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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Gesetze.
suchen: der negativen, durch Entfernung von Widersprü-
chen, der positiven, durch die Ausfüllung von Lücken.

Der Fall des inneren Widerspruchs unter einzelnen
Stücken des Quellenkreises hat Verwandtschaft mit dem
unbestimmten Ausdruck in einzelnen Gesetzen (§ 35. 36.).
Beide Mängel kommen darin überein, daß die Erkenntniß
derselben auf rein logischem Wege erlangt wird, daß die
Abhülfe schlechthin nothwendig ist, und daß dieselbe an-
ders, als auf logischem Wege (hier durch historische Mit-
tel) zu suchen ist. Der allgemeinste Grundsatz führt da-
hin, den Widerspruch wo möglich in bloßen Schein auf-
zulösen, also die Vereinigung des scheinbar Widerspre-
chenden zu suchen. Nur wo diese Vereinigung nicht
gelingt, finden die folgenden Regeln ihre Anwendung.

Der Widerspruch kann vorkommen entweder innerhalb
unsres allgemeinen Quellenkreises (§ 17--20), oder nur
mit Rücksicht auf die demselben hypothetisch hinzutretenden
Quellen (§ 21).

Der allgemeine Quellenkreis besteht in Deutschland aus
den Justinianischen Gesetzen, dem canonischen Recht, den
Reichsgesetzen, und dem wissenschaftlich entstandenen Ge-
wohnheitsrecht, oder dem Gerichtsgebrauch. Findet sich
hierin ein unauflöslicher Widerspruch, so gilt die Regel,
daß das neuere Quellenstück dem älteren vorzuziehen ist.
Der Grund dieser Regel liegt darin, daß ein Widerspruch
der hier beschriebenen Art zu der fortschreitenden Entwick-
lung des Rechts gehört, so daß mit der Gründung der

Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze.
ſuchen: der negativen, durch Entfernung von Widerſprü-
chen, der poſitiven, durch die Ausfüllung von Lücken.

Der Fall des inneren Widerſpruchs unter einzelnen
Stücken des Quellenkreiſes hat Verwandtſchaft mit dem
unbeſtimmten Ausdruck in einzelnen Geſetzen (§ 35. 36.).
Beide Mängel kommen darin überein, daß die Erkenntniß
derſelben auf rein logiſchem Wege erlangt wird, daß die
Abhülfe ſchlechthin nothwendig iſt, und daß dieſelbe an-
ders, als auf logiſchem Wege (hier durch hiſtoriſche Mit-
tel) zu ſuchen iſt. Der allgemeinſte Grundſatz führt da-
hin, den Widerſpruch wo möglich in bloßen Schein auf-
zulöſen, alſo die Vereinigung des ſcheinbar Widerſpre-
chenden zu ſuchen. Nur wo dieſe Vereinigung nicht
gelingt, finden die folgenden Regeln ihre Anwendung.

Der Widerſpruch kann vorkommen entweder innerhalb
unſres allgemeinen Quellenkreiſes (§ 17—20), oder nur
mit Rückſicht auf die demſelben hypothetiſch hinzutretenden
Quellen (§ 21).

Der allgemeine Quellenkreis beſteht in Deutſchland aus
den Juſtinianiſchen Geſetzen, dem canoniſchen Recht, den
Reichsgeſetzen, und dem wiſſenſchaftlich entſtandenen Ge-
wohnheitsrecht, oder dem Gerichtsgebrauch. Findet ſich
hierin ein unauflöslicher Widerſpruch, ſo gilt die Regel,
daß das neuere Quellenſtück dem älteren vorzuziehen iſt.
Der Grund dieſer Regel liegt darin, daß ein Widerſpruch
der hier beſchriebenen Art zu der fortſchreitenden Entwick-
lung des Rechts gehört, ſo daß mit der Gründung der

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[264/0320] Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze. ſuchen: der negativen, durch Entfernung von Widerſprü- chen, der poſitiven, durch die Ausfüllung von Lücken. Der Fall des inneren Widerſpruchs unter einzelnen Stücken des Quellenkreiſes hat Verwandtſchaft mit dem unbeſtimmten Ausdruck in einzelnen Geſetzen (§ 35. 36.). Beide Mängel kommen darin überein, daß die Erkenntniß derſelben auf rein logiſchem Wege erlangt wird, daß die Abhülfe ſchlechthin nothwendig iſt, und daß dieſelbe an- ders, als auf logiſchem Wege (hier durch hiſtoriſche Mit- tel) zu ſuchen iſt. Der allgemeinſte Grundſatz führt da- hin, den Widerſpruch wo möglich in bloßen Schein auf- zulöſen, alſo die Vereinigung des ſcheinbar Widerſpre- chenden zu ſuchen. Nur wo dieſe Vereinigung nicht gelingt, finden die folgenden Regeln ihre Anwendung. Der Widerſpruch kann vorkommen entweder innerhalb unſres allgemeinen Quellenkreiſes (§ 17—20), oder nur mit Rückſicht auf die demſelben hypothetiſch hinzutretenden Quellen (§ 21). Der allgemeine Quellenkreis beſteht in Deutſchland aus den Juſtinianiſchen Geſetzen, dem canoniſchen Recht, den Reichsgeſetzen, und dem wiſſenſchaftlich entſtandenen Ge- wohnheitsrecht, oder dem Gerichtsgebrauch. Findet ſich hierin ein unauflöslicher Widerſpruch, ſo gilt die Regel, daß das neuere Quellenſtück dem älteren vorzuziehen iſt. Der Grund dieſer Regel liegt darin, daß ein Widerſpruch der hier beſchriebenen Art zu der fortſchreitenden Entwick- lung des Rechts gehört, ſo daß mit der Gründung der

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/320>, abgerufen am 21.05.2024.