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Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814.

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könnten wir freilich noch in anderen Materien die-
nen! auch kann man dieser literarischen Unschuld keine
nationale Parteylichkeit vorwerfen, denn bekanntlich
lebten in Frankreich im 16ten Jahrhundert einige
Leute, von denen man noch jetzt Römisches Recht ler-
nen kann. Aber ich selbst habe einen juristischen
Professor in Paris sagen hören, die Werke des Cu-
jaz
dürften zwar in einer sehr vollständigen Biblio-
thek nicht fehlen, gebraucht würden sie indessen nicht
mehr, weil alles gute aus ihnen bey Pothier stehe.

So viel von dem Boden, worauf der Code ge-
wachsen ist, nun von der Frucht selbst. Materielle
Vollständigkeit lag nicht im Plane, es kam daher auf
folgende drey Stücke an: Auswahl der Gegenstände,
Auswahl der Bestimmungen über jeden Gegenstand,
und Verhältniß zu demjenigen, was in subsidium
gelten sollte, wo der Code nicht zureichen würde. --
Die Auswahl der Gegenstände war für den praktisch
gebildeten Juristen das leichteste, aber gerade diese
ist hier so ungeschickt ausgefallen, daß für die An-
wendung die fühlbarsten Lücken im großen entstehen.
Nicht Erfahrung und praktischer Sinn hat sie be-
stimmt, sondern der Anstoß, welchen herkömmliche
Lehrart gegeben hatte, und geht man weiter zurück,
so wird man häufig finden, daß wichtige Gegenstände
blos deswegen fehlen, weil sie auch gar nicht oder
nur beyläufig in Justinians Institutionen vorkom-
men, die ja so vielen neueren Systemen oft unbe-

E

könnten wir freilich noch in anderen Materien die-
nen! auch kann man dieſer literariſchen Unſchuld keine
nationale Parteylichkeit vorwerfen, denn bekanntlich
lebten in Frankreich im 16ten Jahrhundert einige
Leute, von denen man noch jetzt Römiſches Recht ler-
nen kann. Aber ich ſelbſt habe einen juriſtiſchen
Profeſſor in Paris ſagen hören, die Werke des Cu-
jaz
dürften zwar in einer ſehr vollſtändigen Biblio-
thek nicht fehlen, gebraucht würden ſie indeſſen nicht
mehr, weil alles gute aus ihnen bey Pothier ſtehe.

So viel von dem Boden, worauf der Code ge-
wachſen iſt, nun von der Frucht ſelbſt. Materielle
Vollſtändigkeit lag nicht im Plane, es kam daher auf
folgende drey Stücke an: Auswahl der Gegenſtände,
Auswahl der Beſtimmungen über jeden Gegenſtand,
und Verhältniß zu demjenigen, was in subsidium
gelten ſollte, wo der Code nicht zureichen würde. —
Die Auswahl der Gegenſtände war für den praktiſch
gebildeten Juriſten das leichteſte, aber gerade dieſe
iſt hier ſo ungeſchickt ausgefallen, daß für die An-
wendung die fühlbarſten Lücken im großen entſtehen.
Nicht Erfahrung und praktiſcher Sinn hat ſie be-
ſtimmt, ſondern der Anſtoß, welchen herkömmliche
Lehrart gegeben hatte, und geht man weiter zurück,
ſo wird man häufig finden, daß wichtige Gegenſtände
blos deswegen fehlen, weil ſie auch gar nicht oder
nur beyläufig in Juſtinians Inſtitutionen vorkom-
men, die ja ſo vielen neueren Syſtemen oft unbe-

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[65/0075] könnten wir freilich noch in anderen Materien die- nen! auch kann man dieſer literariſchen Unſchuld keine nationale Parteylichkeit vorwerfen, denn bekanntlich lebten in Frankreich im 16ten Jahrhundert einige Leute, von denen man noch jetzt Römiſches Recht ler- nen kann. Aber ich ſelbſt habe einen juriſtiſchen Profeſſor in Paris ſagen hören, die Werke des Cu- jaz dürften zwar in einer ſehr vollſtändigen Biblio- thek nicht fehlen, gebraucht würden ſie indeſſen nicht mehr, weil alles gute aus ihnen bey Pothier ſtehe. So viel von dem Boden, worauf der Code ge- wachſen iſt, nun von der Frucht ſelbſt. Materielle Vollſtändigkeit lag nicht im Plane, es kam daher auf folgende drey Stücke an: Auswahl der Gegenſtände, Auswahl der Beſtimmungen über jeden Gegenſtand, und Verhältniß zu demjenigen, was in subsidium gelten ſollte, wo der Code nicht zureichen würde. — Die Auswahl der Gegenſtände war für den praktiſch gebildeten Juriſten das leichteſte, aber gerade dieſe iſt hier ſo ungeſchickt ausgefallen, daß für die An- wendung die fühlbarſten Lücken im großen entſtehen. Nicht Erfahrung und praktiſcher Sinn hat ſie be- ſtimmt, ſondern der Anſtoß, welchen herkömmliche Lehrart gegeben hatte, und geht man weiter zurück, ſo wird man häufig finden, daß wichtige Gegenſtände blos deswegen fehlen, weil ſie auch gar nicht oder nur beyläufig in Juſtinians Inſtitutionen vorkom- men, die ja ſo vielen neueren Syſtemen oft unbe- E

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/75>, abgerufen am 28.04.2024.