Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 22. Aussprüche der Römer über die Rechtsquellen im Allg.
gebraucht werden: Jus gentium, das Recht, welches bey
allen bekannten Völkern gefunden wird: Jus naturale, das
Recht, welches durch das in der menschlichen Natur ge-
gründete gemeinsame Rechtsbewußtseyn hervorgebracht
wird (s). -- Jedoch ist unter diesen beiden Arten der Auf-
fassung die erste als die überwiegende zu betrachten, so
daß nach Ansicht der Römer das Jus gentium nicht min-
der als das Jus civile ein ganz positives, geschichtlich
entstandenes und fortgebildetes Recht war. In demselben
Maaße nun, als die Römische Nation, viele verschiedene
Völker beherrschend, zwar diese sich assimilirte, zugleich
aber ihre Individualität an diese ungeheure und unbe-
stimmte Masse verlor, mußte das Jus gentium, als das
diesem neuen Zustande angemessenere, so vorherrschend wer-
den, wie es in der Justinianischen Gesetzgebung wirklich
erscheint. Diese große Veränderung also ist als das Werk
innerer Nothwendigkeit zu betrachten, nicht als Willkühr
zu tadeln, noch als Weisheit zu loben: außer insoferne
es das höchste Lob verdient, daß das allmälige und stille
Wirken jener Nothwendigkeit damals, wie in keinem frü-
heren Zeitpunct, richtig erkannt, und so der Buchstab des
Rechts mit dem sehr veränderten Geist und Wesen dessel-
ben befriedigender ausgeglichen worden ist, als es von

(s) Diese Terminologie, ge-
gründet auf die hier ausgeführte
zweygliedrige Eintheilung, kann
als die unter den Römischen Ju-
risten vorherrschende angesehen
werden. Allerdings erscheint da-
neben auch noch eine dreygliedrige
Eintheilung in Jus naturale,
gentium, civile.
Davon handelt
die Beilage I zu diesem Bande.
8

§. 22. Ausſprüche der Römer über die Rechtsquellen im Allg.
gebraucht werden: Jus gentium, das Recht, welches bey
allen bekannten Völkern gefunden wird: Jus naturale, das
Recht, welches durch das in der menſchlichen Natur ge-
gründete gemeinſame Rechtsbewußtſeyn hervorgebracht
wird (s). — Jedoch iſt unter dieſen beiden Arten der Auf-
faſſung die erſte als die überwiegende zu betrachten, ſo
daß nach Anſicht der Römer das Jus gentium nicht min-
der als das Jus civile ein ganz poſitives, geſchichtlich
entſtandenes und fortgebildetes Recht war. In demſelben
Maaße nun, als die Römiſche Nation, viele verſchiedene
Völker beherrſchend, zwar dieſe ſich aſſimilirte, zugleich
aber ihre Individualität an dieſe ungeheure und unbe-
ſtimmte Maſſe verlor, mußte das Jus gentium, als das
dieſem neuen Zuſtande angemeſſenere, ſo vorherrſchend wer-
den, wie es in der Juſtinianiſchen Geſetzgebung wirklich
erſcheint. Dieſe große Veränderung alſo iſt als das Werk
innerer Nothwendigkeit zu betrachten, nicht als Willkühr
zu tadeln, noch als Weisheit zu loben: außer inſoferne
es das höchſte Lob verdient, daß das allmälige und ſtille
Wirken jener Nothwendigkeit damals, wie in keinem frü-
heren Zeitpunct, richtig erkannt, und ſo der Buchſtab des
Rechts mit dem ſehr veränderten Geiſt und Weſen deſſel-
ben befriedigender ausgeglichen worden iſt, als es von

