rer Freyheit geübt werden kann. Sie kann aber auch vorkommen (so wie wir sie hier betrachten) als eine Art reiner Auslegung, etwa indem einem Richter zuerst das neue Rechtsverhältniß oder die neue Rechtsfrage zur Ent- scheidung vorgelegt wird. Für diese Art der Anwendung der Analogie sollen nunmehr noch einige nähere Bestim- mungen gegeben werden.
Jede Anwendung der Analogie beruht auf der voraus- gesetzten inneren Consequenz des Rechts: nur ist diese nicht immer eine blos logische Consequenz, wie das reine Ver- hältniß zwischen Grund und Folge, sondern zugleich eine organische, die aus der Gesammtanschauung der prakti- schen Natur der Rechtsverhältnisse und ihrer Urbilder her- vorgeht (§ 4. 5.). Wir müssen dabey stets ausgehen von einem Gegebenen, welches wir zur Lösung der vorliegen- den Aufgabe erweitern. Dieses Gegebene kann seyn ein bestimmtes einzelnes Gesetz, in welchem Fall der Name einer Entscheidung ex argumento legis üblich ist; weit häufiger aber wird das Gegebene in solchen Bestandthei- len der Rechtstheorie enthalten seyn, die selbst schon auf dem künstlichen Wege der Abstraction entstanden waren. In allen Fällen aber ist dieses Verfahren wesentlich ver- schieden von der oben erklärten ausdehnenden Auslegung (§ 37), womit es sehr häufig verwechselt wird. Denn diese soll nicht etwa eine Lücke des Rechts ausfüllen, son- dern den unrichtig gewählten Ausdruck eines Gesetzes aus dessen wirklichem Gedanken berichtigen. Bey dem Verfah-
Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze.
rer Freyheit geübt werden kann. Sie kann aber auch vorkommen (ſo wie wir ſie hier betrachten) als eine Art reiner Auslegung, etwa indem einem Richter zuerſt das neue Rechtsverhältniß oder die neue Rechtsfrage zur Ent- ſcheidung vorgelegt wird. Für dieſe Art der Anwendung der Analogie ſollen nunmehr noch einige nähere Beſtim- mungen gegeben werden.
Jede Anwendung der Analogie beruht auf der voraus- geſetzten inneren Conſequenz des Rechts: nur iſt dieſe nicht immer eine blos logiſche Conſequenz, wie das reine Ver- hältniß zwiſchen Grund und Folge, ſondern zugleich eine organiſche, die aus der Geſammtanſchauung der prakti- ſchen Natur der Rechtsverhältniſſe und ihrer Urbilder her- vorgeht (§ 4. 5.). Wir müſſen dabey ſtets ausgehen von einem Gegebenen, welches wir zur Löſung der vorliegen- den Aufgabe erweitern. Dieſes Gegebene kann ſeyn ein beſtimmtes einzelnes Geſetz, in welchem Fall der Name einer Entſcheidung ex argumento legis üblich iſt; weit häufiger aber wird das Gegebene in ſolchen Beſtandthei- len der Rechtstheorie enthalten ſeyn, die ſelbſt ſchon auf dem künſtlichen Wege der Abſtraction entſtanden waren. In allen Fällen aber iſt dieſes Verfahren weſentlich ver- ſchieden von der oben erklärten ausdehnenden Auslegung (§ 37), womit es ſehr häufig verwechſelt wird. Denn dieſe ſoll nicht etwa eine Lücke des Rechts ausfüllen, ſon- dern den unrichtig gewählten Ausdruck eines Geſetzes aus deſſen wirklichem Gedanken berichtigen. Bey dem Verfah-
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Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze.
rer Freyheit geübt werden kann. Sie kann aber auch
vorkommen (ſo wie wir ſie hier betrachten) als eine Art
reiner Auslegung, etwa indem einem Richter zuerſt das
neue Rechtsverhältniß oder die neue Rechtsfrage zur Ent-
ſcheidung vorgelegt wird. Für dieſe Art der Anwendung
der Analogie ſollen nunmehr noch einige nähere Beſtim-
mungen gegeben werden.
Jede Anwendung der Analogie beruht auf der voraus-
geſetzten inneren Conſequenz des Rechts: nur iſt dieſe nicht
immer eine blos logiſche Conſequenz, wie das reine Ver-
hältniß zwiſchen Grund und Folge, ſondern zugleich eine
organiſche, die aus der Geſammtanſchauung der prakti-
ſchen Natur der Rechtsverhältniſſe und ihrer Urbilder her-
vorgeht (§ 4. 5.). Wir müſſen dabey ſtets ausgehen von
einem Gegebenen, welches wir zur Löſung der vorliegen-
den Aufgabe erweitern. Dieſes Gegebene kann ſeyn ein
beſtimmtes einzelnes Geſetz, in welchem Fall der Name
einer Entſcheidung ex argumento legis üblich iſt; weit
häufiger aber wird das Gegebene in ſolchen Beſtandthei-
len der Rechtstheorie enthalten ſeyn, die ſelbſt ſchon auf
dem künſtlichen Wege der Abſtraction entſtanden waren.
In allen Fällen aber iſt dieſes Verfahren weſentlich ver-
ſchieden von der oben erklärten ausdehnenden Auslegung
(§ 37), womit es ſehr häufig verwechſelt wird. Denn
dieſe ſoll nicht etwa eine Lücke des Rechts ausfüllen, ſon-
dern den unrichtig gewählten Ausdruck eines Geſetzes aus
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/348>, abgerufen am 18.05.2024.
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