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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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Buch I. Quellen. Kap. IV. Quellen des heutigen R. R.
sie dem Kaiser vorbehält: legum aenigmata solvere; das
heiße: das unerklärliche erklären. Allein im Begriff des
Räthsels liegt so wenig die Unauflöslichkeit, daß vielmehr
die Räthsel nur zum Zweck der Auflösung erfunden zu
werden pflegen. Auch ist es aus anderen Stellen von
Justinian klar, daß in seiner etwas schwülstigen Sprache
aenigma jede Schwierigkeit, keinesweges blos die unbe-
zwingliche, bezeichnet (c). Jene Erklärung der Justinia-
nischen Verordnungen erscheint also von allen Seiten so
ganz unhaltbar, daß deren treffliche Vertheidiger gewiß
nicht ihre Zuflucht dazu genommen hätten, wären sie nicht
durch das Gefühl der äußersten Noth dazu getrieben wor-
den; von dieser Noth aber und von den Hülfsmitteln da-
gegen kann erst in dem folgenden §. die Rede seyn.

Nachdem jetzt der Sinn von Justinians Vorschriften
festgestellt worden ist, muß noch hinzugefügt werden, wie
er sich die Ausführung dachte, wodurch sie ins Leben tre-
ten sollten. Das ist klar, daß bey jedem Zweifel über

(c) In L. un. C. de nudo j.
quir.
(7. 25.) heißt es: nec jure
Quiritium
nomen quod nihil ab
aenigmate discrepat.
Wir ken-
nen den Sinn dieses Kunstaus-
drucks schon durch Ulpian ganz
leidlich, seit Gajus noch viel bes-
ser; in Justinians Zeit, wo man
so viele vollständige Institutiones
u. s. w. hatte, war die Schwie-
rigkeit noch weit geringer. --
Eben so verbietet L. 1 § 13 C.
de vet. j. enucl.
(1. 17.) die
siglorum compendiosa aenig-
mata.
Die Bedeutung der Siglen
aber konnte man von jedem Ab-
schreiber erfahren, auch gab es
schon damals Schriften, worin sie
erklärt waren, namentlich die des
Valerius Probus. -- In beiden
Stellen also heißt aenigma nicht
etwas Unerforschliches, sondern
etwas das man lernen muß, das
man nicht schon durch die tägli-
che Erfahrung, also nicht ohne
einige Anstrengung, kennen lernt.

Buch I. Quellen. Kap. IV. Quellen des heutigen R. R.
ſie dem Kaiſer vorbehält: legum aenigmata solvere; das
heiße: das unerklärliche erklären. Allein im Begriff des
Räthſels liegt ſo wenig die Unauflöslichkeit, daß vielmehr
die Räthſel nur zum Zweck der Auflöſung erfunden zu
werden pflegen. Auch iſt es aus anderen Stellen von
Juſtinian klar, daß in ſeiner etwas ſchwülſtigen Sprache
aenigma jede Schwierigkeit, keinesweges blos die unbe-
zwingliche, bezeichnet (c). Jene Erklärung der Juſtinia-
niſchen Verordnungen erſcheint alſo von allen Seiten ſo
ganz unhaltbar, daß deren treffliche Vertheidiger gewiß
nicht ihre Zuflucht dazu genommen hätten, wären ſie nicht
durch das Gefühl der äußerſten Noth dazu getrieben wor-
den; von dieſer Noth aber und von den Hülfsmitteln da-
gegen kann erſt in dem folgenden §. die Rede ſeyn.

Nachdem jetzt der Sinn von Juſtinians Vorſchriften
feſtgeſtellt worden iſt, muß noch hinzugefügt werden, wie
er ſich die Ausführung dachte, wodurch ſie ins Leben tre-
ten ſollten. Das iſt klar, daß bey jedem Zweifel über

(c) In L. un. C. de nudo j.
quir.
(7. 25.) heißt es: nec jure
Quiritium
nomen quod nihil ab
aenigmate discrepat.
Wir ken-
nen den Sinn dieſes Kunſtaus-
drucks ſchon durch Ulpian ganz
leidlich, ſeit Gajus noch viel beſ-
ſer; in Juſtinians Zeit, wo man
ſo viele vollſtändige Institutiones
u. ſ. w. hatte, war die Schwie-
rigkeit noch weit geringer. —
Eben ſo verbietet L. 1 § 13 C.
de vet. j. enucl.
(1. 17.) die
siglorum compendiosa aenig-
mata.
Die Bedeutung der Siglen
aber konnte man von jedem Ab-
ſchreiber erfahren, auch gab es
ſchon damals Schriften, worin ſie
erklärt waren, namentlich die des
Valerius Probus. — In beiden
Stellen alſo heißt aenigma nicht
etwas Unerforſchliches, ſondern
etwas das man lernen muß, das
man nicht ſchon durch die tägli-
che Erfahrung, alſo nicht ohne
einige Anſtrengung, kennen lernt.
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[308/0364] Buch I. Quellen. Kap. IV. Quellen des heutigen R. R. ſie dem Kaiſer vorbehält: legum aenigmata solvere; das heiße: das unerklärliche erklären. Allein im Begriff des Räthſels liegt ſo wenig die Unauflöslichkeit, daß vielmehr die Räthſel nur zum Zweck der Auflöſung erfunden zu werden pflegen. Auch iſt es aus anderen Stellen von Juſtinian klar, daß in ſeiner etwas ſchwülſtigen Sprache aenigma jede Schwierigkeit, keinesweges blos die unbe- zwingliche, bezeichnet (c). Jene Erklärung der Juſtinia- niſchen Verordnungen erſcheint alſo von allen Seiten ſo ganz unhaltbar, daß deren treffliche Vertheidiger gewiß nicht ihre Zuflucht dazu genommen hätten, wären ſie nicht durch das Gefühl der äußerſten Noth dazu getrieben wor- den; von dieſer Noth aber und von den Hülfsmitteln da- gegen kann erſt in dem folgenden §. die Rede ſeyn. Nachdem jetzt der Sinn von Juſtinians Vorſchriften feſtgeſtellt worden iſt, muß noch hinzugefügt werden, wie er ſich die Ausführung dachte, wodurch ſie ins Leben tre- ten ſollten. Das iſt klar, daß bey jedem Zweifel über (c) In L. un. C. de nudo j. quir. (7. 25.) heißt es: nec jure Quiritium nomen quod nihil ab aenigmate discrepat. Wir ken- nen den Sinn dieſes Kunſtaus- drucks ſchon durch Ulpian ganz leidlich, ſeit Gajus noch viel beſ- ſer; in Juſtinians Zeit, wo man ſo viele vollſtändige Institutiones u. ſ. w. hatte, war die Schwie- rigkeit noch weit geringer. — Eben ſo verbietet L. 1 § 13 C. de vet. j. enucl. (1. 17.) die siglorum compendiosa aenig- mata. Die Bedeutung der Siglen aber konnte man von jedem Ab- ſchreiber erfahren, auch gab es ſchon damals Schriften, worin ſie erklärt waren, namentlich die des Valerius Probus. — In beiden Stellen alſo heißt aenigma nicht etwas Unerforſchliches, ſondern etwas das man lernen muß, das man nicht ſchon durch die tägli- che Erfahrung, alſo nicht ohne einige Anſtrengung, kennen lernt.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/364>, abgerufen am 24.11.2024.