(s) Dieſe Terminologie, ge-
gründet auf die hier ausgeführte
zweygliedrige Eintheilung, kann
als die unter den Römiſchen Ju-
riſten vorherrſchende angeſehen
werden. Allerdings erſcheint da-
neben auch noch eine dreygliedrige
Eintheilung in Jus naturale,
gentium, civile.
Davon handelt
die Beilage I zu dieſem Bande.
8
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0169" n="113"/><fw place="top" type="header">§. 22. Aus&#x017F;prüche der Römer über die Rechtsquellen im Allg.</fw><lb/>
gebraucht werden: <hi rendition="#aq">Jus gentium,</hi> das Recht, welches bey<lb/>
allen bekannten Völkern gefunden wird: <hi rendition="#aq">Jus naturale,</hi> das<lb/>
Recht, welches durch das in der men&#x017F;chlichen Natur ge-<lb/>
gründete gemein&#x017F;ame Rechtsbewußt&#x017F;eyn hervorgebracht<lb/>
wird <note place="foot" n="(s)">Die&#x017F;e Terminologie, ge-<lb/>
gründet auf die hier ausgeführte<lb/>
zweygliedrige Eintheilung, kann<lb/>
als die unter den Römi&#x017F;chen Ju-<lb/>
ri&#x017F;ten vorherr&#x017F;chende ange&#x017F;ehen<lb/>
werden. Allerdings er&#x017F;cheint da-<lb/>
neben auch noch eine dreygliedrige<lb/>
Eintheilung <hi rendition="#aq">in Jus naturale,<lb/>
gentium, civile.</hi> Davon handelt<lb/>
die Beilage <hi rendition="#aq">I</hi> zu die&#x017F;em Bande.</note>. &#x2014; Jedoch i&#x017F;t unter die&#x017F;en beiden Arten der Auf-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung die er&#x017F;te als die überwiegende zu betrachten, &#x017F;o<lb/>
daß nach An&#x017F;icht der Römer das <hi rendition="#aq">Jus gentium</hi> nicht min-<lb/>
der als das <hi rendition="#aq">Jus civile</hi> ein ganz po&#x017F;itives, ge&#x017F;chichtlich<lb/>
ent&#x017F;tandenes und fortgebildetes Recht war. In dem&#x017F;elben<lb/>
Maaße nun, als die Römi&#x017F;che Nation, viele ver&#x017F;chiedene<lb/>
Völker beherr&#x017F;chend, zwar die&#x017F;e &#x017F;ich a&#x017F;&#x017F;imilirte, zugleich<lb/>
aber ihre Individualität an die&#x017F;e ungeheure und unbe-<lb/>
&#x017F;timmte Ma&#x017F;&#x017F;e verlor, mußte das <hi rendition="#aq">Jus gentium,</hi> als das<lb/>
die&#x017F;em neuen Zu&#x017F;tande angeme&#x017F;&#x017F;enere, &#x017F;o vorherr&#x017F;chend wer-<lb/>
den, wie es in der Ju&#x017F;tiniani&#x017F;chen Ge&#x017F;etzgebung wirklich<lb/>
er&#x017F;cheint. Die&#x017F;e große Veränderung al&#x017F;o i&#x017F;t als das Werk<lb/>
innerer Nothwendigkeit zu betrachten, nicht als Willkühr<lb/>
zu tadeln, noch als Weisheit zu loben: außer in&#x017F;oferne<lb/>
es das höch&#x017F;te Lob verdient, daß das allmälige und &#x017F;tille<lb/>
Wirken jener Nothwendigkeit damals, wie in keinem frü-<lb/>
heren Zeitpunct, richtig erkannt, und &#x017F;o der Buch&#x017F;tab des<lb/>
Rechts mit dem &#x017F;ehr veränderten Gei&#x017F;t und We&#x017F;en de&#x017F;&#x017F;el-<lb/>
ben befriedigender ausgeglichen worden i&#x017F;t, als es von<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">8</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0169] §. 22. Ausſprüche der Römer über die Rechtsquellen im Allg. gebraucht werden: Jus gentium, das Recht, welches bey allen bekannten Völkern gefunden wird: Jus naturale, das Recht, welches durch das in der menſchlichen Natur ge- gründete gemeinſame Rechtsbewußtſeyn hervorgebracht wird (s). — Jedoch iſt unter dieſen beiden Arten der Auf- faſſung die erſte als die überwiegende zu betrachten, ſo daß nach Anſicht der Römer das Jus gentium nicht min- der als das Jus civile ein ganz poſitives, geſchichtlich entſtandenes und fortgebildetes Recht war. In demſelben Maaße nun, als die Römiſche Nation, viele verſchiedene Völker beherrſchend, zwar dieſe ſich aſſimilirte, zugleich aber ihre Individualität an dieſe ungeheure und unbe- ſtimmte Maſſe verlor, mußte das Jus gentium, als das dieſem neuen Zuſtande angemeſſenere, ſo vorherrſchend wer- den, wie es in der Juſtinianiſchen Geſetzgebung wirklich erſcheint. Dieſe große Veränderung alſo iſt als das Werk innerer Nothwendigkeit zu betrachten, nicht als Willkühr zu tadeln, noch als Weisheit zu loben: außer inſoferne es das höchſte Lob verdient, daß das allmälige und ſtille Wirken jener Nothwendigkeit damals, wie in keinem frü- heren Zeitpunct, richtig erkannt, und ſo der Buchſtab des Rechts mit dem ſehr veränderten Geiſt und Weſen deſſel- ben befriedigender ausgeglichen worden iſt, als es von (s) Dieſe Terminologie, ge- gründet auf die hier ausgeführte zweygliedrige Eintheilung, kann als die unter den Römiſchen Ju- riſten vorherrſchende angeſehen werden. Allerdings erſcheint da- neben auch noch eine dreygliedrige Eintheilung in Jus naturale, gentium, civile. Davon handelt die Beilage I zu dieſem Bande. 8

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/169
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/169>, abgerufen am 03.05.2024.