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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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§. 29. Ansichten der Neueren von den Rechtsquellen. Fortsetzung.
benden Gewohnheiten abgewehrt werden sollen (i). Für
diese, praktisch wenig bedenkliche Deutung scheint eine
Stelle der peinlichen Gerichtsordnung zu sprechen, worin
eine Anzahl von "bösen unvernünftigen" Gewohnheiten an-
gegeben und misbilligt wird (k). Allein in dieser Stelle wird
nicht etwa das Princip aufgestellt, worauf es hier ankommt,
daß die unvernünftigen Gewohnheiten an sich ungültig,
und zur Bildung eines Rechtssatzes untauglich seyen:
vielmehr findet es der Kaiser nöthig, sie aus seiner Macht
aufzuheben, was also ihre Rechtsgültigkeit bis zu dieser
Aufhebung voraussetzt, wenn man nicht in dem Gesetz
einen höchst ungenauen Ausdruck annehmen will.

Faßt man diese drey letzten Bedingungen als ein Gan-
zes auf, so ergiebt sich daraus folgender, aus dem Wesen
des Gewohnheitsrechts hervorgehender Sinn. Die Rechts-
regel entsteht durch das gemeinsame Rechtsbewußtseyn,
oder durch die unmittelbare Überzeugung von der Wahr-
heit und an sich selbst (ohne äußere Sanction) bindenden

(i) Glück 1 § 86 N. III. Vgl.
besonders Puchta II. S. 49 fg.
(k) C. C. C. art. 218: "....
als wir dann auß Kayserlicher
macht die selben hiemit auffheben,
vernichten und abthun, und hin-
fürter nit eingefürt werden sol-
len." -- Diese Stelle kann um
so weniger für eine allgemeine
Bestimmung über die bleibende
Natur des Gewohnheitsrechts
gelten, als in ihr die Erwäh-
nung der Gewohnheiten zum
Theil nur zufällig ist. Denn ei-
nige der von ihr aufgehobenen
Rechtssätze gründeten sich gar
nicht auf Gewohnheiten, sondern
auf Landesgesetze. Jene Stelle
also ging darauf aus, im Straf-
recht das Verhältniß des allge-
meinen zum partikulären Rechte
festzustellen, nicht das davon we-
sentlich verschiedene Verhältniß
des geschriebenen zum ungeschrie-
benen Recht.
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§. 29. Anſichten der Neueren von den Rechtsquellen. Fortſetzung.
benden Gewohnheiten abgewehrt werden ſollen (i). Für
dieſe, praktiſch wenig bedenkliche Deutung ſcheint eine
Stelle der peinlichen Gerichtsordnung zu ſprechen, worin
eine Anzahl von „böſen unvernünftigen“ Gewohnheiten an-
gegeben und misbilligt wird (k). Allein in dieſer Stelle wird
nicht etwa das Princip aufgeſtellt, worauf es hier ankommt,
daß die unvernünftigen Gewohnheiten an ſich ungültig,
und zur Bildung eines Rechtsſatzes untauglich ſeyen:
vielmehr findet es der Kaiſer nöthig, ſie aus ſeiner Macht
aufzuheben, was alſo ihre Rechtsgültigkeit bis zu dieſer
Aufhebung vorausſetzt, wenn man nicht in dem Geſetz
einen höchſt ungenauen Ausdruck annehmen will.

Faßt man dieſe drey letzten Bedingungen als ein Gan-
zes auf, ſo ergiebt ſich daraus folgender, aus dem Weſen
des Gewohnheitsrechts hervorgehender Sinn. Die Rechts-
regel entſteht durch das gemeinſame Rechtsbewußtſeyn,
oder durch die unmittelbare Überzeugung von der Wahr-
heit und an ſich ſelbſt (ohne äußere Sanction) bindenden

(i) Glück 1 § 86 N. III. Vgl.
beſonders Puchta II. S. 49 fg.
(k) C. C. C. art. 218: „....
als wir dann auß Kayſerlicher
macht die ſelben hiemit auffheben,
vernichten und abthun, und hin-
fürter nit eingefürt werden ſol-
len.“ — Dieſe Stelle kann um
ſo weniger für eine allgemeine
Beſtimmung über die bleibende
Natur des Gewohnheitsrechts
gelten, als in ihr die Erwäh-
nung der Gewohnheiten zum
Theil nur zufällig iſt. Denn ei-
nige der von ihr aufgehobenen
Rechtsſätze gründeten ſich gar
nicht auf Gewohnheiten, ſondern
auf Landesgeſetze. Jene Stelle
alſo ging darauf aus, im Straf-
recht das Verhältniß des allge-
meinen zum partikulären Rechte
feſtzuſtellen, nicht das davon we-
ſentlich verſchiedene Verhältniß
des geſchriebenen zum ungeſchrie-
benen Recht.
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[177/0233] §. 29. Anſichten der Neueren von den Rechtsquellen. Fortſetzung. benden Gewohnheiten abgewehrt werden ſollen (i). Für dieſe, praktiſch wenig bedenkliche Deutung ſcheint eine Stelle der peinlichen Gerichtsordnung zu ſprechen, worin eine Anzahl von „böſen unvernünftigen“ Gewohnheiten an- gegeben und misbilligt wird (k). Allein in dieſer Stelle wird nicht etwa das Princip aufgeſtellt, worauf es hier ankommt, daß die unvernünftigen Gewohnheiten an ſich ungültig, und zur Bildung eines Rechtsſatzes untauglich ſeyen: vielmehr findet es der Kaiſer nöthig, ſie aus ſeiner Macht aufzuheben, was alſo ihre Rechtsgültigkeit bis zu dieſer Aufhebung vorausſetzt, wenn man nicht in dem Geſetz einen höchſt ungenauen Ausdruck annehmen will. Faßt man dieſe drey letzten Bedingungen als ein Gan- zes auf, ſo ergiebt ſich daraus folgender, aus dem Weſen des Gewohnheitsrechts hervorgehender Sinn. Die Rechts- regel entſteht durch das gemeinſame Rechtsbewußtſeyn, oder durch die unmittelbare Überzeugung von der Wahr- heit und an ſich ſelbſt (ohne äußere Sanction) bindenden (i) Glück 1 § 86 N. III. Vgl. beſonders Puchta II. S. 49 fg. (k) C. C. C. art. 218: „.... als wir dann auß Kayſerlicher macht die ſelben hiemit auffheben, vernichten und abthun, und hin- fürter nit eingefürt werden ſol- len.“ — Dieſe Stelle kann um ſo weniger für eine allgemeine Beſtimmung über die bleibende Natur des Gewohnheitsrechts gelten, als in ihr die Erwäh- nung der Gewohnheiten zum Theil nur zufällig iſt. Denn ei- nige der von ihr aufgehobenen Rechtsſätze gründeten ſich gar nicht auf Gewohnheiten, ſondern auf Landesgeſetze. Jene Stelle alſo ging darauf aus, im Straf- recht das Verhältniß des allge- meinen zum partikulären Rechte feſtzuſtellen, nicht das davon we- ſentlich verſchiedene Verhältniß des geſchriebenen zum ungeſchrie- benen Recht. 12

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/233>, abgerufen am 24.11.2024.