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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Gesetze.

Der Gebrauch des Gesetzgrundes ist zuerst unbedenk-
lich und wichtig, wo es darauf ankommt, die Natur der
in dem Gesetz enthaltenen Rechtsregel zu bestimmen: näm-
lich, ob sie eine absolute oder vermittelnde ist, desgleichen,
ob sie als Jus commune oder singulare angesehen werden
muß (§ 16). -- Ungleich bedenklicher, und nur mit großer
Vorsicht zulässig, ist der Gebrauch des Gesetzgrundes zur
Auslegung der Gesetze; insbesondere ist dieser Gebrauch
auch abhängig von den verschiedenen Graden der Gewiß-
heit und der Verwandtschaft des Grundes, wie diese
Verschiedenheiten so eben genauer erklärt worden sind.
Die besonderen Bestimmungen hierüber können erst weiter
unten gegeben werden.

Es sind also hier bey den Gesetzgründen mancherley Ver-
schiedenheiten bemerkt worden: in der Art der Beziehung auf
den Inhalt, in der Gewißheit, in der Verwandtschaft mit
dem Inhalt, und in der Anwendbarkeit. Allein neben
diesen Verschiedenheiten besteht das Gemeinsame, daß sie
stets ein Verhältniß haben zu dem Wesen des Gesetzin-
haltes selbst, oder mit anderen Worten eine objective, aus
dem Denken des Gesetzgebers heraustretende Natur. Die-
ser ihrer Natur nach sind sie an sich für Jeden erkenn-
bar, und wir können es nur für zufällig ansehen, wenn
sie uns in einzelnen Fällen verborgen bleiben. Sie stehen
daher in einem scharfen Gegensatz zu denjenigen That-
sachen, welche ein blos subjectives Verhältniß zu dem
Denken des Gesetzgebers haben, und bey denen die Erkenn-

Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze.

Der Gebrauch des Geſetzgrundes iſt zuerſt unbedenk-
lich und wichtig, wo es darauf ankommt, die Natur der
in dem Geſetz enthaltenen Rechtsregel zu beſtimmen: näm-
lich, ob ſie eine abſolute oder vermittelnde iſt, desgleichen,
ob ſie als Jus commune oder singulare angeſehen werden
muß (§ 16). — Ungleich bedenklicher, und nur mit großer
Vorſicht zuläſſig, iſt der Gebrauch des Geſetzgrundes zur
Auslegung der Geſetze; insbeſondere iſt dieſer Gebrauch
auch abhängig von den verſchiedenen Graden der Gewiß-
heit und der Verwandtſchaft des Grundes, wie dieſe
Verſchiedenheiten ſo eben genauer erklärt worden ſind.
Die beſonderen Beſtimmungen hierüber können erſt weiter
unten gegeben werden.

Es ſind alſo hier bey den Geſetzgründen mancherley Ver-
ſchiedenheiten bemerkt worden: in der Art der Beziehung auf
den Inhalt, in der Gewißheit, in der Verwandtſchaft mit
dem Inhalt, und in der Anwendbarkeit. Allein neben
dieſen Verſchiedenheiten beſteht das Gemeinſame, daß ſie
ſtets ein Verhältniß haben zu dem Weſen des Geſetzin-
haltes ſelbſt, oder mit anderen Worten eine objective, aus
dem Denken des Geſetzgebers heraustretende Natur. Die-
ſer ihrer Natur nach ſind ſie an ſich für Jeden erkenn-
bar, und wir können es nur für zufällig anſehen, wenn
ſie uns in einzelnen Fällen verborgen bleiben. Sie ſtehen
daher in einem ſcharfen Gegenſatz zu denjenigen That-
ſachen, welche ein blos ſubjectives Verhältniß zu dem
Denken des Geſetzgebers haben, und bey denen die Erkenn-

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[220/0276] Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze. Der Gebrauch des Geſetzgrundes iſt zuerſt unbedenk- lich und wichtig, wo es darauf ankommt, die Natur der in dem Geſetz enthaltenen Rechtsregel zu beſtimmen: näm- lich, ob ſie eine abſolute oder vermittelnde iſt, desgleichen, ob ſie als Jus commune oder singulare angeſehen werden muß (§ 16). — Ungleich bedenklicher, und nur mit großer Vorſicht zuläſſig, iſt der Gebrauch des Geſetzgrundes zur Auslegung der Geſetze; insbeſondere iſt dieſer Gebrauch auch abhängig von den verſchiedenen Graden der Gewiß- heit und der Verwandtſchaft des Grundes, wie dieſe Verſchiedenheiten ſo eben genauer erklärt worden ſind. Die beſonderen Beſtimmungen hierüber können erſt weiter unten gegeben werden. Es ſind alſo hier bey den Geſetzgründen mancherley Ver- ſchiedenheiten bemerkt worden: in der Art der Beziehung auf den Inhalt, in der Gewißheit, in der Verwandtſchaft mit dem Inhalt, und in der Anwendbarkeit. Allein neben dieſen Verſchiedenheiten beſteht das Gemeinſame, daß ſie ſtets ein Verhältniß haben zu dem Weſen des Geſetzin- haltes ſelbſt, oder mit anderen Worten eine objective, aus dem Denken des Geſetzgebers heraustretende Natur. Die- ſer ihrer Natur nach ſind ſie an ſich für Jeden erkenn- bar, und wir können es nur für zufällig anſehen, wenn ſie uns in einzelnen Fällen verborgen bleiben. Sie ſtehen daher in einem ſcharfen Gegenſatz zu denjenigen That- ſachen, welche ein blos ſubjectives Verhältniß zu dem Denken des Geſetzgebers haben, und bey denen die Erkenn-

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/276>, abgerufen am 17.05.2024.