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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.

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§. 71. Anomalische Rechte. Allgemeine Natur.
den einzelnen Rechten dieser Art (je nach ihrem individu-
ellen Bedürfniß) bald mehr, bald weniger Abweichung
von der Regel der Rechtsfähigkeit bewirkt wird. Wir
müssen uns also hüten, hierin zu viel zu generalisiren,
und wir dürfen als das Gemeinsame der angedeuteten
Institute nur dieses anerkennen, daß sie eine weniger
juristische Natur
als die gewöhnlichen Rechtsinstitute
haben. Diese Eigenthümlichkeit wird von einem Römischen
Juristen in einem hierher gehörenden besonderen Fall sehr
treffend so ausgedrückt: in facto potius quam in jure
consistit
(a).

Bey Fällen dieser Art erscheinen zugleich noch folgende
Eigenthümlichkeiten, welche an sich auf die Rechtsfähigkeit
keine unmittelbare Beziehung haben:

1) Bey allen diesen Fällen (vielleicht mit einer einzi-
gen Ausnahme) findet sich die Unvererblichkeit. Nur
eigentliche Rechte, und zwar Vermögensrechte, sind Ge-
genstand der Vererbung. Stirbt daher der Träger eines
Verhältnisses von dieser anomalischen Natur, so wird das
Verhältniß selbst, welches sich auf ihn allein (als Indi-
viduum) bezog, untergehen müssen. -- Ganz unrichtig
aber würde es seyn, diesen Satz umzukehren, und in allen
unvererblichen Verhältnissen die hier zur Sprache gebrachte
nichtjuristische Natur anzunehmen. Die väterliche Ge-
walt, der Ususfructus, der juristische Besitz, sind unver-
erblich, aber sie sind dennoch wahre, eigentliche Rechts-

(a) L. 10 de cap. min. (4. 5.).

§. 71. Anomaliſche Rechte. Allgemeine Natur.
den einzelnen Rechten dieſer Art (je nach ihrem individu-
ellen Bedürfniß) bald mehr, bald weniger Abweichung
von der Regel der Rechtsfähigkeit bewirkt wird. Wir
müſſen uns alſo hüten, hierin zu viel zu generaliſiren,
und wir dürfen als das Gemeinſame der angedeuteten
Inſtitute nur dieſes anerkennen, daß ſie eine weniger
juriſtiſche Natur
als die gewöhnlichen Rechtsinſtitute
haben. Dieſe Eigenthümlichkeit wird von einem Römiſchen
Juriſten in einem hierher gehoͤrenden beſonderen Fall ſehr
treffend ſo ausgedrückt: in facto potius quam in jure
consistit
(a).

Bey Fällen dieſer Art erſcheinen zugleich noch folgende
Eigenthümlichkeiten, welche an ſich auf die Rechtsfähigkeit
keine unmittelbare Beziehung haben:

1) Bey allen dieſen Fällen (vielleicht mit einer einzi-
gen Ausnahme) findet ſich die Unvererblichkeit. Nur
eigentliche Rechte, und zwar Vermögensrechte, ſind Ge-
genſtand der Vererbung. Stirbt daher der Träger eines
Verhältniſſes von dieſer anomaliſchen Natur, ſo wird das
Verhältniß ſelbſt, welches ſich auf ihn allein (als Indi-
viduum) bezog, untergehen müſſen. — Ganz unrichtig
aber würde es ſeyn, dieſen Satz umzukehren, und in allen
unvererblichen Verhältniſſen die hier zur Sprache gebrachte
nichtjuriſtiſche Natur anzunehmen. Die väterliche Ge-
walt, der Uſusfructus, der juriſtiſche Beſitz, ſind unver-
erblich, aber ſie ſind dennoch wahre, eigentliche Rechts-

(a) L. 10 de cap. min. (4. 5.).
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[91/0105] §. 71. Anomaliſche Rechte. Allgemeine Natur. den einzelnen Rechten dieſer Art (je nach ihrem individu- ellen Bedürfniß) bald mehr, bald weniger Abweichung von der Regel der Rechtsfähigkeit bewirkt wird. Wir müſſen uns alſo hüten, hierin zu viel zu generaliſiren, und wir dürfen als das Gemeinſame der angedeuteten Inſtitute nur dieſes anerkennen, daß ſie eine weniger juriſtiſche Natur als die gewöhnlichen Rechtsinſtitute haben. Dieſe Eigenthümlichkeit wird von einem Römiſchen Juriſten in einem hierher gehoͤrenden beſonderen Fall ſehr treffend ſo ausgedrückt: in facto potius quam in jure consistit (a). Bey Fällen dieſer Art erſcheinen zugleich noch folgende Eigenthümlichkeiten, welche an ſich auf die Rechtsfähigkeit keine unmittelbare Beziehung haben: 1) Bey allen dieſen Fällen (vielleicht mit einer einzi- gen Ausnahme) findet ſich die Unvererblichkeit. Nur eigentliche Rechte, und zwar Vermögensrechte, ſind Ge- genſtand der Vererbung. Stirbt daher der Träger eines Verhältniſſes von dieſer anomaliſchen Natur, ſo wird das Verhältniß ſelbſt, welches ſich auf ihn allein (als Indi- viduum) bezog, untergehen müſſen. — Ganz unrichtig aber würde es ſeyn, dieſen Satz umzukehren, und in allen unvererblichen Verhältniſſen die hier zur Sprache gebrachte nichtjuriſtiſche Natur anzunehmen. Die väterliche Ge- walt, der Uſusfructus, der juriſtiſche Beſitz, ſind unver- erblich, aber ſie ſind dennoch wahre, eigentliche Rechts- (a) L. 10 de cap. min. (4. 5.).

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/105>, abgerufen am 03.05.2024.