Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

andern Deutschen Ländern das gemeine Recht fort-
dauert. Also von Aufhebung ist nicht die Rede, wohl
aber ist ernstlich zu bedenken, wie die Uebel vermie-
den werden können, die bey unrichtiger Behandlung
der Gesetzbücher eintreten dürften.

Wen nämlich dasjenige, was über die Natur
und Entstehung unsrer Gesetzbücher gesagt worden ist,
überzeugt hat, der wird nicht zweifeln, daß dasselbe
historisch begründete Rechtsstudium, welches vor ihrer
Einführung nothwendig war, auch durch sie nicht im
geringsten entbehrlicher geworden ist, und daß insbe-
sondere gar nichts geleistet wird, wenn man glaubt,
sich um ihretwillen nun mit einer oberflächlichen
Darstellung des bisherigen Rechts behelfen zu kön-
nen. Diese fortdauernde Nothwendigkeit ist für die
unmittelbare Anwendung dringender bey dem Oester-
reichischen Gesetzbuch (S. 108): aber sie ist aus
anderen Gründen auch bey dem Preussischen Land-
recht nicht geringer. Die häufig gehegte Erwartung
also, daß das Rechtsstudium dadurch leichter und
einfacher werden könne, ist irrig: soll es nicht schlecht
und für den gegebenen Rechtszustand unzureichend
werden (denn alsdann ist jeder Grad der Vereinfa-
chung möglich), so bleibt alle vorige Arbeit, und es
kommt noch eine neue hinzu, die wegen Zerstörung
der ursprünglichen Form unerfreulicher ist, als die
vorige. Aber nicht blos für die gründliche Kennt-
niß und Anwendung der Gesetzbücher ist das vorige

andern Deutſchen Ländern das gemeine Recht fort-
dauert. Alſo von Aufhebung iſt nicht die Rede, wohl
aber iſt ernſtlich zu bedenken, wie die Uebel vermie-
den werden können, die bey unrichtiger Behandlung
der Geſetzbücher eintreten dürften.

Wen nämlich dasjenige, was über die Natur
und Entſtehung unſrer Geſetzbücher geſagt worden iſt,
überzeugt hat, der wird nicht zweifeln, daß daſſelbe
hiſtoriſch begründete Rechtsſtudium, welches vor ihrer
Einführung nothwendig war, auch durch ſie nicht im
geringſten entbehrlicher geworden iſt, und daß insbe-
ſondere gar nichts geleiſtet wird, wenn man glaubt,
ſich um ihretwillen nun mit einer oberflächlichen
Darſtellung des bisherigen Rechts behelfen zu kön-
nen. Dieſe fortdauernde Nothwendigkeit iſt für die
unmittelbare Anwendung dringender bey dem Oeſter-
reichiſchen Geſetzbuch (S. 108): aber ſie iſt aus
anderen Gründen auch bey dem Preuſſiſchen Land-
recht nicht geringer. Die häufig gehegte Erwartung
alſo, daß das Rechtsſtudium dadurch leichter und
einfacher werden könne, iſt irrig: ſoll es nicht ſchlecht
und für den gegebenen Rechtszuſtand unzureichend
werden (denn alsdann iſt jeder Grad der Vereinfa-
chung möglich), ſo bleibt alle vorige Arbeit, und es
kommt noch eine neue hinzu, die wegen Zerſtörung
der urſprünglichen Form unerfreulicher iſt, als die
vorige. Aber nicht blos für die gründliche Kennt-
niß und Anwendung der Geſetzbücher iſt das vorige

