Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
Ausdrucks. Aber das Übel war dadurch nicht gehoben, sondern vielmehr unheilbar gemacht, indem nun die Aner- kennung jenes Zweifels, und also die unentbehrliche Ent- scheidung über denselben, verhindert wurde.
Endlich gehört dahin auch noch der Ausdruck commu- nis opinio, welchem man in früheren Jahrhunderten eine ungemeine Wichtigkeit beyzulegen pflegte. Man dachte darunter eine so übereinstimmende Meynung der Rechts- lehrer, daß dadurch jeder Einzelne als gebunden betrach- tet werden müsse, und man suchte nun, wegen der Wich- tigkeit dieser Folge, den Begriff und die Bedingungen der Allgemeinheit durch formelle Regeln festzustellen, so wie es einst Valentinian III. durch ein Gesetz gethan hatte (i). Freylich befand man sich damit im Gebiet vollkommner Willkühr, und die häufig sehr seltsame Fassung der Re- geln verläugnete diesen ihren Ursprung nicht. Die rich- tige Bedeutung einer gemeinen Meynung und ihre wahre Wirksamkeit ist bereits entwickelt worden (§ 19). In neueren Zeiten übrigens ist von diesem Kunstausdruck kaum mehr die Rede.
§. 21. Concurrirende Rechtsquellen.
Bey der bisherigen Darstellung der Quellen des heu- tigen Römischen Rechts wurden dieselben, als allein vor- handen und in sich geschlossen, vorausgesetzt. Auch war
(i)Puchta Gewohnheitsrecht I S. 163.
Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
Ausdrucks. Aber das Übel war dadurch nicht gehoben, ſondern vielmehr unheilbar gemacht, indem nun die Aner- kennung jenes Zweifels, und alſo die unentbehrliche Ent- ſcheidung über denſelben, verhindert wurde.
Endlich gehört dahin auch noch der Ausdruck commu- nis opinio, welchem man in früheren Jahrhunderten eine ungemeine Wichtigkeit beyzulegen pflegte. Man dachte darunter eine ſo übereinſtimmende Meynung der Rechts- lehrer, daß dadurch jeder Einzelne als gebunden betrach- tet werden müſſe, und man ſuchte nun, wegen der Wich- tigkeit dieſer Folge, den Begriff und die Bedingungen der Allgemeinheit durch formelle Regeln feſtzuſtellen, ſo wie es einſt Valentinian III. durch ein Geſetz gethan hatte (i). Freylich befand man ſich damit im Gebiet vollkommner Willkühr, und die häufig ſehr ſeltſame Faſſung der Re- geln verläugnete dieſen ihren Urſprung nicht. Die rich- tige Bedeutung einer gemeinen Meynung und ihre wahre Wirkſamkeit iſt bereits entwickelt worden (§ 19). In neueren Zeiten übrigens iſt von dieſem Kunſtausdruck kaum mehr die Rede.
§. 21. Concurrirende Rechtsquellen.
Bey der bisherigen Darſtellung der Quellen des heu- tigen Römiſchen Rechts wurden dieſelben, als allein vor- handen und in ſich geſchloſſen, vorausgeſetzt. Auch war
(i)Puchta Gewohnheitsrecht I S. 163.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0156"n="100"/><fwplace="top"type="header">Buch <hirendition="#aq">I.</hi> Quellen. Kap. <hirendition="#aq">III.</hi> Quellen des heutigen R. R.</fw><lb/>
Ausdrucks. Aber das Übel war dadurch nicht gehoben,<lb/>ſondern vielmehr unheilbar gemacht, indem nun die Aner-<lb/>
kennung jenes Zweifels, und alſo die unentbehrliche Ent-<lb/>ſcheidung über denſelben, verhindert wurde.</p><lb/><p>Endlich gehört dahin auch noch der Ausdruck <hirendition="#aq">commu-<lb/>
nis opinio,</hi> welchem man in früheren Jahrhunderten eine<lb/>
ungemeine Wichtigkeit beyzulegen pflegte. Man dachte<lb/>
darunter eine ſo übereinſtimmende Meynung der Rechts-<lb/>
lehrer, daß dadurch jeder Einzelne als gebunden betrach-<lb/>
tet werden müſſe, und man ſuchte nun, wegen der Wich-<lb/>
tigkeit dieſer Folge, den Begriff und die Bedingungen der<lb/>
Allgemeinheit durch formelle Regeln feſtzuſtellen, ſo wie<lb/>
es einſt Valentinian <hirendition="#aq">III.</hi> durch ein Geſetz gethan hatte <noteplace="foot"n="(i)"><hirendition="#g">Puchta</hi> Gewohnheitsrecht <hirendition="#aq">I</hi> S. 163.</note>.<lb/>
Freylich befand man ſich damit im Gebiet vollkommner<lb/>
Willkühr, und die häufig ſehr ſeltſame Faſſung der Re-<lb/>
geln verläugnete dieſen ihren Urſprung nicht. Die rich-<lb/>
tige Bedeutung einer gemeinen Meynung und ihre wahre<lb/>
Wirkſamkeit iſt bereits entwickelt worden (§ 19). In<lb/>
neueren Zeiten übrigens iſt von dieſem Kunſtausdruck<lb/>
kaum mehr die Rede.</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 21.<lb/><hirendition="#g">Concurrirende Rechtsquellen</hi>.</head><lb/><p>Bey der bisherigen Darſtellung der Quellen des heu-<lb/>
tigen Römiſchen Rechts wurden dieſelben, als allein vor-<lb/>
handen und in ſich geſchloſſen, vorausgeſetzt. Auch war<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[100/0156]
Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
Ausdrucks. Aber das Übel war dadurch nicht gehoben,
ſondern vielmehr unheilbar gemacht, indem nun die Aner-
kennung jenes Zweifels, und alſo die unentbehrliche Ent-
ſcheidung über denſelben, verhindert wurde.
Endlich gehört dahin auch noch der Ausdruck commu-
nis opinio, welchem man in früheren Jahrhunderten eine
ungemeine Wichtigkeit beyzulegen pflegte. Man dachte
darunter eine ſo übereinſtimmende Meynung der Rechts-
lehrer, daß dadurch jeder Einzelne als gebunden betrach-
tet werden müſſe, und man ſuchte nun, wegen der Wich-
tigkeit dieſer Folge, den Begriff und die Bedingungen der
Allgemeinheit durch formelle Regeln feſtzuſtellen, ſo wie
es einſt Valentinian III. durch ein Geſetz gethan hatte (i).
Freylich befand man ſich damit im Gebiet vollkommner
Willkühr, und die häufig ſehr ſeltſame Faſſung der Re-
geln verläugnete dieſen ihren Urſprung nicht. Die rich-
tige Bedeutung einer gemeinen Meynung und ihre wahre
Wirkſamkeit iſt bereits entwickelt worden (§ 19). In
neueren Zeiten übrigens iſt von dieſem Kunſtausdruck
kaum mehr die Rede.
§. 21.
Concurrirende Rechtsquellen.
Bey der bisherigen Darſtellung der Quellen des heu-
tigen Römiſchen Rechts wurden dieſelben, als allein vor-
handen und in ſich geſchloſſen, vorausgeſetzt. Auch war
(i) Puchta Gewohnheitsrecht I S. 163.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/156>, abgerufen am 05.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.