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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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§. 20. Wissenschaftliches Recht. Fortsetzung.
und schwankender Gebrauch viel zu der in diesem Gebiet
herrschenden Verwirrung der Begriffe beygetragen hat.
Es wird jetzt genügen, ihre verschiedene Bedeutung bey
neueren Schriftstellern, so wie ihr Verhältniß zu der hier
aufgestellten Genealogie der Begriffe selbst, kurz anzugeben.

Dahin gehört zuerst der Ausdruck Gerichtsgebrauch.
Man versteht darunter bald das durch Urtheilssprüche
bekundete wahre Gewohnheitsrecht, bald die gleichförmi-
gen Aussprüche eines und desselben Gerichts, welche an-
geblich auch für die Zukunft bindende Kraft haben. Es
wäre zweckmäßig, diesen Ausdruck, so wie den Ausdruck
Praxis, lediglich auf den ersten Begriff, also auf das
wahre Gewohnheitsrecht, so weit es aus Urtheilen erkenn-
bar ist, anzuwenden. -- Daneben ist aber besonders gegen
einen sehr häufigen und verderblichen Misbrauch dieser
Ausdrücke zu warnen. Es genügt nämlich Vielen, welche
einen Rechtssatz auf die Praxis gründen wollen, wenn
sie die Anerkennung desselben in einzelnen Urtheilen nach-
weisen. Da aber die Richter eben so gut als die Schrift-
steller dem Irrthum unterworfen sind, so können auch
solche Urtheile aus bloßer Unkunde des Rechts hervorge-
gangen seyn. Auch hier also, wie bey den Schriftstellern,
ist vielmehr eine allgemeinere Übereinstimmung nöthig, die
durch mehrere gegen einander laufende Urtheile gänzlich
ausgeschlossen wird (c).


(c) Vgl. über die Übereinstim-
mung der Schriftsteller § 19, und
über die nicht unbedingte Taug-
lichkeit von Urtheilen zur Be-
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§. 20. Wiſſenſchaftliches Recht. Fortſetzung.
und ſchwankender Gebrauch viel zu der in dieſem Gebiet
herrſchenden Verwirrung der Begriffe beygetragen hat.
Es wird jetzt genügen, ihre verſchiedene Bedeutung bey
neueren Schriftſtellern, ſo wie ihr Verhältniß zu der hier
aufgeſtellten Genealogie der Begriffe ſelbſt, kurz anzugeben.

Dahin gehört zuerſt der Ausdruck Gerichtsgebrauch.
Man verſteht darunter bald das durch Urtheilsſprüche
bekundete wahre Gewohnheitsrecht, bald die gleichförmi-
gen Ausſprüche eines und deſſelben Gerichts, welche an-
geblich auch für die Zukunft bindende Kraft haben. Es
wäre zweckmäßig, dieſen Ausdruck, ſo wie den Ausdruck
Praxis, lediglich auf den erſten Begriff, alſo auf das
wahre Gewohnheitsrecht, ſo weit es aus Urtheilen erkenn-
bar iſt, anzuwenden. — Daneben iſt aber beſonders gegen
einen ſehr häufigen und verderblichen Misbrauch dieſer
Ausdrücke zu warnen. Es genügt nämlich Vielen, welche
einen Rechtsſatz auf die Praxis gründen wollen, wenn
ſie die Anerkennung deſſelben in einzelnen Urtheilen nach-
weiſen. Da aber die Richter eben ſo gut als die Schrift-
ſteller dem Irrthum unterworfen ſind, ſo können auch
ſolche Urtheile aus bloßer Unkunde des Rechts hervorge-
gangen ſeyn. Auch hier alſo, wie bey den Schriftſtellern,
iſt vielmehr eine allgemeinere Übereinſtimmung nöthig, die
durch mehrere gegen einander laufende Urtheile gänzlich
ausgeſchloſſen wird (c).


(c) Vgl. über die Übereinſtim-
mung der Schriftſteller § 19, und
über die nicht unbedingte Taug-
lichkeit von Urtheilen zur Be-
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[97/0153] §. 20. Wiſſenſchaftliches Recht. Fortſetzung. und ſchwankender Gebrauch viel zu der in dieſem Gebiet herrſchenden Verwirrung der Begriffe beygetragen hat. Es wird jetzt genügen, ihre verſchiedene Bedeutung bey neueren Schriftſtellern, ſo wie ihr Verhältniß zu der hier aufgeſtellten Genealogie der Begriffe ſelbſt, kurz anzugeben. Dahin gehört zuerſt der Ausdruck Gerichtsgebrauch. Man verſteht darunter bald das durch Urtheilsſprüche bekundete wahre Gewohnheitsrecht, bald die gleichförmi- gen Ausſprüche eines und deſſelben Gerichts, welche an- geblich auch für die Zukunft bindende Kraft haben. Es wäre zweckmäßig, dieſen Ausdruck, ſo wie den Ausdruck Praxis, lediglich auf den erſten Begriff, alſo auf das wahre Gewohnheitsrecht, ſo weit es aus Urtheilen erkenn- bar iſt, anzuwenden. — Daneben iſt aber beſonders gegen einen ſehr häufigen und verderblichen Misbrauch dieſer Ausdrücke zu warnen. Es genügt nämlich Vielen, welche einen Rechtsſatz auf die Praxis gründen wollen, wenn ſie die Anerkennung deſſelben in einzelnen Urtheilen nach- weiſen. Da aber die Richter eben ſo gut als die Schrift- ſteller dem Irrthum unterworfen ſind, ſo können auch ſolche Urtheile aus bloßer Unkunde des Rechts hervorge- gangen ſeyn. Auch hier alſo, wie bey den Schriftſtellern, iſt vielmehr eine allgemeinere Übereinſtimmung nöthig, die durch mehrere gegen einander laufende Urtheile gänzlich ausgeſchloſſen wird (c). (c) Vgl. über die Übereinſtim- mung der Schriftſteller § 19, und über die nicht unbedingte Taug- lichkeit von Urtheilen zur Be- 7

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/153>, abgerufen am 03.05.2024.