraus nothwendig folgen, und so
zur näheren Bestimmung derselben dienen:

1) Die Infamie erscheint nun als eine Art von capi-
tis deminutio,
und zwar als eine halbe oder unvollstän-
dige media capitis deminutio, indem sie die Civität in
ihrem politischen Theil zerstört, in dem privatrechtlichen
unberührt läßt. Die publicistische Rechtsfähigkeit also
wird aufgehoben, die Privatrechtsfähigkeit dauert fort.

2) Die Infamie gehört daher ihrem eigentlichen We-
sen nach dem öffentlichen Recht an, obgleich sie nebenher
auch im Privatrecht Wirkungen hervorbringen kann (i).

3) Die Wirkung der Infamie ist dieselbe, wie die der
censorischen Macht in ihrer äußersten Anwendung, und
der Unterschied liegt nur darin, daß sie nach allgemeinen
Regeln erfolgt, und daher unabänderlich ist.

4) Die Regeln der Infamie beruhten nicht auf Ge-
setzen, sondern auf alter Volksansicht (moribus), und ihre
gleichförmige Anerkennung und Beobachtung setzte daher

(i) Diese wesentlich publicisti-
sche Natur der Infamie ist zuerst
von Burchardi durchgeführt
worden: angedeutet hat sie schon
Hagemeister, indem er am
Schluß seiner Abhandlung (p. 181)
dieser Lehre ihren Platz bey dem
jus civitatis anweist.

§. 79. Infamie. Juriſtiſche Bedeutung. (Fortſetzung.)
Infamis heißt derjenige Römer, welcher in Folge ei-
ner allgemeinen Regel (nicht der cenſoriſchen Will-
kühr), bey fortdauernder Civität, die politiſchen
Rechte derſelben verloren hat.

Ehe ich den Beweis dieſer Behauptung zu führen ver-
ſuche, will ich einige Sätze aufſtellen, die unter Voraus-
ſetzung ihrer Wahrheit daraus nothwendig folgen, und ſo
zur näheren Beſtimmung derſelben dienen:

1) Die Infamie erſcheint nun als eine Art von capi-
tis deminutio,
und zwar als eine halbe oder unvollſtän-
dige media capitis deminutio, indem ſie die Civität in
ihrem politiſchen Theil zerſtört, in dem privatrechtlichen
unberührt läßt. Die publiciſtiſche Rechtsfähigkeit alſo
wird aufgehoben, die Privatrechtsfähigkeit dauert fort.

2) Die Infamie gehoͤrt daher ihrem eigentlichen We-
ſen nach dem öffentlichen Recht an, obgleich ſie nebenher
auch im Privatrecht Wirkungen hervorbringen kann (i).

3) Die Wirkung der Infamie iſt dieſelbe, wie die der
cenſoriſchen Macht in ihrer äußerſten Anwendung, und
der Unterſchied liegt nur darin, daß ſie nach allgemeinen
Regeln erfolgt, und daher unabänderlich iſt.

4) Die Regeln der Infamie beruhten nicht auf Ge-
ſetzen, ſondern auf alter Volksanſicht (moribus), und ihre
gleichförmige Anerkennung und Beobachtung ſetzte daher

