Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R. Kraft der Regel. Diese Überzeugung kann sich offenbarendurch gleichförmige einzelne Handlungen, das heißt durch Gewohnheit. Dann müssen aber diese Handlungen nicht von dem Bewußtseyn der Willkührlichkeit begleitet seyn, wie z. B. Freygebigkeit, oder auch ein häufig vorkommen- des Verbrechen, bey welchem ja kein Handelnder an sei- nem Unrecht, also an der individuellen Willkühr seines Thuns zweifelt. Sie dürfen aber eben so wenig aus einem erweislichen Irrthum hervorgehen, denn auch in diesem Fall liegt in ihnen nicht der Ausdruck jener unmittelbaren Überzeugung, worauf allein Alles ankommt (l). Ein sehr erläuterndes Beyspiel ist es, wenn etwa der Richter aus Versehen eine unglossirte Stelle des Justinianischen Rechts zur Anwendung bringt, blos weil in seiner Ausgabe solche Stellen nicht augenscheinlich von den anderen unterschieden sind (§ 17); thun ihm das auch Mehrere nach, so entsteht daraus dennoch kein Gewohnheitsrecht. -- Betrachten wir also den Irrthum und die Unvernünftigkeit blos als solche Eigenschaften des Handelns, wodurch es unfähig wird, zur Anerkennung eines Gewohnheitsrechts mitzuwirken, so erscheint die Bedingung ihrer Abwesenheit nicht als (l) L. 39 de leg. (1. 3.) "Quod
non ratione introductum, sed errore primum, deinde consue- tudine obtentum est: in aliis similibus non obtinet." Das heißt: wenn die Gewohnheit aus- ging nicht von einer gemeinsa- men Rechtsüberzeugung, sondern sogar erweislich von einem Irr- thume (der jene Überzeugung nothwendig ausschließt), so ist deshalb kein Gewohnheitsrecht anzunehmen, und wir finden also darin keinen Grund, die künfti- gen Fälle gleicher Art nach die- ser Regel zu beurtheilen. Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R. Kraft der Regel. Dieſe Überzeugung kann ſich offenbarendurch gleichförmige einzelne Handlungen, das heißt durch Gewohnheit. Dann müſſen aber dieſe Handlungen nicht von dem Bewußtſeyn der Willkührlichkeit begleitet ſeyn, wie z. B. Freygebigkeit, oder auch ein häufig vorkommen- des Verbrechen, bey welchem ja kein Handelnder an ſei- nem Unrecht, alſo an der individuellen Willkühr ſeines Thuns zweifelt. Sie dürfen aber eben ſo wenig aus einem erweislichen Irrthum hervorgehen, denn auch in dieſem Fall liegt in ihnen nicht der Ausdruck jener unmittelbaren Überzeugung, worauf allein Alles ankommt (l). Ein ſehr erläuterndes Beyſpiel iſt es, wenn etwa der Richter aus Verſehen eine ungloſſirte Stelle des Juſtinianiſchen Rechts zur Anwendung bringt, blos weil in ſeiner Ausgabe ſolche Stellen nicht augenſcheinlich von den anderen unterſchieden ſind (§ 17); thun ihm das auch Mehrere nach, ſo entſteht daraus dennoch kein Gewohnheitsrecht. — Betrachten wir alſo den Irrthum und die Unvernünftigkeit blos als ſolche Eigenſchaften des Handelns, wodurch es unfähig wird, zur Anerkennung eines Gewohnheitsrechts mitzuwirken, ſo erſcheint die Bedingung ihrer Abweſenheit nicht als (l) L. 39 de leg. (1. 3.) „Quod
non ratione introductum, sed errore primum, deinde consue- tudine obtentum est: in aliis similibus non obtinet.” Das heißt: wenn die Gewohnheit aus- ging nicht von einer gemeinſa- men Rechtsüberzeugung, ſondern ſogar erweislich von einem Irr- thume (der jene Überzeugung nothwendig ausſchließt), ſo iſt deshalb kein Gewohnheitsrecht anzunehmen, und wir finden alſo darin keinen Grund, die künfti- gen Fälle gleicher Art nach die- ſer Regel zu beurtheilen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0234" n="178"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">I.</hi> Quellen. Kap. <hi rendition="#aq">III.</hi> Quellen des heutigen R. R.