Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.§ 15. Rechtsquellen im Zusammenhang. und beschränken sich wechselseitig, um sich späterhin viel-leicht in einer höheren Einheit aufzulösen. In diesem Gegensatz erscheint uns das besondere oder nationale Ele- ment, und alles Einzelne, was in der logischen Consequenz desselben enthalten ist, als der bloße Buchstab des Rechts (jus strictum, ratio juris) (b); in solcher Abgeschlossenheit ist dasselbe unvollkommen und beschränkt, es hat aber die Fähigkeit, im Lauf der Zeit die ihm verwandten allge- meineren Principien mehr und mehr in sich aufzunehmen und sich durch sie zu erweitern. -- Das allgemeine Ele- ment dagegen erscheint wiederum in verschiedenen Gestal- ten. Am reinsten und unmittelbarsten, insofern darin die sittliche Natur des Rechts im Allgemeinen wirksam ist: also die Anerkennung der überall gleichen sittlichen Würde und Freyheit des Menschen, die Umgebung dieser Frey- heit durch Rechtsinstitute, mit Allem was aus der Natur und Bestimmung dieser Institute durch praktische Conse- quenz hervorgeht, und was die Neueren Natur der Sache nennen (aequitas oder naturalis ratio). Mittelbar und in gemischterer Natur erscheint das allgemeine Rechtselement: (b) Die Römischen Kunstaus-
drücke werden an dieser Stelle angegeben, nicht um die bey den Römern vorkommende Begriffe historisch festzustellen, sondern um die gegenwärtige allgemeine Dar- stellung durch Erinnerung an bekannte Kunstausdrücke anschau- licher zu machen. Die Anknüpfung derselben an die bey den Römern herrschenden Grundbegriffe über die Entstehung des Rechts wird im § 22 nachfolgen. -- Die logi- sche Consequenz ist in folgender Stelle sehr bezeichnend ausge- drückt: L. 51. § 2. ad L. Aquil. (9. 2.) "Multa autem jure ci- vili, contra rationem dispu- tandi, pro utilitate communi recepta esse." § 15. Rechtsquellen im Zuſammenhang. und beſchränken ſich wechſelſeitig, um ſich ſpäterhin viel-leicht in einer höheren Einheit aufzulöſen. In dieſem Gegenſatz erſcheint uns das beſondere oder nationale Ele- ment, und alles Einzelne, was in der logiſchen Conſequenz deſſelben enthalten iſt, als der bloße Buchſtab des Rechts (jus strictum, ratio juris) (b); in ſolcher Abgeſchloſſenheit iſt daſſelbe unvollkommen und beſchränkt, es hat aber die Fähigkeit, im Lauf der Zeit die ihm verwandten allge- meineren Principien mehr und mehr in ſich aufzunehmen und ſich durch ſie zu erweitern. — Das allgemeine Ele- ment dagegen erſcheint wiederum in verſchiedenen Geſtal- ten. Am reinſten und unmittelbarſten, inſofern darin die ſittliche Natur des Rechts im Allgemeinen wirkſam iſt: alſo die Anerkennung der überall gleichen ſittlichen Würde und Freyheit des Menſchen, die Umgebung dieſer Frey- heit durch Rechtsinſtitute, mit Allem was aus der Natur und Beſtimmung dieſer Inſtitute durch praktiſche Conſe- quenz hervorgeht, und was die Neueren Natur der Sache nennen (aequitas oder naturalis ratio). Mittelbar und in gemiſchterer Natur erſcheint das allgemeine Rechtselement: (b) Die Römiſchen Kunſtaus-
drücke werden an dieſer Stelle angegeben, nicht um die bey den Römern vorkommende Begriffe hiſtoriſch feſtzuſtellen, ſondern um die gegenwärtige allgemeine Dar- ſtellung durch Erinnerung an bekannte Kunſtausdrücke anſchau- licher zu machen. Die Anknüpfung derſelben an die bey den Römern herrſchenden Grundbegriffe über die Entſtehung des Rechts wird im § 22 nachfolgen. — Die logi- ſche Conſequenz iſt in folgender Stelle ſehr bezeichnend ausge- drückt: L. 51. § 2. ad L. Aquil. (9. 2.) „Multa autem jure ci- vili, contra rationem dispu- tandi, pro utilitate communi recepta esse.” <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0111" n="55"/><fw place="top" type="header">§ 15. Rechtsquellen im Zuſammenhang.