Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. I. Wesen und Arten.
nen wir das Vermögen desselben, und die Gesammtheit
der darauf bezüglichen Rechtsinstitute das Vermögens-
recht
(b).

In der bisher betrachteten Beziehung der Person zu
einer fremden Person wurde jede derselben aufgefaßt als
ein in sich abgeschlossenes Ganze, so daß jede, in ihrer
abstracten Persönlichkeit, der anderen, als einem völlig
fremden (wiewohl gleichartigen) Wesen gegenüber stand.
Ganz verschieden davon ist die zweyte mögliche Beziehung
zu fremden Personen, die nunmehr dargestellt werden soll.
Hier betrachten wir den einzelnen Menschen nicht als ein
für sich bestehendes Wesen, sondern als Glied des orga-
nischen Ganzen der gesammten Menschheit. Indem nun
sein Zusammenhang mit diesem großen Ganzen stets durch
bestimmte Individuen vermittelt ist, so ist seine Beziehung
zu diesen Individuen die Grundlage einer neuen, ganz ei-
genthümlichen Art von Rechtsverhältnissen. In diesen er-
scheint uns der Einzelne nicht, so wie in den Obligationen,
als ein selbstständiges Ganze, sondern als ein unvollstän-
diges, der Ergänzung in einem großen Naturzusammen-
hang bedürftiges Wesen. Diese Unvollständigkeit des Ein-

(b) Die deutsche Bezeichnung
des angegebenen Rechtsbegriffs ist
die treffendste, die dafür gefunden
werden konnte. Denn es wird
dadurch unmittelbar das Wesen
der Sache ausgedrückt, die durch
das Daseyn jener Rechte uns zu-
wachsende Macht, das was wir
durch sie auszurichten im Stande
sind oder vermögen. Weniger
das Wesen treffend ist der Rö-
mische Ausdruck bona, der in die
neueren romanischen Sprachen
übergegangen ist, und der zu-
nächst einen Nebenbegriff bezeich-
net, nämlich das durch jene Macht
begründete Wohlseyn, oder die
Beglückung, die sie uns gewährt.

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. I. Weſen und Arten.
nen wir das Vermögen deſſelben, und die Geſammtheit
der darauf bezüglichen Rechtsinſtitute das Vermögens-
recht
(b).

In der bisher betrachteten Beziehung der Perſon zu
einer fremden Perſon wurde jede derſelben aufgefaßt als
ein in ſich abgeſchloſſenes Ganze, ſo daß jede, in ihrer
abſtracten Perſönlichkeit, der anderen, als einem völlig
fremden (wiewohl gleichartigen) Weſen gegenüber ſtand.
Ganz verſchieden davon iſt die zweyte mögliche Beziehung
zu fremden Perſonen, die nunmehr dargeſtellt werden ſoll.
Hier betrachten wir den einzelnen Menſchen nicht als ein
für ſich beſtehendes Weſen, ſondern als Glied des orga-
niſchen Ganzen der geſammten Menſchheit. Indem nun
ſein Zuſammenhang mit dieſem großen Ganzen ſtets durch
beſtimmte Individuen vermittelt iſt, ſo iſt ſeine Beziehung
zu dieſen Individuen die Grundlage einer neuen, ganz ei-
genthümlichen Art von Rechtsverhältniſſen. In dieſen er-
ſcheint uns der Einzelne nicht, ſo wie in den Obligationen,
als ein ſelbſtſtaͤndiges Ganze, ſondern als ein unvollſtän-
diges, der Ergänzung in einem großen Naturzuſammen-
hang bedürftiges Weſen. Dieſe Unvollſtändigkeit des Ein-

