Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.

Ferner gehört dahin der Ausdruck Observanz oder
Herkommen, bey welchem der Sprachgebrauch noch
weit schwankender ist, als bey dem vorhergehenden. Zu-
weilen wird er auf das Staatsrecht beschränkt, so daß
er hier dasselbe bezeichnen soll, was im Privatrecht Ge-
wohnheit heißt (d). Im Privatrecht wird er oft mit Ge-
wohnheitsrecht ganz gleichbedeutend gebraucht, und ist dann
entbehrlich und besser zu vermeiden (e). Der bestimmteste
Gebrauch des Worts ist wohl der, nach welchem es zwar
ein Gewohnheitsrecht bezeichnet, aber nur das partikuläre
Gewohnheitsrecht einer begränzten Klasse von Personen,
z. B. eines bestimmten Standes, oder auch der Mitglieder
einer Corporation (f). Es ist blos eine Modification die-
ser Bedeutung, wenn unter jenem Ausdruck ein stillschwei-

gründung eines Gewohnheits-
rechts § 29 Num. 4. -- Man
muß daher sehr mistrauisch seyn
gegen die beliebte Formel: Praxin
testantur etc.
(d) Pütter inst. jur. publ.
§ 44.
(e) Hofacker § 127. Thi-
baut
§ 16. -- So auch in eini-
gen Stellen der Rechtsquellen.
§ 7 J. de satisd. (4. 11.) "cum
necesse est omnes provincias ...
regiam urbem ejusque obser-
vantiam sequi." -- L. 2 § 24
de O. J. (1. 2) "vetustissima
juris observantia." Clem. 2 de
appell.
(2. 12.) "antiquam et com-
munem observantiam litigan-
tium sequi."
-- In andern Stel-
len heißt das Wort so viel als
das häufigere observatio: Beob-
achtung oder Befolgung einer
Regel, was also nicht hierher
gehört. Noch weniger gehört
hierher die häufigste Bedeutung
des Worts bey den klassischen
Schriftstellern: persönliche Ehr-
furcht. Cicero de invent. II.
22. 53.
(f) Eichhorn Deutsches Pri-
vatrecht § 35. Mühlenbruch
§ 40. -- Die persönliche Parti-
cularität, im Gegensatz der loca-
len, ist also die Grundlage des
Begriffs, so daß man wohl von
einer Observanz des Adels, oder
einer gewissen Klasse desselben,
eines Domkapitels, einer Zunft
u. s. w. sprechen kann, aber nicht
von der einer Provinz oder Stadt.
Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.

Ferner gehört dahin der Ausdruck Obſervanz oder
Herkommen, bey welchem der Sprachgebrauch noch
weit ſchwankender iſt, als bey dem vorhergehenden. Zu-
weilen wird er auf das Staatsrecht beſchränkt, ſo daß
er hier daſſelbe bezeichnen ſoll, was im Privatrecht Ge-
wohnheit heißt (d). Im Privatrecht wird er oft mit Ge-
wohnheitsrecht ganz gleichbedeutend gebraucht, und iſt dann
entbehrlich und beſſer zu vermeiden (e). Der beſtimmteſte
Gebrauch des Worts iſt wohl der, nach welchem es zwar
ein Gewohnheitsrecht bezeichnet, aber nur das partikuläre
Gewohnheitsrecht einer begränzten Klaſſe von Perſonen,
z. B. eines beſtimmten Standes, oder auch der Mitglieder
einer Corporation (f). Es iſt blos eine Modification die-
ſer Bedeutung, wenn unter jenem Ausdruck ein ſtillſchwei-

gründung eines Gewohnheits-
rechts § 29 Num. 4. — Man
muß daher ſehr mistrauiſch ſeyn
gegen die beliebte Formel: Praxin
testantur etc.
(d) Pütter inst. jur. publ.
§ 44.
(e) Hofacker § 127. Thi-
baut
§ 16. — So auch in eini-
gen Stellen der Rechtsquellen.
§ 7 J. de satisd. (4. 11.) „cum
necesse est omnes provincias …
regiam urbem ejusque obser-
vantiam sequi.” — L. 2 § 24
de O. J. (1. 2) „vetustissima
juris observantia.” Clem. 2 de
appell.
