Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.§. 24. Aussprüche der Römer über die Gesetze. Fortsetzung. den Rescripten entzogen seyn, nicht die Einwirkung, diesie als große Autoritäten darauf haben konnten (s). Diese zu verbieten war unmöglich, ja es konnte nicht einmal als wünschenswerth erscheinen. Vielmehr lag eben hierin ein vorzügliches Mittel der Fortbildung des Rechts, und es liegt in den Digesten vor unsren Augen, wie fleißig die alten Juristen dieses Mittel benutzt haben. Die Ge- fahr vor schlechten Rescripten war bey dieser Art des Gebrauchs nicht bedeutend, da der Character einer bloßen Autorität die Kritik und Verwerfung einzelner Rescripte niemals ausschloß. Dennoch soll einmal wegen dieser Ge- fahr der Kaiser Macrinus den Gedanken gehabt haben, alle alten Rescripte aufzuheben, was offenbar nur auf diese Autorität zu beziehen ist (t). (s) Manche scheinen die von Gajus und Ulpian den Rescrip- ten beygelegte legis vis auch wohl von diesem Einfluß als Au- torität zu verstehen, aber gewiß unrichtig. Diese Juristen wuß- ten ihre Ausdrücke besser zu wäh- len, als man ihnen hier zutraut. Meynten sie etwas so Unbestimm- tes, wie Einfluß und Wirksam- keit überhaupt, so würde Gajus die legis vis bey dem jus hono- rarium nicht ausgelassen haben: eben so hätte er im § 7 nicht blos die responsa prudentium genannt, sondern die weit mehr ins Große wirkende Auctoritas Prudentium. -- Eben so aber wäre es auf der anderen Seite irrig, den unbestimmten Ausdruck des Gajus (I § 5) so zu deuten, als wollte er den Rescripten eine eben so allgemein verbindende Kraft, wie den Edicten der Kai- ser, zuschreiben. Eben so schein- bar allgemein legt er im § 7 den Responsen "legis vicem" bey, und nur erst aus dem folgenden Gegensatz wird es beyläufig klar, daß doch nur von der gesetzlich bindenden Kraft für den judex des einzelnen Rechtsstreits die Rede seyn sollte. (t) Capitolini Macrinus C.
13. "Fuit in jure non incalli- dus, adeo ut statuisset omnia rescripta veterum principum tollere, ut jure non rescriptis ageretur, nefas esse dicens le- ges videri Commodi et Cara- §. 24. Ausſprüche der Römer über die Geſetze. Fortſetzung. den Reſcripten entzogen ſeyn, nicht die Einwirkung, dieſie als große Autoritäten darauf haben konnten (s). Dieſe zu verbieten war unmöglich, ja es konnte nicht einmal als wünſchenswerth erſcheinen. Vielmehr lag eben hierin ein vorzügliches Mittel der Fortbildung des Rechts, und es liegt in den Digeſten vor unſren Augen, wie fleißig die alten Juriſten dieſes Mittel benutzt haben. Die Ge- fahr vor ſchlechten Reſcripten war bey dieſer Art des Gebrauchs nicht bedeutend, da der Character einer bloßen Autorität die Kritik und Verwerfung einzelner Reſcripte niemals ausſchloß. Dennoch ſoll einmal wegen dieſer Ge- fahr der Kaiſer Macrinus den Gedanken gehabt haben, alle alten Reſcripte aufzuheben, was offenbar nur auf dieſe Autorität zu beziehen iſt (t). (s) Manche ſcheinen die von Gajus und Ulpian den Reſcrip- ten beygelegte legis vis auch wohl von dieſem Einfluß als Au- torität zu verſtehen, aber gewiß unrichtig. Dieſe Juriſten wuß- ten ihre Ausdrücke beſſer zu wäh- len, als man ihnen hier zutraut. Meynten ſie etwas ſo Unbeſtimm- tes, wie Einfluß und Wirkſam- keit überhaupt, ſo würde Gajus die legis vis bey dem jus hono- rarium nicht ausgelaſſen haben: eben ſo hätte er im § 7 nicht blos die responsa prudentium genannt, ſondern die weit mehr ins Große wirkende Auctoritas Prudentium. — Eben ſo aber wäre es auf der anderen Seite irrig, den unbeſtimmten Ausdruck des Gajus (I § 5) ſo zu deuten, als wollte er den Reſcripten eine eben ſo allgemein verbindende Kraft, wie den Edicten der Kai- ſer, zuſchreiben. Eben ſo ſchein- bar allgemein legt er im § 7 den Reſponſen „legis vicem” bey, und nur erſt aus dem folgenden Gegenſatz wird es beyläufig klar, daß doch nur von der geſetzlich bindenden Kraft für den judex des einzelnen Rechtsſtreits die Rede ſeyn ſollte. (t) Capitolini Macrinus C.
