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Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814.

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Gründen, die mit der Geschichte der christlichen
Kirche zusammenhangen, die nichtjuristische Ansicht
dieses Verhältnisses theils flach, theils im höchsten
Grade schwankend und unbestimmt geworden, und jene
Flachheit, wie dieses Schwanken, haben sich dem Recht
der Ehe mitgetheilt. Wer die Gesetzgebung und das
practische Recht in Ehesachen aufmerksam betrachtet,
wird darüber keinen Zweifel haben. Diejenigen nun,
welche glauben, daß jedes Uebel nur auf ein abhel-
fendes Gesetz warte, um dann auf der Stelle zu ver-
schwinden, werden diesen traurigen Zustand gern
anerkennen, um dadurch das Bedürfniß einer kräfti-
gen, durchgreifenden Gesetzgebung in helles Licht zu
setzen. Aber eben die Hoffnung, die sie hierin auf
Gesetze bauen, halte ich für ganz grundlos. Ist ein-
mal in der allgemeinen Ansicht eine bestimmte und
löbliche Richtung sichtbar, so kann diese durch Gesetz-
gebung kräftig unterstützt werden, aber hervorge-
bracht wird sie durch diese nicht, und wo sie gänz-
lich fehlt, wird jeder Versuch einer erschöpfenden Ge-
setzgebung den gegenwärtigen Zustand nur noch schwan-
kender machen und die Heilung erschweren.

Wir betrachten ferner diejenigen Gegenstände,
welche (wie das Eigenthum) im nichtjuristischen Pu-
blikum mit Gleichgültigkeit betrachtet werden, und
wovon selbst Juristen urtheilen, daß sie unter allen
Umständen dieselben seyn können 1), so daß sie le-

1) Thibaut a. a. O. p. 54.

Gründen, die mit der Geſchichte der chriſtlichen
Kirche zuſammenhangen, die nichtjuriſtiſche Anſicht
dieſes Verhältniſſes theils flach, theils im höchſten
Grade ſchwankend und unbeſtimmt geworden, und jene
Flachheit, wie dieſes Schwanken, haben ſich dem Recht
der Ehe mitgetheilt. Wer die Geſetzgebung und das
practiſche Recht in Eheſachen aufmerkſam betrachtet,
wird darüber keinen Zweifel haben. Diejenigen nun,
welche glauben, daß jedes Uebel nur auf ein abhel-
fendes Geſetz warte, um dann auf der Stelle zu ver-
ſchwinden, werden dieſen traurigen Zuſtand gern
anerkennen, um dadurch das Bedürfniß einer kräfti-
gen, durchgreifenden Geſetzgebung in helles Licht zu
ſetzen. Aber eben die Hoffnung, die ſie hierin auf
Geſetze bauen, halte ich für ganz grundlos. Iſt ein-
mal in der allgemeinen Anſicht eine beſtimmte und
löbliche Richtung ſichtbar, ſo kann dieſe durch Geſetz-
gebung kräftig unterſtützt werden, aber hervorge-
bracht wird ſie durch dieſe nicht, und wo ſie gänz-
lich fehlt, wird jeder Verſuch einer erſchöpfenden Ge-
ſetzgebung den gegenwärtigen Zuſtand nur noch ſchwan-
kender machen und die Heilung erſchweren.

Wir betrachten ferner diejenigen Gegenſtände,
welche (wie das Eigenthum) im nichtjuriſtiſchen Pu-
blikum mit Gleichgültigkeit betrachtet werden, und
wovon ſelbſt Juriſten urtheilen, daß ſie unter allen
Umſtänden dieſelben ſeyn können 1), ſo daß ſie le-

1) Thibaut a. a. O. p. 54.
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[47/0057] Gründen, die mit der Geſchichte der chriſtlichen Kirche zuſammenhangen, die nichtjuriſtiſche Anſicht dieſes Verhältniſſes theils flach, theils im höchſten Grade ſchwankend und unbeſtimmt geworden, und jene Flachheit, wie dieſes Schwanken, haben ſich dem Recht der Ehe mitgetheilt. Wer die Geſetzgebung und das practiſche Recht in Eheſachen aufmerkſam betrachtet, wird darüber keinen Zweifel haben. Diejenigen nun, welche glauben, daß jedes Uebel nur auf ein abhel- fendes Geſetz warte, um dann auf der Stelle zu ver- ſchwinden, werden dieſen traurigen Zuſtand gern anerkennen, um dadurch das Bedürfniß einer kräfti- gen, durchgreifenden Geſetzgebung in helles Licht zu ſetzen. Aber eben die Hoffnung, die ſie hierin auf Geſetze bauen, halte ich für ganz grundlos. Iſt ein- mal in der allgemeinen Anſicht eine beſtimmte und löbliche Richtung ſichtbar, ſo kann dieſe durch Geſetz- gebung kräftig unterſtützt werden, aber hervorge- bracht wird ſie durch dieſe nicht, und wo ſie gänz- lich fehlt, wird jeder Verſuch einer erſchöpfenden Ge- ſetzgebung den gegenwärtigen Zuſtand nur noch ſchwan- kender machen und die Heilung erſchweren. Wir betrachten ferner diejenigen Gegenſtände, welche (wie das Eigenthum) im nichtjuriſtiſchen Pu- blikum mit Gleichgültigkeit betrachtet werden, und wovon ſelbſt Juriſten urtheilen, daß ſie unter allen Umſtänden dieſelben ſeyn können 1), ſo daß ſie le- 1) Thibaut a. a. O. p. 54.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/57>, abgerufen am 28.04.2024.