(2. 12.) „antiquam et com-
munem observantiam litigan-
tium sequi.”
— In andern Stel-
len heißt das Wort ſo viel als
das häufigere observatio: Beob-
achtung oder Befolgung einer
Regel, was alſo nicht hierher
gehört. Noch weniger gehört
hierher die häufigſte Bedeutung
des Worts bey den klaſſiſchen
Schriftſtellern: perſönliche Ehr-
furcht. Cicero de invent. II.
22. 53.
(f) Eichhorn Deutſches Pri-
vatrecht § 35. Mühlenbruch
§ 40. — Die perſönliche Parti-
cularität, im Gegenſatz der loca-
len, iſt alſo die Grundlage des
Begriffs, ſo daß man wohl von
einer Obſervanz des Adels, oder
einer gewiſſen Klaſſe deſſelben,
eines Domkapitels, einer Zunft
u. ſ. w. ſprechen kann, aber nicht
von der einer Provinz oder Stadt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0154" n="98"/>
            <fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">I.</hi> Quellen. Kap. <hi rendition="#aq">III.</hi> Quellen des heutigen R. R.</fw><lb/>
            <p>Ferner gehört dahin der Ausdruck <hi rendition="#g">Ob&#x017F;ervanz</hi> oder<lb/><hi rendition="#g">Herkommen</hi>, bey welchem der Sprachgebrauch noch<lb/>
weit &#x017F;chwankender i&#x017F;t, als bey dem vorhergehenden. Zu-<lb/>
weilen wird er auf das Staatsrecht be&#x017F;chränkt, &#x017F;o daß<lb/>
er hier da&#x017F;&#x017F;elbe bezeichnen &#x017F;oll, was im Privatrecht Ge-<lb/>
wohnheit heißt <note place="foot" n="(d)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">Pütter</hi> inst. jur. publ.</hi><lb/>
§ 44.</note>. Im Privatrecht wird er oft mit Ge-<lb/>
wohnheitsrecht ganz gleichbedeutend gebraucht, und i&#x017F;t dann<lb/>
entbehrlich und be&#x017F;&#x017F;er zu vermeiden <note place="foot" n="(e)"><hi rendition="#k"><hi rendition="#aq">Hofacker</hi></hi> § 127. <hi rendition="#g">Thi-<lb/>
baut</hi> § 16. &#x2014; So auch in eini-<lb/>
gen Stellen der Rechtsquellen.<lb/>
§ 7 <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">J. de satisd.</hi> (4. 11.) &#x201E;cum<lb/>
necesse est omnes provincias &#x2026;<lb/>
regiam urbem ejusque obser-<lb/>
vantiam sequi.&#x201D; &#x2014; <hi rendition="#i">L.</hi> 2 § 24<lb/><hi rendition="#i">de O. J.</hi> (1. 2) &#x201E;vetustissima<lb/>
juris observantia.&#x201D; <hi rendition="#i">Clem.</hi> 2 <hi rendition="#i">de<lb/>
appell.</hi> (2. 12.) &#x201E;antiquam et com-<lb/>
munem observantiam litigan-<lb/>
tium sequi.&#x201D;</hi> &#x2014; In andern Stel-<lb/>
len heißt das Wort &#x017F;o viel als<lb/>
das häufigere <hi rendition="#aq">observatio:</hi> Beob-<lb/>
achtung oder Befolgung einer<lb/>
Regel, was al&#x017F;o nicht hierher<lb/>
gehört. Noch weniger gehört<lb/>
hierher die häufig&#x017F;te Bedeutung<lb/>
des Worts bey den kla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Schrift&#x017F;tellern: per&#x017F;önliche Ehr-<lb/>
furcht. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">Cicero</hi> de invent. II.</hi><lb/>
22. 53.</note>. Der be&#x017F;timmte&#x017F;te<lb/>
Gebrauch des Worts i&#x017F;t wohl der, nach welchem es zwar<lb/>
ein Gewohnheitsrecht bezeichnet, aber nur das partikuläre<lb/>
Gewohnheitsrecht einer begränzten Kla&#x017F;&#x017F;e von Per&#x017F;onen,<lb/>
z. B. eines be&#x017F;timmten Standes, oder auch der Mitglieder<lb/>