(b) Die deutſche Bezeichnung
des angegebenen Rechtsbegriffs iſt
die treffendſte, die dafür gefunden
werden konnte. Denn es wird
dadurch unmittelbar das Weſen
der Sache ausgedrückt, die durch
das Daſeyn jener Rechte uns zu-
wachſende Macht, das was wir
durch ſie auszurichten im Stande
ſind oder vermögen. Weniger
das Weſen treffend iſt der Rö-
miſche Ausdruck bona, der in die
neueren romaniſchen Sprachen
übergegangen iſt, und der zu-
nächſt einen Nebenbegriff bezeich-
net, nämlich das durch jene Macht
begründete Wohlſeyn, oder die
Beglückung, die ſie uns gewährt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0396" n="340"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">II.</hi> Rechtsverhältni&#x017F;&#x017F;e. Kap. <hi rendition="#aq">I.</hi> We&#x017F;en und Arten.</fw><lb/>
nen wir das <hi rendition="#g">Vermögen</hi> de&#x017F;&#x017F;elben, und die Ge&#x017F;ammtheit<lb/>
der darauf bezüglichen Rechtsin&#x017F;titute das <hi rendition="#g">Vermögens-<lb/>
recht</hi> <note place="foot" n="(b)">Die deut&#x017F;che Bezeichnung<lb/>
des angegebenen Rechtsbegriffs i&#x017F;t<lb/>
die treffend&#x017F;te, die dafür gefunden<lb/>
werden konnte. Denn es wird<lb/>
dadurch unmittelbar das We&#x017F;en<lb/>
der Sache ausgedrückt, die durch<lb/>
das Da&#x017F;eyn jener Rechte uns zu-<lb/>
wach&#x017F;ende Macht, das was wir<lb/>
durch &#x017F;ie auszurichten im Stande<lb/>
&#x017F;ind oder <hi rendition="#g">vermögen</hi>. Weniger<lb/>
das We&#x017F;en treffend i&#x017F;t der Rö-<lb/>
mi&#x017F;che Ausdruck <hi rendition="#aq">bona,</hi> der in die<lb/>
neueren romani&#x017F;chen Sprachen<lb/>
übergegangen i&#x017F;t, und der zu-<lb/>
näch&#x017F;t einen Nebenbegriff bezeich-<lb/>
net, nämlich das durch jene Macht<lb/>
begründete Wohl&#x017F;eyn, oder die<lb/>
Beglückung, die &#x017F;ie uns gewährt.</note>.</p><lb/>
            <p>In der bisher betrachteten Beziehung der Per&#x017F;on zu<lb/>
einer fremden Per&#x017F;on wurde jede der&#x017F;elben aufgefaßt als<lb/>
ein in &#x017F;ich abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enes Ganze, &#x017F;o daß jede, in ihrer<lb/>
ab&#x017F;tracten Per&#x017F;önlichkeit, der anderen, als einem völlig<lb/>
fremden (wiewohl gleichartigen) We&#x017F;en gegenüber &#x017F;tand.<lb/>
Ganz ver&#x017F;chieden davon i&#x017F;t die zweyte mögliche Beziehung<lb/>
zu fremden Per&#x017F;onen, die nunmehr darge&#x017F;tellt werden &#x017F;oll.<lb/>
Hier betrachten wir den einzelnen Men&#x017F;chen nicht als ein<lb/>
für &#x017F;ich be&#x017F;tehendes We&#x017F;en, &#x017F;ondern als Glied des orga-<lb/>
ni&#x017F;chen Ganzen der ge&#x017F;ammten Men&#x017F;chheit. Indem nun<lb/>
&#x017F;ein Zu&#x017F;ammenhang mit die&#x017F;em großen Ganzen &#x017F;tets durch<lb/>
be&#x017F;timmte Individuen vermittelt i&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;eine Beziehung<lb/>
zu die&#x017F;en Individuen die Grundlage einer neuen, ganz ei-<lb/>
genthümlichen Art von Rechtsverhältni&#x017F;&#x017F;en. In die&#x017F;en er-<lb/>
&#x017F;cheint uns der Einzelne nicht, &#x017F;o wie in den Obligationen,<lb/>
als ein &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;ta&#x0364;ndiges Ganze, &#x017F;ondern als ein unvoll&#x017F;tän-<lb/>
diges, der Ergänzung in einem großen Naturzu&#x017F;ammen-<lb/>
hang bedürftiges We&#x017F;en. Die&#x017F;e Unvoll&#x017F;tändigkeit des Ein-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[340/0396] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. I. Weſen und Arten. nen wir das Vermögen deſſelben, und die Geſammtheit der darauf bezüglichen Rechtsinſtitute das Vermögens- recht (b). In der bisher betrachteten Beziehung der Perſon zu einer fremden Perſon wurde jede derſelben aufgefaßt als ein in ſich abgeſchloſſenes Ganze, ſo daß jede, in ihrer abſtracten Perſönlichkeit, der anderen, als einem völlig fremden (wiewohl gleichartigen) Weſen gegenüber ſtand. Ganz verſchieden davon iſt die zweyte mögliche Beziehung zu fremden Perſonen, die nunmehr dargeſtellt werden ſoll. Hier betrachten wir den einzelnen Menſchen nicht als ein für ſich beſtehendes Weſen, ſondern als Glied des orga- niſchen Ganzen der geſammten Menſchheit. Indem nun ſein Zuſammenhang mit dieſem großen Ganzen ſtets durch beſtimmte Individuen vermittelt iſt, ſo iſt ſeine Beziehung zu dieſen Individuen die Grundlage einer neuen, ganz ei- genthümlichen Art von Rechtsverhältniſſen. In dieſen er- ſcheint uns der Einzelne nicht, ſo wie in den Obligationen, als ein ſelbſtſtaͤndiges Ganze, ſondern als ein unvollſtän- diges, der Ergänzung in einem großen Naturzuſammen- hang bedürftiges Weſen. Dieſe Unvollſtändigkeit des Ein- (b) Die deutſche Bezeichnung des angegebenen Rechtsbegriffs iſt die treffendſte, die dafür gefunden werden konnte. Denn es wird dadurch unmittelbar das Weſen der Sache ausgedrückt, die durch das Daſeyn jener Rechte uns zu- wachſende Macht, das was wir durch ſie auszurichten im Stande ſind oder vermögen. Weniger das Weſen treffend iſt der Rö- miſche Ausdruck bona, der in die neueren romaniſchen Sprachen übergegangen iſt, und der zu- nächſt einen Nebenbegriff bezeich- net, nämlich das durch jene Macht begründete Wohlſeyn, oder die Beglückung, die ſie uns gewährt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/396
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/396>, abgerufen am 24.11.2024.