13. „Fuit in jure non incalli- dus, adeo ut statuisset omnia rescripta veterum principum tollere, ut jure non rescriptis ageretur, nefas esse dicens le- ges videri Commodi et Cara- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0195" n="139"/><fw place="top" type="header">§. 24. Ausſprüche der Römer über die Geſetze. Fortſetzung.</fw><lb/> den Reſcripten entzogen ſeyn, nicht die Einwirkung, die<lb/> ſie als große Autoritäten darauf haben konnten <note place="foot" n="(s)">Manche ſcheinen die von<lb/> Gajus und Ulpian den Reſcrip-<lb/> ten beygelegte <hi rendition="#aq">legis vis</hi> auch<lb/> wohl von dieſem Einfluß als Au-<lb/> torität zu verſtehen, aber gewiß<lb/> unrichtig. Dieſe Juriſten wuß-<lb/> ten ihre Ausdrücke beſſer zu wäh-<lb/> len, als man ihnen hier zutraut.<lb/> Meynten ſie etwas ſo Unbeſtimm-<lb/> tes, wie Einfluß und Wirkſam-<lb/> keit überhaupt, ſo würde Gajus<lb/> die <hi rendition="#aq">legis vis</hi> bey dem <hi rendition="#aq">jus hono-<lb/> rarium</hi> nicht ausgelaſſen haben:<lb/> eben ſo hätte er im § 7 nicht<lb/> blos die <hi rendition="#aq">responsa prudentium</hi><lb/> genannt, ſondern die weit mehr<lb/> ins Große wirkende <hi rendition="#aq">Auctoritas<lb/> Prudentium.</hi> — Eben ſo aber<lb/> wäre es auf der anderen Seite<lb/> irrig, den unbeſtimmten Ausdruck<lb/> des Gajus (<hi rendition="#aq">I</hi> § 5) ſo zu deuten,<lb/> als wollte er den Reſcripten eine<lb/> eben ſo allgemein verbindende<lb/> Kraft, wie den Edicten der Kai-<lb/> ſer, zuſchreiben. Eben ſo ſchein-<lb/> bar allgemein legt er im § 7 den<lb/> Reſponſen <hi rendition="#aq">„legis vicem”</hi> bey,<lb/> und nur erſt aus dem folgenden<lb/> Gegenſatz wird es beyläufig klar,<lb/> daß doch nur von der geſetzlich<lb/> bindenden Kraft für den <hi rendition="#aq">judex</hi><lb/><hi rendition="#g">des einzelnen Rechtsſtreits</hi><lb/> die Rede ſeyn ſollte.</note>. Dieſe<lb/> zu verbieten war unmöglich, ja es konnte nicht einmal<lb/> als wünſchenswerth erſcheinen. Vielmehr lag eben hierin<lb/> ein vorzügliches Mittel der Fortbildung des Rechts, und<lb/> es liegt in den Digeſten vor unſren Augen, wie fleißig<lb/> die alten Juriſten dieſes Mittel benutzt haben. Die Ge-<lb/> fahr vor ſchlechten Reſcripten war bey dieſer Art des<lb/> Gebrauchs nicht bedeutend, da der Character einer bloßen<lb/> Autorität die Kritik und Verwerfung einzelner Reſcripte<lb/> niemals ausſchloß. Dennoch ſoll einmal wegen dieſer Ge-<lb/> fahr der Kaiſer Macrinus den Gedanken gehabt haben,<lb/> alle alten Reſcripte aufzuheben, was offenbar nur auf<lb/> dieſe Autorität zu beziehen iſt <note xml:id="seg2pn_22_1" next="#seg2pn_22_2" place="foot" n="(t)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">Capitolini</hi> Macrinus C.<lb/> 13. „Fuit in jure non incalli-<lb/> dus, adeo ut statuisset omnia<lb/> rescripta veterum principum<lb/> tollere, ut jure non rescriptis<lb/> ageretur, nefas esse dicens le-<lb/> ges videri Commodi et Cara-</hi></note>.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [139/0195]
§. 24. Ausſprüche der Römer über die Geſetze. Fortſetzung.
den Reſcripten entzogen ſeyn, nicht die Einwirkung, die
ſie als große Autoritäten darauf haben konnten (s). Dieſe
zu verbieten war unmöglich, ja es konnte nicht einmal
als wünſchenswerth erſcheinen. Vielmehr lag eben hierin
ein vorzügliches Mittel der Fortbildung des Rechts, und
es liegt in den Digeſten vor unſren Augen, wie fleißig
die alten Juriſten dieſes Mittel benutzt haben. Die Ge-
fahr vor ſchlechten Reſcripten war bey dieſer Art des
Gebrauchs nicht bedeutend, da der Character einer bloßen
Autorität die Kritik und Verwerfung einzelner Reſcripte
niemals ausſchloß. Dennoch ſoll einmal wegen dieſer Ge-
fahr der Kaiſer Macrinus den Gedanken gehabt haben,
alle alten Reſcripte aufzuheben, was offenbar nur auf
dieſe Autorität zu beziehen iſt (t).
(s) Manche ſcheinen die von
Gajus und Ulpian den Reſcrip-
ten beygelegte legis vis auch
wohl von dieſem Einfluß als Au-
torität zu verſtehen, aber gewiß
unrichtig. Dieſe Juriſten wuß-
ten ihre Ausdrücke beſſer zu wäh-
len, als man ihnen hier zutraut.
Meynten ſie etwas ſo Unbeſtimm-
tes, wie Einfluß und Wirkſam-
keit überhaupt, ſo würde Gajus
die legis vis bey dem jus hono-
rarium nicht ausgelaſſen haben:
eben ſo hätte er im § 7 nicht
blos die responsa prudentium
genannt, ſondern die weit mehr
ins Große wirkende Auctoritas
Prudentium. — Eben ſo aber
wäre es auf der anderen Seite
irrig, den unbeſtimmten Ausdruck
des Gajus (I § 5) ſo zu deuten,
als wollte er den Reſcripten eine
eben ſo allgemein verbindende
Kraft, wie den Edicten der Kai-
ſer, zuſchreiben. Eben ſo ſchein-
bar allgemein legt er im § 7 den
Reſponſen „legis vicem” bey,
und nur erſt aus dem folgenden
Gegenſatz wird es beyläufig klar,
daß doch nur von der geſetzlich
bindenden Kraft für den judex
des einzelnen Rechtsſtreits
die Rede ſeyn ſollte.
(t) Capitolini Macrinus C.
13. „Fuit in jure non incalli-
dus, adeo ut statuisset omnia
rescripta veterum principum
tollere, ut jure non rescriptis
ageretur, nefas esse dicens le-
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