Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. I. Wesen und Arten.
Alles was ihnen zufällt ohnehin in des Vaters Vermögen
sich verliert, sie selbst also kein Vermögen haben können
(§ 54). Mit anderen Worten: ihre Handlungsunfähig-
keit wird unschädlich durch ihre Rechtsunfähigkeit. An-
ders wenn der Unmündige zufällig ohne Vater ist, also
selbst Vermögen haben kann. Hier entsteht ein Misver-
hältniß zwischen der vorhandenen Rechtsfähigkeit und der
fehlenden Handlungsfähigkeit, welches einer künstlichen po-
sitiven Nachhülfe bedarf. Darauf allein gründet sich die
ursprüngliche Tutel, denn in diesem Fall allein ist ein all-
gemeines, wichtiges, häufiges Naturbedürfniß vorhanden.
Die übrigen Fälle der Tutel, so wie die ganze Curatel,
beruhen wohl auf allmäligen Nachbildungen bey ähnlichem
Bedürfniß: das aber haben sie alle mit jenem Hauptfall
gemein, daß sie nur da vorkommen, wo nicht schon das
streng juristische Verhältniß einer potestas oder manus
jede künstlichere Nachhülfe überflüssig macht. -- Der ju-
ristische Inhalt dieser Verhältnisse ist ein zwiefacher. Erst-
lich ersetzen sie zunächst die fehlende Handlungsfähigkeit
eines Rechtsfähigen. Zweytens verwandeln sie sich spä-
terhin in Obligationen zwischen dem, welcher Tutor oder
Curator war, und dem Pflegebefohlnen.

Auf die Fünf hier dargestellten Institute des Familien-
rechts beschränkte sich dessen künstliche Erweiterung zur
Zeit der klassischen Juristen. In Justinians Zeit hätte
noch ein sechstes hinzugefügt werden müssen, das Colo-
nat
, welches damals schon längst eben so verbreitet als

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. I. Weſen und Arten.
Alles was ihnen zufällt ohnehin in des Vaters Vermögen
ſich verliert, ſie ſelbſt alſo kein Vermögen haben können
(§ 54). Mit anderen Worten: ihre Handlungsunfähig-
keit wird unſchädlich durch ihre Rechtsunfähigkeit. An-
ders wenn der Unmündige zufällig ohne Vater iſt, alſo
ſelbſt Vermögen haben kann. Hier entſteht ein Misver-
hältniß zwiſchen der vorhandenen Rechtsfähigkeit und der
fehlenden Handlungsfähigkeit, welches einer künſtlichen po-
ſitiven Nachhülfe bedarf. Darauf allein gründet ſich die
urſprüngliche Tutel, denn in dieſem Fall allein iſt ein all-
gemeines, wichtiges, häufiges Naturbedürfniß vorhanden.
Die übrigen Fälle der Tutel, ſo wie die ganze Curatel,
beruhen wohl auf allmäligen Nachbildungen bey ähnlichem
Bedürfniß: das aber haben ſie alle mit jenem Hauptfall
gemein, daß ſie nur da vorkommen, wo nicht ſchon das
ſtreng juriſtiſche Verhältniß einer potestas oder manus
jede künſtlichere Nachhülfe überflüſſig macht. — Der ju-
riſtiſche Inhalt dieſer Verhältniſſe iſt ein zwiefacher. Erſt-
lich erſetzen ſie zunächſt die fehlende Handlungsfähigkeit
eines Rechtsfähigen. Zweytens verwandeln ſie ſich ſpä-
terhin in Obligationen zwiſchen dem, welcher Tutor oder
Curator war, und dem Pflegebefohlnen.

