eine weit ausgedehntere Anwendung zuläßt, weil die neuere, allein gültige Stelle durch aufgenommene Stellen aus dem älteren Recht deutlicher werden sollte. Dabey also wird vorausgesetzt, daß die älteren Stellen dazu aufgenommen wurden, um ein Stück der Rechtsgeschichte mitzutheilen, welches zur Erläuterung der neuesten Stelle nöthig schien.
Die Richtigkeit dieser letzten Voraussetzung wird aber durch folgende Umstände vollkommen bestätigt. Erstlich durch die Zusammensetzung der Rechtsbücher aus einem seit Jahrhunderten allmälig entstandenen historischen Ma- terial, wobey die Entwicklung der Rechtssätze durchaus sichtbar werden mußte, anstatt daß sie bey einem neu ge- schriebenen Werk wohl hätte verwischt werden können. Zweytens durch die sorgfältige Beybehaltung der histori- schen Bezeichnung jeder Stelle, wobey kein anderer Zweck gedacht werden kann, als die Erklärung des Geltenden aus dem Früheren möglich zu machen. Drittens durch so viele neue, abändernde Constitutionen, welche fast gar nicht zu verstehen sind, wenn man sie nicht mit dem frü- heren Recht, das sie abändern sollen, vergleicht. Endlich durch die Beschaffenheit der Institutionen insbesondere. Diese sollten nichts Veraltetes enthalten (m), und dennoch
aufzunehmen, da ja die alten Constitutionen und Bücher nicht zerstört wurden. Daß es aber in der That geschehen ist, sagt ausdrücklich Justinian selbst. Nov. 89. C. 7.
(m)Prooem. Inst. § 3 "ut .. nihil inutile, nihil perperam positum, sed quod in ipsis re- rum obtinet argumentis, ac- cipiant."
Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze.
eine weit ausgedehntere Anwendung zuläßt, weil die neuere, allein gültige Stelle durch aufgenommene Stellen aus dem älteren Recht deutlicher werden ſollte. Dabey alſo wird vorausgeſetzt, daß die älteren Stellen dazu aufgenommen wurden, um ein Stück der Rechtsgeſchichte mitzutheilen, welches zur Erläuterung der neueſten Stelle nöthig ſchien.
Die Richtigkeit dieſer letzten Vorausſetzung wird aber durch folgende Umſtände vollkommen beſtätigt. Erſtlich durch die Zuſammenſetzung der Rechtsbücher aus einem ſeit Jahrhunderten allmälig entſtandenen hiſtoriſchen Ma- terial, wobey die Entwicklung der Rechtsſätze durchaus ſichtbar werden mußte, anſtatt daß ſie bey einem neu ge- ſchriebenen Werk wohl hätte verwiſcht werden können. Zweytens durch die ſorgfältige Beybehaltung der hiſtori- ſchen Bezeichnung jeder Stelle, wobey kein anderer Zweck gedacht werden kann, als die Erklärung des Geltenden aus dem Früheren möglich zu machen. Drittens durch ſo viele neue, abändernde Conſtitutionen, welche faſt gar nicht zu verſtehen ſind, wenn man ſie nicht mit dem frü- heren Recht, das ſie abändern ſollen, vergleicht. Endlich durch die Beſchaffenheit der Inſtitutionen insbeſondere. Dieſe ſollten nichts Veraltetes enthalten (m), und dennoch
aufzunehmen, da ja die alten Conſtitutionen und Bücher nicht zerſtört wurden. Daß es aber in der That geſchehen iſt, ſagt ausdrücklich Juſtinian ſelbſt. Nov. 89. C. 7.
(m)Prooem. Inst. § 3 „ut .. nihil inutile, nihil perperam positum, sed quod in ipsis re- rum obtinet argumentis, ac- cipiant.”
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Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze.
eine weit ausgedehntere Anwendung zuläßt, weil die neuere,
allein gültige Stelle durch aufgenommene Stellen aus dem
älteren Recht deutlicher werden ſollte. Dabey alſo wird
vorausgeſetzt, daß die älteren Stellen dazu aufgenommen
wurden, um ein Stück der Rechtsgeſchichte mitzutheilen,
welches zur Erläuterung der neueſten Stelle nöthig ſchien.
Die Richtigkeit dieſer letzten Vorausſetzung wird aber
durch folgende Umſtände vollkommen beſtätigt. Erſtlich
durch die Zuſammenſetzung der Rechtsbücher aus einem
ſeit Jahrhunderten allmälig entſtandenen hiſtoriſchen Ma-
terial, wobey die Entwicklung der Rechtsſätze durchaus
ſichtbar werden mußte, anſtatt daß ſie bey einem neu ge-
ſchriebenen Werk wohl hätte verwiſcht werden können.
Zweytens durch die ſorgfältige Beybehaltung der hiſtori-
ſchen Bezeichnung jeder Stelle, wobey kein anderer Zweck
gedacht werden kann, als die Erklärung des Geltenden
aus dem Früheren möglich zu machen. Drittens durch ſo
viele neue, abändernde Conſtitutionen, welche faſt gar
nicht zu verſtehen ſind, wenn man ſie nicht mit dem frü-
heren Recht, das ſie abändern ſollen, vergleicht. Endlich
durch die Beſchaffenheit der Inſtitutionen insbeſondere.
Dieſe ſollten nichts Veraltetes enthalten (m), und dennoch
(l)
(m) Prooem. Inst. § 3 „ut ..
nihil inutile, nihil perperam
positum, sed quod in ipsis re-
rum obtinet argumentis, ac-
cipiant.”
(l) aufzunehmen, da ja die alten
Conſtitutionen und Bücher nicht
zerſtört wurden. Daß es aber
in der That geſchehen iſt, ſagt
ausdrücklich Juſtinian ſelbſt. Nov.
89. C. 7.
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/334>, abgerufen am 23.07.2024.
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