</fw><lb/> und beſchränken ſich wechſelſeitig, um ſich ſpäterhin viel-<lb/> leicht in einer höheren Einheit aufzulöſen. In dieſem<lb/> Gegenſatz erſcheint uns das beſondere oder nationale Ele-<lb/> ment, und alles Einzelne, was in der logiſchen Conſequenz<lb/> deſſelben enthalten iſt, als der bloße Buchſtab des Rechts<lb/><hi rendition="#aq">(jus strictum, ratio juris)</hi> <note place="foot" n="(b)">Die Römiſchen Kunſtaus-<lb/> drücke werden an dieſer Stelle<lb/> angegeben, nicht um die bey den<lb/> Römern vorkommende Begriffe<lb/> hiſtoriſch feſtzuſtellen, ſondern um<lb/> die gegenwärtige allgemeine Dar-<lb/> ſtellung durch Erinnerung an<lb/> bekannte Kunſtausdrücke anſchau-<lb/> licher zu machen. Die Anknüpfung<lb/> derſelben an die bey den Römern<lb/> herrſchenden Grundbegriffe über<lb/> die Entſtehung des Rechts wird<lb/> im § 22 nachfolgen. — Die logi-<lb/> ſche Conſequenz iſt in folgender<lb/> Stelle ſehr bezeichnend ausge-<lb/> drückt: <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 51. § 2. <hi rendition="#i">ad L. Aquil.</hi><lb/> (9. 2.) „Multa autem jure ci-<lb/> vili, <hi rendition="#i">contra rationem dispu-<lb/> tandi,</hi> pro utilitate communi<lb/> recepta esse.”</hi></note>; in ſolcher Abgeſchloſſenheit<lb/> iſt daſſelbe unvollkommen und beſchränkt, es hat aber die<lb/> Fähigkeit, im Lauf der Zeit die ihm verwandten allge-<lb/> meineren Principien mehr und mehr in ſich aufzunehmen<lb/> und ſich durch ſie zu erweitern. — Das allgemeine Ele-<lb/> ment dagegen erſcheint wiederum in verſchiedenen Geſtal-<lb/> ten. Am reinſten und unmittelbarſten, inſofern darin die<lb/> ſittliche Natur des Rechts im Allgemeinen wirkſam iſt:<lb/> alſo die Anerkennung der überall gleichen ſittlichen Würde<lb/> und Freyheit des Menſchen, die Umgebung dieſer Frey-<lb/> heit durch Rechtsinſtitute, mit Allem was aus der Natur<lb/> und Beſtimmung dieſer Inſtitute durch praktiſche Conſe-<lb/> quenz hervorgeht, und was die Neueren Natur der Sache<lb/> nennen (<hi rendition="#aq">aequitas</hi> oder <hi rendition="#aq">naturalis ratio</hi>). Mittelbar und in<lb/> gemiſchterer Natur erſcheint das allgemeine Rechtselement:<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [55/0111]
§ 15. Rechtsquellen im Zuſammenhang.
und beſchränken ſich wechſelſeitig, um ſich ſpäterhin viel-
leicht in einer höheren Einheit aufzulöſen. In dieſem
Gegenſatz erſcheint uns das beſondere oder nationale Ele-
ment, und alles Einzelne, was in der logiſchen Conſequenz
deſſelben enthalten iſt, als der bloße Buchſtab des Rechts
(jus strictum, ratio juris) (b); in ſolcher Abgeſchloſſenheit
iſt daſſelbe unvollkommen und beſchränkt, es hat aber die
Fähigkeit, im Lauf der Zeit die ihm verwandten allge-
meineren Principien mehr und mehr in ſich aufzunehmen
und ſich durch ſie zu erweitern. — Das allgemeine Ele-
ment dagegen erſcheint wiederum in verſchiedenen Geſtal-
ten. Am reinſten und unmittelbarſten, inſofern darin die
ſittliche Natur des Rechts im Allgemeinen wirkſam iſt:
alſo die Anerkennung der überall gleichen ſittlichen Würde
und Freyheit des Menſchen, die Umgebung dieſer Frey-
heit durch Rechtsinſtitute, mit Allem was aus der Natur
und Beſtimmung dieſer Inſtitute durch praktiſche Conſe-
quenz hervorgeht, und was die Neueren Natur der Sache
nennen (aequitas oder naturalis ratio). Mittelbar und in
gemiſchterer Natur erſcheint das allgemeine Rechtselement:
(b) Die Römiſchen Kunſtaus-
drücke werden an dieſer Stelle
angegeben, nicht um die bey den
Römern vorkommende Begriffe
hiſtoriſch feſtzuſtellen, ſondern um
die gegenwärtige allgemeine Dar-
ſtellung durch Erinnerung an
bekannte Kunſtausdrücke anſchau-
licher zu machen. Die Anknüpfung
derſelben an die bey den Römern
herrſchenden Grundbegriffe über
die Entſtehung des Rechts wird
im § 22 nachfolgen. — Die logi-
ſche Conſequenz iſt in folgender
Stelle ſehr bezeichnend ausge-
drückt: L. 51. § 2. ad L. Aquil.
(9. 2.) „Multa autem jure ci-
vili, contra rationem dispu-
tandi, pro utilitate communi
recepta esse.”
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