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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. II. Personen.
noch der Gegenstand, sondern sein Ermessen ist unver-
meidlich so frey, daß es selbst bey zwey gleich redlichen
und einsichtsvollen Richtern für ganz zufällig gehalten
werden muß, wenn ihre Urtheile in der Summe überein-
stimmen (d). Diese ungewöhnlich ausgedehnte richterliche
Willkühr wird in den am genauesten redenden Stellen
durch den Ausdruck: actio in bonum et aequum concepta
bezeichnet. Auf den ersten Blick möchte man vielleicht Be-
denken tragen, jenem Beywort eine solche unterscheidende
Kraft beyzulegen, es rechtfertigt sich jedoch diese, etwas
subtil scheinende, Annahme auf folgende Weise. Durch
das concepta wird ausgedrückt, daß die Hinweisung auf
das bonum et aequum wörtlich in der Formel enthalten
war; sie lag nämlich bei der actio rei uxoriae (wahr-
scheinlich dem ältesten Fall dieser Art) in den der Formel
eingerückten Worten quod aequius melius (e), bey mehre-
ren späterhin in das Edict aufgenommenen Fällen in den
weniger alterthümlichen Ausdrücken: quanti aequum, oder
quanti bonum aequum judici videbitur (f). Dieser Theil

(d) Am anschaulichsten ist die-
ses bei der Injurienklage (Gajus
III.
§ 224), worin doch gewiß die
Bestimmung der Summe lediglich
auf subjectivem Gefühl betuht,
also mit der Bestimmung der Ent-
schädigungssumme z. B. aus ei-
nem Kaufcontract gar keine Ähn-
lichkeit hat. Daß aber dasselbe
Verhältniß, wenngleich weniger
augenscheinlich, auch in vielen an-
deren Fällen statt findet, wird
unten gezeigt werden.
(e) Cicero top. C. 17, de of-
ficiis III.
15. Wörtliche Anspie-
lungen auf diesen im Edict vor-
kommenden Ausdruck der Formel
kommen vor in L. 82 de solut.
(46. 3.), L. 66 § 7 sol. matr.

(24. 3.), -- Über die Ähnlichkeit
und Verschiedenheit dieser Klage
mit anderen gleichartigen Klagen
vgl. unten § 72 ee.
(f) Dieser Ausdruck findet sich

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. II. Perſonen.
noch der Gegenſtand, ſondern ſein Ermeſſen iſt unver-
meidlich ſo frey, daß es ſelbſt bey zwey gleich redlichen
und einſichtsvollen Richtern für ganz zufällig gehalten
werden muß, wenn ihre Urtheile in der Summe überein-
ſtimmen (d). Dieſe ungewöhnlich ausgedehnte richterliche
Willkühr wird in den am genaueſten redenden Stellen
durch den Ausdruck: actio in bonum et aequum concepta
bezeichnet. Auf den erſten Blick moͤchte man vielleicht Be-
denken tragen, jenem Beywort eine ſolche unterſcheidende
Kraft beyzulegen, es rechtfertigt ſich jedoch dieſe, etwas
ſubtil ſcheinende, Annahme auf folgende Weiſe. Durch
das concepta wird ausgedrückt, daß die Hinweiſung auf
das bonum et aequum wörtlich in der Formel enthalten
war; ſie lag nämlich bei der actio rei uxoriae (wahr-
ſcheinlich dem älteſten Fall dieſer Art) in den der Formel
eingerückten Worten quod aequius melius (e), bey mehre-
ren ſpäterhin in das Edict aufgenommenen Fällen in den
weniger alterthümlichen Ausdrücken: quanti aequum, oder
quanti bonum aequum judici videbitur (f). Dieſer Theil

(d) Am anſchaulichſten iſt die-
ſes bei der Injurienklage (Gajus
III.
§ 224), worin doch gewiß die
Beſtimmung der Summe lediglich
auf ſubjectivem Gefühl betuht,
alſo mit der Beſtimmung der Ent-
ſchädigungsſumme z. B. aus ei-
nem Kaufcontract gar keine Ähn-
lichkeit hat. Daß aber daſſelbe
Verhältniß, wenngleich weniger
augenſcheinlich, auch in vielen an-
deren Fällen ſtatt findet, wird
unten gezeigt werden.
(e) Cicero top. C. 17, de of-
ficiis III.
15. Wörtliche Anſpie-
lungen auf dieſen im Edict vor-
kommenden Ausdruck der Formel
kommen vor in L. 82 de solut.
(46. 3.), L. 66 § 7 sol. matr.

(24. 3.), — Über die Ähnlichkeit
und Verſchiedenheit dieſer Klage
mit anderen gleichartigen Klagen
vgl. unten § 72 ee.
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[94/0108] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. II. Perſonen. noch der Gegenſtand, ſondern ſein Ermeſſen iſt unver- meidlich ſo frey, daß es ſelbſt bey zwey gleich redlichen und einſichtsvollen Richtern für ganz zufällig gehalten werden muß, wenn ihre Urtheile in der Summe überein- ſtimmen (d). Dieſe ungewöhnlich ausgedehnte richterliche Willkühr wird in den am genaueſten redenden Stellen durch den Ausdruck: actio in bonum et aequum concepta bezeichnet. Auf den erſten Blick moͤchte man vielleicht Be- denken tragen, jenem Beywort eine ſolche unterſcheidende Kraft beyzulegen, es rechtfertigt ſich jedoch dieſe, etwas ſubtil ſcheinende, Annahme auf folgende Weiſe. Durch das concepta wird ausgedrückt, daß die Hinweiſung auf das bonum et aequum wörtlich in der Formel enthalten war; ſie lag nämlich bei der actio rei uxoriae (wahr- ſcheinlich dem älteſten Fall dieſer Art) in den der Formel eingerückten Worten quod aequius melius (e), bey mehre- ren ſpäterhin in das Edict aufgenommenen Fällen in den weniger alterthümlichen Ausdrücken: quanti aequum, oder quanti bonum aequum judici videbitur (f). Dieſer Theil (d) Am anſchaulichſten iſt die- ſes bei der Injurienklage (Gajus III. § 224), worin doch gewiß die Beſtimmung der Summe lediglich auf ſubjectivem Gefühl betuht, alſo mit der Beſtimmung der Ent- ſchädigungsſumme z. B. aus ei- nem Kaufcontract gar keine Ähn- lichkeit hat. Daß aber daſſelbe Verhältniß, wenngleich weniger augenſcheinlich, auch in vielen an- deren Fällen ſtatt findet, wird unten gezeigt werden. (e) Cicero top. C. 17, de of- ficiis III. 15. Wörtliche Anſpie- lungen auf dieſen im Edict vor- kommenden Ausdruck der Formel kommen vor in L. 82 de solut. (46. 3.), L. 66 § 7 sol. matr. (24. 3.), — Über die Ähnlichkeit und Verſchiedenheit dieſer Klage mit anderen gleichartigen Klagen vgl. unten § 72 ee. (f) Dieſer Ausdruck findet ſich

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/108>, abgerufen am 04.05.2024.