Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
lich Germanische Recht, wenig wichtig für die Fortbildung
des Römischen Rechts (c).

Und dieses zwiefache Gewohnheitsrecht, allgemeines
und partikuläres, ist nicht blos für die Vergangenheit als
eine Quelle des heutigen Römischen Rechts, neben den
Gesetzen, anzuerkennen, sondern es kann auch eben so in
der Zukunft, als dasselbe fortbildend, vorkommen.

Auch müssen wir ihm in dieser besonderen Anwendung
dieselbe Natur zuschreiben, welche oben für das Gewohn-
heitsrecht im Allgemeinen geltend gemacht worden ist.
Es entsteht also gleichfalls durch die Gemeinschaftlichkeit
der Überzeugung, nicht durch den Willen der Einzelnen,
deren Gesinnungen und Handlungen blos als Kennzeichen
jener Gemeinschaftlichkeit angesehen werden dürfen. Die
Sitte und Übung, das was wir eigentlich Gewohnheit
nennen, ist daher der Hauptsache nach für uns ein Mittel
der Erkenntniß, nicht für jenes Recht selbst Grund der
Entstehung. Sehen wir endlich auf die Wirksamkeit des-
selben im Verhältniß zu den Gesetzen, so müssen wir die-
sen Rechtsquellen völlige Gleichheit zuschreiben. Gesetze
also können durch neueres Gewohnheitsrecht nicht nur
ergänzt und modificirt, sondern auch außer Kraft gesetzt
werden (§ 13), und zwar ohne Unterschied, es mag das
Gewohnheitsrecht lediglich das Gesetz entkräften, oder

(c) Sehr gute Bemerkungen
über das Materielle dieses Ge-
gensatzes finden sich in: Götze
Provinzialrecht der Altmark. Mo-
tive. I. S. 11--13.

Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
lich Germaniſche Recht, wenig wichtig für die Fortbildung
des Römiſchen Rechts (c).

Und dieſes zwiefache Gewohnheitsrecht, allgemeines
und partikuläres, iſt nicht blos für die Vergangenheit als
eine Quelle des heutigen Römiſchen Rechts, neben den
Geſetzen, anzuerkennen, ſondern es kann auch eben ſo in
der Zukunft, als daſſelbe fortbildend, vorkommen.

Auch müſſen wir ihm in dieſer beſonderen Anwendung
dieſelbe Natur zuſchreiben, welche oben für das Gewohn-
heitsrecht im Allgemeinen geltend gemacht worden iſt.
Es entſteht alſo gleichfalls durch die Gemeinſchaftlichkeit
der Überzeugung, nicht durch den Willen der Einzelnen,
deren Geſinnungen und Handlungen blos als Kennzeichen
jener Gemeinſchaftlichkeit angeſehen werden dürfen. Die
Sitte und Übung, das was wir eigentlich Gewohnheit
nennen, iſt daher der Hauptſache nach für uns ein Mittel
der Erkenntniß, nicht für jenes Recht ſelbſt Grund der
Entſtehung. Sehen wir endlich auf die Wirkſamkeit deſ-
ſelben im Verhältniß zu den Geſetzen, ſo müſſen wir die-
ſen Rechtsquellen völlige Gleichheit zuſchreiben. Geſetze
alſo können durch neueres Gewohnheitsrecht nicht nur
ergänzt und modificirt, ſondern auch außer Kraft geſetzt
werden (§ 13), und zwar ohne Unterſchied, es mag das
Gewohnheitsrecht lediglich das Geſetz entkräften, oder

