schlossene nationale Entwicklung, wie die der Alten, nicht auf dem Wege, welchen die Natur den neueren Völkern angewiesen hat; wie ihre Religion nicht Eigenthum der Völker ist ihre Literatur eben so we- nig frey von den mächtigsten äußeren Einflüssen, so scheint ihnen auch ein fremdes und gemeinsames bür- gerliches Recht nicht unnatürlich. Ja sogar nicht blos fremd überhaupt war dieser Einfluß auf Bil- dung und Literatur, sondern größtentheils Römisch, eben so Römisch als jener Einfluß auf unser Recht. Allein in diesem Falle liegt noch ein besonderer Irr- thum bey jener Ansicht zum Grunde. Nämlich auch ohne Einmischung des Römischen wäre eine unge- störte Ausbildung des Deutschen Rechts dennoch un- möglich gewesen, indem alle die Bedingungen fehl- ten, welche in Rom das bürgerliche Recht so sehr begünstigt hatten. Dahin gehörte zuerst die unver- rückte Localität, indem Rom, ursprünglich der Staat selbst, bis zum Untergang des westlichen Reichs der Mittelpunkt desselben blieb, während die Deutschen Stämme auswanderten, unterjochten und unterjocht wurden, so daß das Recht unter alle vertheilt war, aber nirgends eine unverrückte Stelle, noch weniger einen einzelnen Mittelpunkt fand. Dann haben schon sehr frühe die Deutschen Stämme Revolutionen er- fahren von so durchgreifender Art, wie sie die ganze Römische Geschichte nicht kennt. Denn selbst die Aenderungen der Verfassung unter August und un-
ſchloſſene nationale Entwicklung, wie die der Alten, nicht auf dem Wege, welchen die Natur den neueren Völkern angewieſen hat; wie ihre Religion nicht Eigenthum der Völker iſt ihre Literatur eben ſo we- nig frey von den mächtigſten äußeren Einflüſſen, ſo ſcheint ihnen auch ein fremdes und gemeinſames bür- gerliches Recht nicht unnatürlich. Ja ſogar nicht blos fremd überhaupt war dieſer Einfluß auf Bil- dung und Literatur, ſondern größtentheils Römiſch, eben ſo Römiſch als jener Einfluß auf unſer Recht. Allein in dieſem Falle liegt noch ein beſonderer Irr- thum bey jener Anſicht zum Grunde. Nämlich auch ohne Einmiſchung des Römiſchen wäre eine unge- ſtörte Ausbildung des Deutſchen Rechts dennoch un- möglich geweſen, indem alle die Bedingungen fehl- ten, welche in Rom das bürgerliche Recht ſo ſehr begünſtigt hatten. Dahin gehörte zuerſt die unver- rückte Localität, indem Rom, urſprünglich der Staat ſelbſt, bis zum Untergang des weſtlichen Reichs der Mittelpunkt deſſelben blieb, während die Deutſchen Stämme auswanderten, unterjochten und unterjocht wurden, ſo daß das Recht unter alle vertheilt war, aber nirgends eine unverrückte Stelle, noch weniger einen einzelnen Mittelpunkt fand. Dann haben ſchon ſehr frühe die Deutſchen Stämme Revolutionen er- fahren von ſo durchgreifender Art, wie ſie die ganze Römiſche Geſchichte nicht kennt. Denn ſelbſt die Aenderungen der Verfaſſung unter Auguſt und un-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0048"n="38"/>ſchloſſene nationale Entwicklung, wie die der Alten,<lb/>
nicht auf dem Wege, welchen die Natur den neueren<lb/>
Völkern angewieſen hat; wie ihre Religion nicht<lb/>
Eigenthum der Völker iſt ihre Literatur eben ſo we-<lb/>
nig frey von den mächtigſten äußeren Einflüſſen, ſo<lb/>ſcheint ihnen auch ein fremdes und gemeinſames bür-<lb/>
gerliches Recht nicht unnatürlich. Ja ſogar nicht<lb/>
blos fremd überhaupt war dieſer Einfluß auf Bil-<lb/>
dung und Literatur, ſondern größtentheils Römiſch,<lb/>
eben ſo Römiſch als jener Einfluß auf unſer Recht.<lb/>
Allein in dieſem Falle liegt noch ein beſonderer Irr-<lb/>
thum bey jener Anſicht zum Grunde. Nämlich auch<lb/>
ohne Einmiſchung des Römiſchen wäre eine unge-<lb/>ſtörte Ausbildung des Deutſchen Rechts dennoch un-<lb/>
möglich geweſen, indem alle die Bedingungen fehl-<lb/>
ten, welche in Rom das bürgerliche Recht ſo ſehr<lb/>
begünſtigt hatten. Dahin gehörte zuerſt die unver-<lb/>
rückte Localität, indem Rom, urſprünglich der Staat<lb/>ſelbſt, bis zum Untergang des weſtlichen Reichs der<lb/>
Mittelpunkt deſſelben blieb, während die Deutſchen<lb/>
Stämme auswanderten, unterjochten und unterjocht<lb/>
wurden, ſo daß das Recht unter alle vertheilt war,<lb/>
aber nirgends eine unverrückte Stelle, noch weniger<lb/>
einen einzelnen Mittelpunkt fand. Dann haben ſchon<lb/>ſehr frühe die Deutſchen Stämme Revolutionen er-<lb/>
fahren von ſo durchgreifender Art, wie ſie die ganze<lb/>
Römiſche Geſchichte nicht kennt. Denn ſelbſt die<lb/>
Aenderungen der Verfaſſung unter <hirendition="#g">Auguſt</hi> und un-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[38/0048]
ſchloſſene nationale Entwicklung, wie die der Alten,
nicht auf dem Wege, welchen die Natur den neueren
Völkern angewieſen hat; wie ihre Religion nicht
Eigenthum der Völker iſt ihre Literatur eben ſo we-
nig frey von den mächtigſten äußeren Einflüſſen, ſo
ſcheint ihnen auch ein fremdes und gemeinſames bür-
gerliches Recht nicht unnatürlich. Ja ſogar nicht
blos fremd überhaupt war dieſer Einfluß auf Bil-
dung und Literatur, ſondern größtentheils Römiſch,
eben ſo Römiſch als jener Einfluß auf unſer Recht.
Allein in dieſem Falle liegt noch ein beſonderer Irr-
thum bey jener Anſicht zum Grunde. Nämlich auch
ohne Einmiſchung des Römiſchen wäre eine unge-
ſtörte Ausbildung des Deutſchen Rechts dennoch un-
möglich geweſen, indem alle die Bedingungen fehl-
ten, welche in Rom das bürgerliche Recht ſo ſehr
begünſtigt hatten. Dahin gehörte zuerſt die unver-
rückte Localität, indem Rom, urſprünglich der Staat
ſelbſt, bis zum Untergang des weſtlichen Reichs der
Mittelpunkt deſſelben blieb, während die Deutſchen
Stämme auswanderten, unterjochten und unterjocht
wurden, ſo daß das Recht unter alle vertheilt war,
aber nirgends eine unverrückte Stelle, noch weniger
einen einzelnen Mittelpunkt fand. Dann haben ſchon
ſehr frühe die Deutſchen Stämme Revolutionen er-
fahren von ſo durchgreifender Art, wie ſie die ganze
Römiſche Geſchichte nicht kennt. Denn ſelbſt die
Aenderungen der Verfaſſung unter Auguſt und un-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/48>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.