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Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814.

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schon längst in Hessen die Rechtspflege gut und schnell,
obgleich da gerade in demselben Verhältniß gemeines
Recht und Landesrecht galt, wie in den Ländern, in
welchen die Prozesse nicht zu Ende gehen.

Zweytens klagt man über die große Verschie-
denheit der Landesrechte, und diese Klage geht noch
weiter als auf das Verhältniß verschiedener Deut-
scher Länder, da häufig auch in demselben Lande
Provinzen und Städte wiederum besonderes Recht
haben. Daß durch diese Verschiedenheit die Rechts-
pflege selbst leide und der Verkehr erschwert werde,
hat man häufig gesagt, aber keine Erfahrung spricht
dafür, und der wahre Grund ist wohl meist ein an-
derer. Er besteht in der unbeschreiblichen Gewalt,
welche die blose Idee der Gleichförmigkeit nach al-
len Richtungen nun schon so lange in Europa aus-
übt: eine Gewalt, gegen deren Mißbrauch schon
Montesquieu warnt 1). Es lohnt wohl der
Mühe, diese Gleichförmigkeit in dieser besondern An-
wendung näher zu betrachten. Das wichtigste, was
man für die Gleichförmigkeit des Rechts sagt, ist die-
ses: die Liebe zum gemeinsamen Vaterland werde
durch sie erhöht, durch die Mannichfaltigkeit der Par-
ticularrechte aber geschwächt. Ist diese Voraussetzung

1) Montesquieu. XXIX. 18.

ſchon längſt in Heſſen die Rechtspflege gut und ſchnell,
obgleich da gerade in demſelben Verhältniß gemeines
Recht und Landesrecht galt, wie in den Ländern, in
welchen die Prozeſſe nicht zu Ende gehen.

Zweytens klagt man über die große Verſchie-
denheit der Landesrechte, und dieſe Klage geht noch
weiter als auf das Verhältniß verſchiedener Deut-
ſcher Länder, da häufig auch in demſelben Lande
Provinzen und Städte wiederum beſonderes Recht
haben. Daß durch dieſe Verſchiedenheit die Rechts-
pflege ſelbſt leide und der Verkehr erſchwert werde,
hat man häufig geſagt, aber keine Erfahrung ſpricht
dafür, und der wahre Grund iſt wohl meiſt ein an-
derer. Er beſteht in der unbeſchreiblichen Gewalt,
welche die bloſe Idee der Gleichförmigkeit nach al-
len Richtungen nun ſchon ſo lange in Europa aus-
übt: eine Gewalt, gegen deren Mißbrauch ſchon
Montesquieu warnt 1). Es lohnt wohl der
Mühe, dieſe Gleichförmigkeit in dieſer beſondern An-
wendung näher zu betrachten. Das wichtigſte, was
man für die Gleichförmigkeit des Rechts ſagt, iſt die-
ſes: die Liebe zum gemeinſamen Vaterland werde
durch ſie erhöht, durch die Mannichfaltigkeit der Par-
ticularrechte aber geſchwächt. Iſt dieſe Vorausſetzung

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[41/0051] ſchon längſt in Heſſen die Rechtspflege gut und ſchnell, obgleich da gerade in demſelben Verhältniß gemeines Recht und Landesrecht galt, wie in den Ländern, in welchen die Prozeſſe nicht zu Ende gehen. Zweytens klagt man über die große Verſchie- denheit der Landesrechte, und dieſe Klage geht noch weiter als auf das Verhältniß verſchiedener Deut- ſcher Länder, da häufig auch in demſelben Lande Provinzen und Städte wiederum beſonderes Recht haben. Daß durch dieſe Verſchiedenheit die Rechts- pflege ſelbſt leide und der Verkehr erſchwert werde, hat man häufig geſagt, aber keine Erfahrung ſpricht dafür, und der wahre Grund iſt wohl meiſt ein an- derer. Er beſteht in der unbeſchreiblichen Gewalt, welche die bloſe Idee der Gleichförmigkeit nach al- len Richtungen nun ſchon ſo lange in Europa aus- übt: eine Gewalt, gegen deren Mißbrauch ſchon Montesquieu warnt 1). Es lohnt wohl der Mühe, dieſe Gleichförmigkeit in dieſer beſondern An- wendung näher zu betrachten. Das wichtigſte, was man für die Gleichförmigkeit des Rechts ſagt, iſt die- ſes: die Liebe zum gemeinſamen Vaterland werde durch ſie erhöht, durch die Mannichfaltigkeit der Par- ticularrechte aber geſchwächt. Iſt dieſe Vorausſetzung 1) Montesquieu. XXIX. 18.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/51>, abgerufen am 28.04.2024.