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0146" n="136"/>
andern Deut&#x017F;chen Ländern das gemeine Recht fort-<lb/>
dauert. Al&#x017F;o von Aufhebung i&#x017F;t nicht die Rede, wohl<lb/>
aber i&#x017F;t ern&#x017F;tlich zu bedenken, wie die Uebel vermie-<lb/>
den werden können, die bey unrichtiger Behandlung<lb/>
der Ge&#x017F;etzbücher eintreten dürften.</p><lb/>
        <p>Wen nämlich dasjenige, was über die Natur<lb/>
und Ent&#x017F;tehung un&#x017F;rer Ge&#x017F;etzbücher ge&#x017F;agt worden i&#x017F;t,<lb/>
überzeugt hat, der wird nicht zweifeln, daß da&#x017F;&#x017F;elbe<lb/>
hi&#x017F;tori&#x017F;ch begründete Rechts&#x017F;tudium, welches vor ihrer<lb/>
Einführung nothwendig war, auch durch &#x017F;ie nicht im<lb/>
gering&#x017F;ten entbehrlicher geworden i&#x017F;t, und daß insbe-<lb/>
&#x017F;ondere gar nichts gelei&#x017F;tet wird, wenn man glaubt,<lb/>
&#x017F;ich um ihretwillen nun mit einer oberflächlichen<lb/>
Dar&#x017F;tellung des bisherigen Rechts behelfen zu kön-<lb/>
nen. Die&#x017F;e fortdauernde Nothwendigkeit i&#x017F;t für die<lb/>
unmittelbare Anwendung dringender bey dem Oe&#x017F;ter-<lb/>
reichi&#x017F;chen Ge&#x017F;etzbuch (S. 108): aber &#x017F;ie i&#x017F;t aus<lb/>
anderen Gründen auch bey dem Preu&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Land-<lb/>
recht nicht geringer. Die häufig gehegte Erwartung<lb/>
al&#x017F;o, daß das Rechts&#x017F;tudium dadurch leichter und<lb/>
einfacher werden könne, i&#x017F;t irrig: &#x017F;oll es nicht &#x017F;chlecht<lb/>
und für den gegebenen Rechtszu&#x017F;tand unzureichend<lb/>
werden (denn alsdann i&#x017F;t jeder Grad der Vereinfa-<lb/>
chung möglich), &#x017F;o bleibt alle vorige Arbeit, und es<lb/>
kommt noch eine neue hinzu, die wegen Zer&#x017F;törung<lb/>
der ur&#x017F;prünglichen Form unerfreulicher i&#x017F;t, als die<lb/>
vorige. Aber nicht blos für die gründliche Kennt-<lb/>
niß und Anwendung der Ge&#x017F;etzbücher i&#x017F;t das vorige<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[136/0146] andern Deutſchen Ländern das gemeine Recht fort- dauert. Alſo von Aufhebung iſt nicht die Rede, wohl aber iſt ernſtlich zu bedenken, wie die Uebel vermie- den werden können, die bey unrichtiger Behandlung der Geſetzbücher eintreten dürften. Wen nämlich dasjenige, was über die Natur und Entſtehung unſrer Geſetzbücher geſagt worden iſt, überzeugt hat, der wird nicht zweifeln, daß daſſelbe hiſtoriſch begründete Rechtsſtudium, welches vor ihrer Einführung nothwendig war, auch durch ſie nicht im geringſten entbehrlicher geworden iſt, und daß insbe- ſondere gar nichts geleiſtet wird, wenn man glaubt, ſich um ihretwillen nun mit einer oberflächlichen Darſtellung des bisherigen Rechts behelfen zu kön- nen. Dieſe fortdauernde Nothwendigkeit iſt für die unmittelbare Anwendung dringender bey dem Oeſter- reichiſchen Geſetzbuch (S. 108): aber ſie iſt aus anderen Gründen auch bey dem Preuſſiſchen Land- recht nicht geringer. Die häufig gehegte Erwartung alſo, daß das Rechtsſtudium dadurch leichter und einfacher werden könne, iſt irrig: ſoll es nicht ſchlecht und für den gegebenen Rechtszuſtand unzureichend werden (denn alsdann iſt jeder Grad der Vereinfa- chung möglich), ſo bleibt alle vorige Arbeit, und es kommt noch eine neue hinzu, die wegen Zerſtörung der urſprünglichen Form unerfreulicher iſt, als die vorige. Aber nicht blos für die gründliche Kennt- niß und Anwendung der Geſetzbücher iſt das vorige

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/146
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/146>, abgerufen am 23.11.2024.