</fw><lb/> Kraft der Regel. Dieſe Überzeugung kann ſich offenbaren<lb/> durch gleichförmige einzelne Handlungen, das heißt durch<lb/> Gewohnheit. Dann müſſen aber dieſe Handlungen nicht<lb/> von dem Bewußtſeyn der Willkührlichkeit begleitet ſeyn,<lb/> wie z. B. Freygebigkeit, oder auch ein häufig vorkommen-<lb/> des Verbrechen, bey welchem ja kein Handelnder an ſei-<lb/> nem Unrecht, alſo an der individuellen Willkühr ſeines<lb/> Thuns zweifelt. Sie dürfen aber eben ſo wenig aus einem<lb/> erweislichen Irrthum hervorgehen, denn auch in dieſem<lb/> Fall liegt in ihnen nicht der Ausdruck jener unmittelbaren<lb/> Überzeugung, worauf allein Alles ankommt <note place="foot" n="(l)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 39 <hi rendition="#i">de leg.</hi> (1. 3.) „Quod<lb/> non ratione introductum, sed<lb/> errore primum, deinde consue-<lb/> tudine obtentum est: in aliis<lb/> similibus non obtinet.”</hi> Das<lb/> heißt: wenn die Gewohnheit aus-<lb/> ging nicht von einer gemeinſa-<lb/> men Rechtsüberzeugung, ſondern<lb/> ſogar erweislich von einem Irr-<lb/> thume (der jene Überzeugung<lb/> nothwendig ausſchließt), ſo iſt<lb/> deshalb kein Gewohnheitsrecht<lb/> anzunehmen, und wir finden alſo<lb/> darin keinen Grund, die künfti-<lb/> gen Fälle gleicher Art nach die-<lb/> ſer Regel zu beurtheilen.</note>. Ein ſehr<lb/> erläuterndes Beyſpiel iſt es, wenn etwa der Richter aus<lb/> Verſehen eine ungloſſirte Stelle des Juſtinianiſchen Rechts<lb/> zur Anwendung bringt, blos weil in ſeiner Ausgabe ſolche<lb/> Stellen nicht augenſcheinlich von den anderen unterſchieden<lb/> ſind (§ 17); thun ihm das auch Mehrere nach, ſo entſteht<lb/> daraus dennoch kein Gewohnheitsrecht. — Betrachten wir<lb/> alſo den Irrthum und die Unvernünftigkeit blos als ſolche<lb/> Eigenſchaften des Handelns, wodurch es unfähig wird,<lb/> zur Anerkennung eines Gewohnheitsrechts mitzuwirken,<lb/> ſo erſcheint die Bedingung ihrer Abweſenheit nicht als<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [178/0234]
Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
Kraft der Regel. Dieſe Überzeugung kann ſich offenbaren
durch gleichförmige einzelne Handlungen, das heißt durch
Gewohnheit. Dann müſſen aber dieſe Handlungen nicht
von dem Bewußtſeyn der Willkührlichkeit begleitet ſeyn,
wie z. B. Freygebigkeit, oder auch ein häufig vorkommen-
des Verbrechen, bey welchem ja kein Handelnder an ſei-
nem Unrecht, alſo an der individuellen Willkühr ſeines
Thuns zweifelt. Sie dürfen aber eben ſo wenig aus einem
erweislichen Irrthum hervorgehen, denn auch in dieſem
Fall liegt in ihnen nicht der Ausdruck jener unmittelbaren
Überzeugung, worauf allein Alles ankommt (l). Ein ſehr
erläuterndes Beyſpiel iſt es, wenn etwa der Richter aus
Verſehen eine ungloſſirte Stelle des Juſtinianiſchen Rechts
zur Anwendung bringt, blos weil in ſeiner Ausgabe ſolche
Stellen nicht augenſcheinlich von den anderen unterſchieden
ſind (§ 17); thun ihm das auch Mehrere nach, ſo entſteht
daraus dennoch kein Gewohnheitsrecht. — Betrachten wir
alſo den Irrthum und die Unvernünftigkeit blos als ſolche
Eigenſchaften des Handelns, wodurch es unfähig wird,
zur Anerkennung eines Gewohnheitsrechts mitzuwirken,
ſo erſcheint die Bedingung ihrer Abweſenheit nicht als
(l) L. 39 de leg. (1. 3.) „Quod
non ratione introductum, sed
errore primum, deinde consue-
tudine obtentum est: in aliis
similibus non obtinet.” Das
heißt: wenn die Gewohnheit aus-
ging nicht von einer gemeinſa-
men Rechtsüberzeugung, ſondern
ſogar erweislich von einem Irr-
thume (der jene Überzeugung
nothwendig ausſchließt), ſo iſt
deshalb kein Gewohnheitsrecht
anzunehmen, und wir finden alſo
darin keinen Grund, die künfti-
gen Fälle gleicher Art nach die-
ſer Regel zu beurtheilen.
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