Auf die Fünf hier dargeſtellten Inſtitute des Familien-
rechts beſchränkte ſich deſſen künſtliche Erweiterung zur
Zeit der klaſſiſchen Juriſten. In Juſtinians Zeit hätte
noch ein ſechſtes hinzugefügt werden müſſen, das Colo-
nat
, welches damals ſchon längſt eben ſo verbreitet als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0418" n="362"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">II.</hi> Rechtsverhältni&#x017F;&#x017F;e. Kap. <hi rendition="#aq">I.</hi> We&#x017F;en und Arten.</fw><lb/>
Alles was ihnen zufällt ohnehin in des Vaters Vermögen<lb/>
&#x017F;ich verliert, &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t al&#x017F;o kein Vermögen haben können<lb/>
(§ 54). Mit anderen Worten: ihre Handlungsunfähig-<lb/>
keit wird un&#x017F;chädlich durch ihre Rechtsunfähigkeit. An-<lb/>
ders wenn der Unmündige zufällig ohne Vater i&#x017F;t, al&#x017F;o<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t Vermögen haben kann. Hier ent&#x017F;teht ein Misver-<lb/>
hältniß zwi&#x017F;chen der vorhandenen Rechtsfähigkeit und der<lb/>
fehlenden Handlungsfähigkeit, welches einer kün&#x017F;tlichen po-<lb/>
&#x017F;itiven Nachhülfe bedarf. Darauf allein gründet &#x017F;ich die<lb/>
ur&#x017F;prüngliche Tutel, denn in die&#x017F;em Fall allein i&#x017F;t ein all-<lb/>
gemeines, wichtiges, häufiges Naturbedürfniß vorhanden.<lb/>
Die übrigen Fälle der Tutel, &#x017F;o wie die ganze Curatel,<lb/>
beruhen wohl auf allmäligen Nachbildungen bey ähnlichem<lb/>
Bedürfniß: das aber haben &#x017F;ie alle mit jenem Hauptfall<lb/>
gemein, daß &#x017F;ie nur da vorkommen, wo nicht &#x017F;chon das<lb/>
&#x017F;treng juri&#x017F;ti&#x017F;che Verhältniß einer <hi rendition="#aq">potestas</hi> oder <hi rendition="#aq">manus</hi><lb/>
jede kün&#x017F;tlichere Nachhülfe überflü&#x017F;&#x017F;ig macht. &#x2014; Der ju-<lb/>
ri&#x017F;ti&#x017F;che Inhalt die&#x017F;er Verhältni&#x017F;&#x017F;e i&#x017F;t ein zwiefacher. Er&#x017F;t-<lb/>
lich er&#x017F;etzen &#x017F;ie zunäch&#x017F;t die fehlende Handlungsfähigkeit<lb/>
eines Rechtsfähigen. Zweytens verwandeln &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;pä-<lb/>
terhin in Obligationen zwi&#x017F;chen dem, welcher Tutor oder<lb/>
Curator war, und dem Pflegebefohlnen.</p><lb/>
            <p>Auf die Fünf hier darge&#x017F;tellten In&#x017F;titute des Familien-<lb/>
rechts be&#x017F;chränkte &#x017F;ich de&#x017F;&#x017F;en kün&#x017F;tliche Erweiterung zur<lb/>
Zeit der kla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Juri&#x017F;ten. In Ju&#x017F;tinians Zeit hätte<lb/>
noch ein &#x017F;ech&#x017F;tes hinzugefügt werden mü&#x017F;&#x017F;en, das <hi rendition="#g">Colo-<lb/>
nat</hi>, welches damals &#x017F;chon läng&#x017F;t eben &#x017F;o verbreitet als<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[362/0418] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. I. Weſen und Arten. Alles was ihnen zufällt ohnehin in des Vaters Vermögen ſich verliert, ſie ſelbſt alſo kein Vermögen haben können (§ 54). Mit anderen Worten: ihre Handlungsunfähig- keit wird unſchädlich durch ihre Rechtsunfähigkeit. An- ders wenn der Unmündige zufällig ohne Vater iſt, alſo ſelbſt Vermögen haben kann. Hier entſteht ein Misver- hältniß zwiſchen der vorhandenen Rechtsfähigkeit und der fehlenden Handlungsfähigkeit, welches einer künſtlichen po- ſitiven Nachhülfe bedarf. Darauf allein gründet ſich die urſprüngliche Tutel, denn in dieſem Fall allein iſt ein all- gemeines, wichtiges, häufiges Naturbedürfniß vorhanden. Die übrigen Fälle der Tutel, ſo wie die ganze Curatel, beruhen wohl auf allmäligen Nachbildungen bey ähnlichem Bedürfniß: das aber haben ſie alle mit jenem Hauptfall gemein, daß ſie nur da vorkommen, wo nicht ſchon das ſtreng juriſtiſche Verhältniß einer potestas oder manus jede künſtlichere Nachhülfe überflüſſig macht. — Der ju- riſtiſche Inhalt dieſer Verhältniſſe iſt ein zwiefacher. Erſt- lich erſetzen ſie zunächſt die fehlende Handlungsfähigkeit eines Rechtsfähigen. Zweytens verwandeln ſie ſich ſpä- terhin in Obligationen zwiſchen dem, welcher Tutor oder Curator war, und dem Pflegebefohlnen. Auf die Fünf hier dargeſtellten Inſtitute des Familien- rechts beſchränkte ſich deſſen künſtliche Erweiterung zur Zeit der klaſſiſchen Juriſten. In Juſtinians Zeit hätte noch ein ſechſtes hinzugefügt werden müſſen, das Colo- nat, welches damals ſchon längſt eben ſo verbreitet als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/418
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/418>, abgerufen am 25.08.2024.