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Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814.

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daß ein Zustand sehr großer Rechtsungewißheit zu be-
fürchten ist. Dieser Zustand nun ist unerträglich; denn
ob an verschiedenen Orten verschiedenes Recht gilt,
daran liegt wenig, aber wenn für einen gegebe-
nen einzelnen Fall das Recht dem Zufall und der
Willkühr preis gegeben ist, so ist das schlimmste ein-
getreten, was für die Rechtspflege gedacht werden
kann, und dieses Uebel wird gewiß von jedem em-
pfunden.

Es verdient die rühmlichste Anerkennung, daß
in Frankreich wenigstens Eine wahre und gründliche
Stimme über das, was man thun wollte, gehört
worden ist: aber diese Stimme ist verhallt ohne Spur
einer Wirkung. Das Txibunal von Montpellier
spricht über den künftigen Gerichtsgebrauch, wodurch
der Code ergänzt werden soll, also 1): "Mais
quelle jurisprudence! n'ayant d'autre regle que
l'arbitraire sur l'immensite d'objets a co-ordon-
ner au systeme de la legislation nouvelle, a quel-
le unite, a quel concert faudrait il s'attendre de la
part d'une pareille jurisprudence, ouvrage de
tant de juges et de tant de tribunaux, dont l'opi-
nion ebranlee, par les secousses revolutionnai-
res, serait encore si diversement modifiee! quelle
serait enfin le regulateur de cette jurispruden-
ce disparate, qui devrait necessairement se com-

poser
1) Crussaire p. 8.

daß ein Zuſtand ſehr großer Rechtsungewißheit zu be-
fürchten iſt. Dieſer Zuſtand nun iſt unerträglich; denn
ob an verſchiedenen Orten verſchiedenes Recht gilt,
daran liegt wenig, aber wenn für einen gegebe-
nen einzelnen Fall das Recht dem Zufall und der
Willkühr preis gegeben iſt, ſo iſt das ſchlimmſte ein-
getreten, was für die Rechtspflege gedacht werden
kann, und dieſes Uebel wird gewiß von jedem em-
pfunden.

Es verdient die rühmlichſte Anerkennung, daß
in Frankreich wenigſtens Eine wahre und gründliche
Stimme über das, was man thun wollte, gehört
worden iſt: aber dieſe Stimme iſt verhallt ohne Spur
einer Wirkung. Das Txibunal von Montpellier
ſpricht über den künftigen Gerichtsgebrauch, wodurch
der Code ergänzt werden ſoll, alſo 1): „Mais
quelle jurisprudence! n’ayant d’autre règle que
l’arbitraire sur l’immensité d’objets à co-ordon-
ner au systême de la législation nouvelle, à quel-
le unité, à quel concert faudrait il s’attendre de la
part d’une pareille jurisprudence, ouvrage de
tant de juges et de tant de tribunaux, dont l’opi-
nion ébranlée, par les secousses révolutionnai-
res, serait encore si diversement modifiée! quelle
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ce disparate, qui devrait nécessairement se com-

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[80/0090] daß ein Zuſtand ſehr großer Rechtsungewißheit zu be- fürchten iſt. Dieſer Zuſtand nun iſt unerträglich; denn ob an verſchiedenen Orten verſchiedenes Recht gilt, daran liegt wenig, aber wenn für einen gegebe- nen einzelnen Fall das Recht dem Zufall und der Willkühr preis gegeben iſt, ſo iſt das ſchlimmſte ein- getreten, was für die Rechtspflege gedacht werden kann, und dieſes Uebel wird gewiß von jedem em- pfunden. Es verdient die rühmlichſte Anerkennung, daß in Frankreich wenigſtens Eine wahre und gründliche Stimme über das, was man thun wollte, gehört worden iſt: aber dieſe Stimme iſt verhallt ohne Spur einer Wirkung. Das Txibunal von Montpellier ſpricht über den künftigen Gerichtsgebrauch, wodurch der Code ergänzt werden ſoll, alſo 1): „Mais quelle jurisprudence! n’ayant d’autre règle que l’arbitraire sur l’immensité d’objets à co-ordon- ner au systême de la législation nouvelle, à quel- le unité, à quel concert faudrait il s’attendre de la part d’une pareille jurisprudence, ouvrage de tant de juges et de tant de tribunaux, dont l’opi- nion ébranlée, par les secousses révolutionnai- res, serait encore si diversement modifiée! quelle serait enfin le régulateur de cette jurispruden- ce disparate, qui devrait nécessairement se com- poser 1) Crussaire p. 8.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/90>, abgerufen am 28.04.2024.