(i) Dieſe weſentlich publiciſti-
ſche Natur der Infamie iſt zuerſt
von Burchardi durchgeführt
worden: angedeutet hat ſie ſchon
Hagemeiſter, indem er am
Schluß ſeiner Abhandlung (p. 181)
dieſer Lehre ihren Platz bey dem
jus civitatis anweiſt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p>
              <pb facs="#f0213" n="199"/>
              <fw place="top" type="header">§. 79. Infamie. Juri&#x017F;ti&#x017F;che Bedeutung. (Fort&#x017F;etzung.)</fw><lb/> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">Infamis</hi> heißt derjenige Römer, welcher in Folge ei-<lb/>
ner allgemeinen Regel (nicht der cen&#x017F;ori&#x017F;chen Will-<lb/>
kühr), bey fortdauernder Civität, die politi&#x017F;chen<lb/>
Rechte der&#x017F;elben verloren hat.</hi> </p><lb/>
            <p>Ehe ich den Beweis die&#x017F;er Behauptung zu führen ver-<lb/>
&#x017F;uche, will ich einige Sätze auf&#x017F;tellen, die unter Voraus-<lb/>
&#x017F;etzung ihrer Wahrheit daraus nothwendig folgen, und &#x017F;o<lb/>
zur näheren Be&#x017F;timmung der&#x017F;elben dienen:</p><lb/>
            <p>1) Die Infamie er&#x017F;cheint nun als eine Art von <hi rendition="#aq">capi-<lb/>
tis deminutio,</hi> und zwar als eine halbe oder unvoll&#x017F;tän-<lb/>
dige <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">media</hi> capitis deminutio,</hi> indem &#x017F;ie die Civität in<lb/>
ihrem politi&#x017F;chen Theil zer&#x017F;tört, in dem privatrechtlichen<lb/>
unberührt läßt. Die publici&#x017F;ti&#x017F;che Rechtsfähigkeit al&#x017F;o<lb/>
wird aufgehoben, die Privatrechtsfähigkeit dauert fort.</p><lb/>
            <p>2) Die Infamie geho&#x0364;rt daher ihrem eigentlichen We-<lb/>
&#x017F;en nach dem öffentlichen Recht an, obgleich &#x017F;ie nebenher<lb/>
auch im Privatrecht Wirkungen hervorbringen kann <note place="foot" n="(i)">Die&#x017F;e we&#x017F;entlich publici&#x017F;ti-<lb/>
&#x017F;che Natur der Infamie i&#x017F;t zuer&#x017F;t<lb/>
von <hi rendition="#g">Burchardi</hi> durchgeführt<lb/>
worden: angedeutet hat &#x017F;ie &#x017F;chon<lb/><hi rendition="#g">Hagemei&#x017F;ter</hi>, indem er am<lb/>
Schluß &#x017F;einer Abhandlung (<hi rendition="#aq">p.</hi> 181)<lb/>
die&#x017F;er Lehre ihren Platz bey dem<lb/><hi rendition="#aq">jus civitatis</hi> anwei&#x017F;t.</note>.</p><lb/>
            <p>3) Die Wirkung der Infamie i&#x017F;t die&#x017F;elbe, wie die der<lb/>
cen&#x017F;ori&#x017F;chen Macht in ihrer äußer&#x017F;ten Anwendung, und<lb/>
der Unter&#x017F;chied liegt nur darin, daß &#x017F;ie nach allgemeinen<lb/>
Regeln erfolgt, und daher unabänderlich i&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>4) Die Regeln der Infamie beruhten nicht auf Ge-<lb/>
&#x017F;etzen, &#x017F;ondern auf alter Volksan&#x017F;icht (<hi rendition="#aq">moribus</hi>), und ihre<lb/>
gleichförmige Anerkennung und Beobachtung &#x017F;etzte daher<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[199/0213] §. 79. Infamie. Juriſtiſche Bedeutung. (Fortſetzung.) Infamis heißt derjenige Römer, welcher in Folge ei- ner allgemeinen Regel (nicht der cenſoriſchen Will- kühr), bey fortdauernder Civität, die politiſchen Rechte derſelben verloren hat. Ehe ich den Beweis dieſer Behauptung zu führen ver- ſuche, will ich einige Sätze aufſtellen, die unter Voraus- ſetzung ihrer Wahrheit daraus nothwendig folgen, und ſo zur näheren Beſtimmung derſelben dienen: 1) Die Infamie erſcheint nun als eine Art von capi- tis deminutio, und zwar als eine halbe oder unvollſtän- dige media capitis deminutio, indem ſie die Civität in ihrem politiſchen Theil zerſtört, in dem privatrechtlichen unberührt läßt. Die publiciſtiſche Rechtsfähigkeit alſo wird aufgehoben, die Privatrechtsfähigkeit dauert fort. 2) Die Infamie gehoͤrt daher ihrem eigentlichen We- ſen nach dem öffentlichen Recht an, obgleich ſie nebenher auch im Privatrecht Wirkungen hervorbringen kann (i). 3) Die Wirkung der Infamie iſt dieſelbe, wie die der cenſoriſchen Macht in ihrer äußerſten Anwendung, und der Unterſchied liegt nur darin, daß ſie nach allgemeinen Regeln erfolgt, und daher unabänderlich iſt. 4) Die Regeln der Infamie beruhten nicht auf Ge- ſetzen, ſondern auf alter Volksanſicht (moribus), und ihre gleichförmige Anerkennung und Beobachtung ſetzte daher (i) Dieſe weſentlich publiciſti- ſche Natur der Infamie iſt zuerſt von Burchardi durchgeführt worden: angedeutet hat ſie ſchon Hagemeiſter, indem er am Schluß ſeiner Abhandlung (p. 181) dieſer Lehre ihren Platz bey dem jus civitatis anweiſt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/213
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/213>, abgerufen am 24.11.2024.