(c) Sehr gute Bemerkungen
über das Materielle dieſes Ge-
genſatzes finden ſich in: Götze
Provinzialrecht der Altmark. Mo-
tive. I. S. 11—13.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0138" n="82"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">I.</hi> Quellen. Kap. <hi rendition="#aq">III.</hi> Quellen des heutigen R. R.</fw><lb/>
lich Germani&#x017F;che Recht, wenig wichtig für die Fortbildung<lb/>
des Römi&#x017F;chen Rechts <note place="foot" n="(c)">Sehr gute Bemerkungen<lb/>
über das Materielle die&#x017F;es Ge-<lb/>
gen&#x017F;atzes finden &#x017F;ich in: <hi rendition="#g">Götze</hi><lb/>
Provinzialrecht der Altmark. Mo-<lb/>
tive. <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 11&#x2014;13.</note>.</p><lb/>
            <p>Und die&#x017F;es zwiefache Gewohnheitsrecht, allgemeines<lb/>
und partikuläres, i&#x017F;t nicht blos für die Vergangenheit als<lb/>
eine Quelle des heutigen Römi&#x017F;chen Rechts, neben den<lb/>
Ge&#x017F;etzen, anzuerkennen, &#x017F;ondern es kann auch eben &#x017F;o in<lb/>
der Zukunft, als da&#x017F;&#x017F;elbe fortbildend, vorkommen.</p><lb/>
            <p>Auch mü&#x017F;&#x017F;en wir ihm in die&#x017F;er be&#x017F;onderen Anwendung<lb/>
die&#x017F;elbe Natur zu&#x017F;chreiben, welche oben für das Gewohn-<lb/>
heitsrecht im Allgemeinen geltend gemacht worden i&#x017F;t.<lb/>
Es ent&#x017F;teht al&#x017F;o gleichfalls durch die Gemein&#x017F;chaftlichkeit<lb/>
der Überzeugung, nicht durch den Willen der Einzelnen,<lb/>
deren Ge&#x017F;innungen und Handlungen blos als Kennzeichen<lb/>
jener Gemein&#x017F;chaftlichkeit ange&#x017F;ehen werden dürfen. Die<lb/>
Sitte und Übung, das was wir eigentlich Gewohnheit<lb/>
nennen, i&#x017F;t daher der Haupt&#x017F;ache nach für uns ein Mittel<lb/>
der Erkenntniß, nicht für jenes Recht &#x017F;elb&#x017F;t Grund der<lb/>
Ent&#x017F;tehung. Sehen wir endlich auf die Wirk&#x017F;amkeit de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elben im Verhältniß zu den Ge&#x017F;etzen, &#x017F;o mü&#x017F;&#x017F;en wir die-<lb/>
&#x017F;en Rechtsquellen völlige Gleichheit zu&#x017F;chreiben. Ge&#x017F;etze<lb/>
al&#x017F;o können durch neueres Gewohnheitsrecht nicht nur<lb/>
ergänzt und modificirt, &#x017F;ondern auch außer Kraft ge&#x017F;etzt<lb/>
werden (§ 13), und zwar ohne Unter&#x017F;chied, es mag das<lb/>
Gewohnheitsrecht lediglich das Ge&#x017F;etz entkräften, oder<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0138] Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R. lich Germaniſche Recht, wenig wichtig für die Fortbildung des Römiſchen Rechts (c). Und dieſes zwiefache Gewohnheitsrecht, allgemeines und partikuläres, iſt nicht blos für die Vergangenheit als eine Quelle des heutigen Römiſchen Rechts, neben den Geſetzen, anzuerkennen, ſondern es kann auch eben ſo in der Zukunft, als daſſelbe fortbildend, vorkommen. Auch müſſen wir ihm in dieſer beſonderen Anwendung dieſelbe Natur zuſchreiben, welche oben für das Gewohn- heitsrecht im Allgemeinen geltend gemacht worden iſt. Es entſteht alſo gleichfalls durch die Gemeinſchaftlichkeit der Überzeugung, nicht durch den Willen der Einzelnen, deren Geſinnungen und Handlungen blos als Kennzeichen jener Gemeinſchaftlichkeit angeſehen werden dürfen. Die Sitte und Übung, das was wir eigentlich Gewohnheit nennen, iſt daher der Hauptſache nach für uns ein Mittel der Erkenntniß, nicht für jenes Recht ſelbſt Grund der Entſtehung. Sehen wir endlich auf die Wirkſamkeit deſ- ſelben im Verhältniß zu den Geſetzen, ſo müſſen wir die- ſen Rechtsquellen völlige Gleichheit zuſchreiben. Geſetze alſo können durch neueres Gewohnheitsrecht nicht nur ergänzt und modificirt, ſondern auch außer Kraft geſetzt werden (§ 13), und zwar ohne Unterſchied, es mag das Gewohnheitsrecht lediglich das Geſetz entkräften, oder (c) Sehr gute Bemerkungen über das Materielle dieſes Ge- genſatzes finden ſich in: Götze Provinzialrecht der Altmark. Mo- tive. I. S. 11—13.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/138
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/138>, abgerufen am 05.12.2024.