Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorrede.
Ereignisse des wirklichen Lebens. Dieses zweyfache Ele-
ment des Rechts, das theoretische und das praktische, ge-
hört demnach dem allgemeinen Wesen des Rechts selbst
an. Es liegt aber in dem Entwicklungsgang der neue-
ren Jahrhunderte, daß diese zwey Richtungen zugleich
in verschiedenen Ständen und Berufsarten aus einan-
der getreten sind, daß also die Rechtskundigen, mit sel-
tenen Ausnahmen, durch ihren ausschließenden oder
überwiegenden Beruf entweder der Theorie oder der
Praxis allein angehören. Wie dieses nicht durch mensch-
liche Willkühr so geworden ist, so ist daran auch im All-
gemeinen Nichts zu loben oder zu tadeln. Wohl aber
ist es wichtig, mit Ernst zu erwägen, was in diesem Ge-
gensatz naturgemäß und heilsam ist, wie er dagegen in
verderbliche Einseitigkeit ausschlagen kann. Es beruht
aber alles Heil darauf, daß in diesen gesonderten Thä-
tigkeiten Jeder die ursprüngliche Einheit fest im Auge
behalte, daß also in gewissem Grade jeder Theoretiker
den praktischen, jeder Praktiker den theoretischen Sinn
in sich erhalte und entwickle. Wo dieses nicht geschieht,
wo die Trennung zwischen Theorie und Praxis eine ab-
solute wird, da entsteht unvermeidlich die Gefahr, daß
die Theorie zu einem leeren Spiel, die Praxis zu einem
bloßen Handwerk herabsinke.


Vorrede.
Ereigniſſe des wirklichen Lebens. Dieſes zweyfache Ele-
ment des Rechts, das theoretiſche und das praktiſche, ge-
hört demnach dem allgemeinen Weſen des Rechts ſelbſt
an. Es liegt aber in dem Entwicklungsgang der neue-
ren Jahrhunderte, daß dieſe zwey Richtungen zugleich
in verſchiedenen Ständen und Berufsarten aus einan-
der getreten ſind, daß alſo die Rechtskundigen, mit ſel-
tenen Ausnahmen, durch ihren ausſchließenden oder
überwiegenden Beruf entweder der Theorie oder der
Praxis allein angehören. Wie dieſes nicht durch menſch-
liche Willkühr ſo geworden iſt, ſo iſt daran auch im All-
gemeinen Nichts zu loben oder zu tadeln. Wohl aber
iſt es wichtig, mit Ernſt zu erwägen, was in dieſem Ge-
genſatz naturgemäß und heilſam iſt, wie er dagegen in
verderbliche Einſeitigkeit ausſchlagen kann. Es beruht
aber alles Heil darauf, daß in dieſen geſonderten Thä-
tigkeiten Jeder die urſprüngliche Einheit feſt im Auge
behalte, daß alſo in gewiſſem Grade jeder Theoretiker
den praktiſchen, jeder Praktiker den theoretiſchen Sinn
in ſich erhalte und entwickle. Wo dieſes nicht geſchieht,
wo die Trennung zwiſchen Theorie und Praxis eine ab-
ſolute wird, da entſteht unvermeidlich die Gefahr, daß
die Theorie zu einem leeren Spiel, die Praxis zu einem
bloßen Handwerk herabſinke.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0026" n="XX"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Vorrede</hi>.</fw><lb/>
Ereigni&#x017F;&#x017F;e des wirklichen Lebens. Die&#x017F;es zweyfache Ele-<lb/>
ment des Rechts, das theoreti&#x017F;che und das prakti&#x017F;che, ge-<lb/>
hört demnach dem allgemeinen We&#x017F;en des Rechts &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
an. Es liegt aber in dem Entwicklungsgang der neue-<lb/>
ren Jahrhunderte, daß die&#x017F;e zwey Richtungen zugleich<lb/>
in ver&#x017F;chiedenen Ständen und Berufsarten aus einan-<lb/>
der getreten &#x017F;ind, daß al&#x017F;o die Rechtskundigen, mit &#x017F;el-<lb/>
tenen Ausnahmen, durch ihren aus&#x017F;chließenden oder<lb/>
überwiegenden Beruf entweder der Theorie oder der<lb/>
Praxis allein angehören. Wie die&#x017F;es nicht durch men&#x017F;ch-<lb/>
liche Willkühr &#x017F;o geworden i&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;t daran auch im All-<lb/>
gemeinen Nichts zu loben oder zu tadeln. Wohl aber<lb/>
i&#x017F;t es wichtig, mit Ern&#x017F;t zu erwägen, was in die&#x017F;em Ge-<lb/>
gen&#x017F;atz naturgemäß und heil&#x017F;am i&#x017F;t, wie er dagegen in<lb/>
verderbliche Ein&#x017F;eitigkeit aus&#x017F;chlagen kann. Es beruht<lb/>
aber alles Heil darauf, daß in die&#x017F;en ge&#x017F;onderten Thä-<lb/>
tigkeiten Jeder die ur&#x017F;prüngliche Einheit fe&#x017F;t im Auge<lb/>
behalte, daß al&#x017F;o in gewi&#x017F;&#x017F;em Grade jeder Theoretiker<lb/>
den prakti&#x017F;chen, jeder Praktiker den theoreti&#x017F;chen Sinn<lb/>
in &#x017F;ich erhalte und entwickle. Wo die&#x017F;es nicht ge&#x017F;chieht,<lb/>
wo die Trennung zwi&#x017F;chen Theorie und Praxis eine ab-<lb/>
&#x017F;olute wird, da ent&#x017F;teht unvermeidlich die Gefahr, daß<lb/>
die Theorie zu einem leeren Spiel, die Praxis zu einem<lb/>
bloßen Handwerk herab&#x017F;inke.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[XX/0026] Vorrede. Ereigniſſe des wirklichen Lebens. Dieſes zweyfache Ele- ment des Rechts, das theoretiſche und das praktiſche, ge- hört demnach dem allgemeinen Weſen des Rechts ſelbſt an. Es liegt aber in dem Entwicklungsgang der neue- ren Jahrhunderte, daß dieſe zwey Richtungen zugleich in verſchiedenen Ständen und Berufsarten aus einan- der getreten ſind, daß alſo die Rechtskundigen, mit ſel- tenen Ausnahmen, durch ihren ausſchließenden oder überwiegenden Beruf entweder der Theorie oder der Praxis allein angehören. Wie dieſes nicht durch menſch- liche Willkühr ſo geworden iſt, ſo iſt daran auch im All- gemeinen Nichts zu loben oder zu tadeln. Wohl aber iſt es wichtig, mit Ernſt zu erwägen, was in dieſem Ge- genſatz naturgemäß und heilſam iſt, wie er dagegen in verderbliche Einſeitigkeit ausſchlagen kann. Es beruht aber alles Heil darauf, daß in dieſen geſonderten Thä- tigkeiten Jeder die urſprüngliche Einheit feſt im Auge behalte, daß alſo in gewiſſem Grade jeder Theoretiker den praktiſchen, jeder Praktiker den theoretiſchen Sinn in ſich erhalte und entwickle. Wo dieſes nicht geſchieht, wo die Trennung zwiſchen Theorie und Praxis eine ab- ſolute wird, da entſteht unvermeidlich die Gefahr, daß die Theorie zu einem leeren Spiel, die Praxis zu einem bloßen Handwerk herabſinke.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/26
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. XX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/26>, abgerufen am 26.04.2024.