einer Corporation <note place="foot" n="(f)"><hi rendition="#g">Eichhorn</hi> Deut&#x017F;ches Pri-<lb/>
vatrecht § 35. <hi rendition="#k"><hi rendition="#aq">Mühlenbruch</hi></hi><lb/>
§ 40. &#x2014; Die per&#x017F;önliche Parti-<lb/>
cularität, im Gegen&#x017F;atz der loca-<lb/>
len, i&#x017F;t al&#x017F;o die Grundlage des<lb/>
Begriffs, &#x017F;o daß man wohl von<lb/>
einer Ob&#x017F;ervanz des Adels, oder<lb/>
einer gewi&#x017F;&#x017F;en Kla&#x017F;&#x017F;e de&#x017F;&#x017F;elben,<lb/>
eines Domkapitels, einer Zunft<lb/>
u. &#x017F;. w. &#x017F;prechen kann, aber nicht<lb/>
von der einer Provinz oder Stadt.</note>. Es i&#x017F;t blos eine Modification die-<lb/>
&#x017F;er Bedeutung, wenn unter jenem Ausdruck ein &#x017F;till&#x017F;chwei-<lb/><note xml:id="seg2pn_12_2" prev="#seg2pn_12_1" place="foot" n="(c)">gründung eines Gewohnheits-<lb/>
rechts § 29 <hi rendition="#aq">Num.</hi> 4. &#x2014; Man<lb/>
muß daher &#x017F;ehr mistraui&#x017F;ch &#x017F;eyn<lb/>
gegen die beliebte Formel: <hi rendition="#aq">Praxin<lb/>
testantur etc.</hi></note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[98/0154] Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R. Ferner gehört dahin der Ausdruck Obſervanz oder Herkommen, bey welchem der Sprachgebrauch noch weit ſchwankender iſt, als bey dem vorhergehenden. Zu- weilen wird er auf das Staatsrecht beſchränkt, ſo daß er hier daſſelbe bezeichnen ſoll, was im Privatrecht Ge- wohnheit heißt (d). Im Privatrecht wird er oft mit Ge- wohnheitsrecht ganz gleichbedeutend gebraucht, und iſt dann entbehrlich und beſſer zu vermeiden (e). Der beſtimmteſte Gebrauch des Worts iſt wohl der, nach welchem es zwar ein Gewohnheitsrecht bezeichnet, aber nur das partikuläre Gewohnheitsrecht einer begränzten Klaſſe von Perſonen, z. B. eines beſtimmten Standes, oder auch der Mitglieder einer Corporation (f). Es iſt blos eine Modification die- ſer Bedeutung, wenn unter jenem Ausdruck ein ſtillſchwei- (c) (d) Pütter inst. jur. publ. § 44. (e) Hofacker § 127. Thi- baut § 16. — So auch in eini- gen Stellen der Rechtsquellen. § 7 J. de satisd. (4. 11.) „cum necesse est omnes provincias … regiam urbem ejusque obser- vantiam sequi.” — L. 2 § 24 de O. J. (1. 2) „vetustissima juris observantia.” Clem. 2 de appell. (2. 12.) „antiquam et com- munem observantiam litigan- tium sequi.” — In andern Stel- len heißt das Wort ſo viel als das häufigere observatio: Beob- achtung oder Befolgung einer Regel, was alſo nicht hierher gehört. Noch weniger gehört hierher die häufigſte Bedeutung des Worts bey den klaſſiſchen Schriftſtellern: perſönliche Ehr- furcht. Cicero de invent. II. 22. 53. (f) Eichhorn Deutſches Pri- vatrecht § 35. Mühlenbruch § 40. — Die perſönliche Parti- cularität, im Gegenſatz der loca- len, iſt alſo die Grundlage des Begriffs, ſo daß man wohl von einer Obſervanz des Adels, oder einer gewiſſen Klaſſe deſſelben, eines Domkapitels, einer Zunft u. ſ. w. ſprechen kann, aber nicht von der einer Provinz oder Stadt. (c) gründung eines Gewohnheits- rechts § 29 Num. 4. — Man muß daher ſehr mistrauiſch ſeyn gegen die beliebte Formel: Praxin testantur etc.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/154
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/154>, abgerufen am 03.05.2024.