§. 75. Rechtsfähigkeit u. cap. deminutio. Heutige Anwendung.
und media capitis deminutio unmöglich geworden; mit ih- nen zugleich der bürgerliche Tod, den die Römer darin annahmen (§ 69).
Die minima capitis deminutio kann allerdings noch vorkommen; denn wenn sich ein Unabhängiger von einem Andern arrogiren läßt, so unterwirft er sich allen Be- schränkungen, welche überhaupt einem filiusfamilias zu- kommen, und erleidet also eine nachtheilige Veränderung in seiner Rechtsfähigkeit. Eine andere Frage ist es, ob für ihn auch die ganz eigenthümlichen, positiven Wirkun- gen der capitis deminutio (§ 69) noch jetzt eintreten, um deren willen allein dieser Begriff mit seinem Kunstaus- druck jemals praktischen Werth hatte? Diese Frage aber muß verneint werden. Denn die Agnation, die dadurch verloren gieng, ist überhaupt seit der neuesten Gesetzgebung von Justinian ohne praktische Bedeutung. Das Patro- natsverhältniß existirt gar nicht mehr. Den Einfluß der minima capitis deminutio auf die persönlichen Servituten hat Justinian ausdrücklich aufgehoben. Endlich auch der Untergang der Schulden durch capitis deminutio ist im Justinianischen Recht nicht mehr als praktisches Recht zu finden, sondern nur noch für das Recht der früheren Zeit zu errathen; jedoch auch hier so, daß ihm schon längst sein praktischer Einfluß ganz entzogen war. Wir müssen also sagen: die Lehre von der capitis deminutio ist histo- risch und exegetisch wichtig; für das praktische Recht ist der Begriff und der Name vollkommen entbehrlich.
§. 75. Rechtsfähigkeit u. cap. deminutio. Heutige Anwendung.
und media capitis deminutio unmöglich geworden; mit ih- nen zugleich der bürgerliche Tod, den die Römer darin annahmen (§ 69).
Die minima capitis deminutio kann allerdings noch vorkommen; denn wenn ſich ein Unabhängiger von einem Andern arrogiren läßt, ſo unterwirft er ſich allen Be- ſchränkungen, welche überhaupt einem filiusfamilias zu- kommen, und erleidet alſo eine nachtheilige Veränderung in ſeiner Rechtsfähigkeit. Eine andere Frage iſt es, ob für ihn auch die ganz eigenthümlichen, poſitiven Wirkun- gen der capitis deminutio (§ 69) noch jetzt eintreten, um deren willen allein dieſer Begriff mit ſeinem Kunſtaus- druck jemals praktiſchen Werth hatte? Dieſe Frage aber muß verneint werden. Denn die Agnation, die dadurch verloren gieng, iſt überhaupt ſeit der neueſten Geſetzgebung von Juſtinian ohne praktiſche Bedeutung. Das Patro- natsverhältniß exiſtirt gar nicht mehr. Den Einfluß der minima capitis deminutio auf die perſönlichen Servituten hat Juſtinian ausdrücklich aufgehoben. Endlich auch der Untergang der Schulden durch capitis deminutio iſt im Juſtinianiſchen Recht nicht mehr als praktiſches Recht zu finden, ſondern nur noch für das Recht der früheren Zeit zu errathen; jedoch auch hier ſo, daß ihm ſchon längſt ſein praktiſcher Einfluß ganz entzogen war. Wir müſſen alſo ſagen: die Lehre von der capitis deminutio iſt hiſto- riſch und exegetiſch wichtig; für das praktiſche Recht iſt der Begriff und der Name vollkommen entbehrlich.
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§. 75. Rechtsfähigkeit u. cap. deminutio. Heutige Anwendung.
und media capitis deminutio unmöglich geworden; mit ih-
nen zugleich der bürgerliche Tod, den die Römer darin
annahmen (§ 69).
Die minima capitis deminutio kann allerdings noch
vorkommen; denn wenn ſich ein Unabhängiger von einem
Andern arrogiren läßt, ſo unterwirft er ſich allen Be-
ſchränkungen, welche überhaupt einem filiusfamilias zu-
kommen, und erleidet alſo eine nachtheilige Veränderung
in ſeiner Rechtsfähigkeit. Eine andere Frage iſt es, ob
für ihn auch die ganz eigenthümlichen, poſitiven Wirkun-
gen der capitis deminutio (§ 69) noch jetzt eintreten, um
deren willen allein dieſer Begriff mit ſeinem Kunſtaus-
druck jemals praktiſchen Werth hatte? Dieſe Frage aber
muß verneint werden. Denn die Agnation, die dadurch
verloren gieng, iſt überhaupt ſeit der neueſten Geſetzgebung
von Juſtinian ohne praktiſche Bedeutung. Das Patro-
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minima capitis deminutio auf die perſönlichen Servituten
hat Juſtinian ausdrücklich aufgehoben. Endlich auch der
Untergang der Schulden durch capitis deminutio iſt im
Juſtinianiſchen Recht nicht mehr als praktiſches Recht zu
finden, ſondern nur noch für das Recht der früheren Zeit
zu errathen; jedoch auch hier ſo, daß ihm ſchon längſt
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/163>, abgerufen am 30.11.2024.
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