che Kenntniß nöthig, als für das gewöhnliche Ge- schäft des Juristen; man muß über den Buchstaben des historischen Materials sehr Herr geworden seyn, um dasselbe frey als Werkzeug zur Darstellung neuer Formen gebrauchen zu können, sonst ist das sermo- cinari tamquam e vinculis unvermeidlich. Jene verkehrte Ansicht ließe sich auf die Sprache ungefähr so anwenden, als ob man zwar für den Umgang und das gemeine Leben den Reichthum, die Kraft und die Fülle der Sprache kennen müßte, für die Poesie aber mit oberflächlicher Kenntniß genug haben könnte.
Was nun hier von dem Studium des Rechts verlangt worden ist, soll nicht etwa in Büchern auf- bewahrt, auch nicht einzelnen Gelehrten anvertraut, sondern Gemeingut aller Juristen werden, die mit Ernst und mit offenem Sinn für ihren Beruf arbei- ten wollen. Es soll also eine lebendige Schule ent- stehen, so wie sämmtliche Römische Juristen, nicht blos die Sabinianer und eben so die Proculianer für sich, in der That Eine große Schule gebildet haben. Auch können nur aus einer solchen über die Gesammtheit der Juristen verbreiteten lebendigen Bearbeitung selbst die Wenigen hervorgehen, die durch ihren Geist zu eigentlicher Erfindung berufen sind, und es ist ein schädliches Vorurtheil, als ob diese sich immer finden würden, der Zustand der Schule möchte seyn wel- cher er wollte. Das Beyspiel von Montesquieu
che Kenntniß nöthig, als für das gewöhnliche Ge- ſchäft des Juriſten; man muß über den Buchſtaben des hiſtoriſchen Materials ſehr Herr geworden ſeyn, um daſſelbe frey als Werkzeug zur Darſtellung neuer Formen gebrauchen zu können, ſonſt iſt das sermo- cinari tamquam e vinculis unvermeidlich. Jene verkehrte Anſicht ließe ſich auf die Sprache ungefähr ſo anwenden, als ob man zwar für den Umgang und das gemeine Leben den Reichthum, die Kraft und die Fülle der Sprache kennen müßte, für die Poeſie aber mit oberflächlicher Kenntniß genug haben könnte.
Was nun hier von dem Studium des Rechts verlangt worden iſt, ſoll nicht etwa in Büchern auf- bewahrt, auch nicht einzelnen Gelehrten anvertraut, ſondern Gemeingut aller Juriſten werden, die mit Ernſt und mit offenem Sinn für ihren Beruf arbei- ten wollen. Es ſoll alſo eine lebendige Schule ent- ſtehen, ſo wie ſämmtliche Römiſche Juriſten, nicht blos die Sabinianer und eben ſo die Proculianer für ſich, in der That Eine große Schule gebildet haben. Auch können nur aus einer ſolchen über die Geſammtheit der Juriſten verbreiteten lebendigen Bearbeitung ſelbſt die Wenigen hervorgehen, die durch ihren Geiſt zu eigentlicher Erfindung berufen ſind, und es iſt ein ſchädliches Vorurtheil, als ob dieſe ſich immer finden würden, der Zuſtand der Schule möchte ſeyn wel- cher er wollte. Das Beyſpiel von Montesquieu
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che Kenntniß nöthig, als für das gewöhnliche Ge-
ſchäft des Juriſten; man muß über den Buchſtaben
des hiſtoriſchen Materials ſehr Herr geworden ſeyn,
um daſſelbe frey als Werkzeug zur Darſtellung neuer
Formen gebrauchen zu können, ſonſt iſt das sermo-
cinari tamquam e vinculis unvermeidlich. Jene
verkehrte Anſicht ließe ſich auf die Sprache ungefähr
ſo anwenden, als ob man zwar für den Umgang
und das gemeine Leben den Reichthum, die Kraft
und die Fülle der Sprache kennen müßte, für die
Poeſie aber mit oberflächlicher Kenntniß genug haben
könnte.
Was nun hier von dem Studium des Rechts
verlangt worden iſt, ſoll nicht etwa in Büchern auf-
bewahrt, auch nicht einzelnen Gelehrten anvertraut,
ſondern Gemeingut aller Juriſten werden, die mit
Ernſt und mit offenem Sinn für ihren Beruf arbei-
ten wollen. Es ſoll alſo eine lebendige Schule ent-
ſtehen, ſo wie ſämmtliche Römiſche Juriſten, nicht blos
die Sabinianer und eben ſo die Proculianer für ſich,
in der That Eine große Schule gebildet haben. Auch
können nur aus einer ſolchen über die Geſammtheit
der Juriſten verbreiteten lebendigen Bearbeitung ſelbſt
die Wenigen hervorgehen, die durch ihren Geiſt zu
eigentlicher Erfindung berufen ſind, und es iſt ein
ſchädliches Vorurtheil, als ob dieſe ſich immer finden
würden, der Zuſtand der Schule möchte ſeyn wel-
cher er wollte. Das Beyſpiel von Montesquieu
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Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/135>, abgerufen am 17.07.2024.
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