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Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814.

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nicht absolutes Ende und absoluter Anfang gedacht
werden kann. Insbesondere damit, daß einzelne, ja
viele Rechtssätze abgeändert werden, ist für diesen
Zweck gar nichts gethan: denn, wie schon oben be-
merkt worden ist (S. 39), die Richtung der Gedan-
ken, die Fragen und Aufgaben werden auch da noch
durch den vorhergehenden Zustand bestimmt seyn,
und die Herrschaft der Vergangenheit über die Ge-
genwart wird sich auch da äußern können, wo sich
die Gegenwart absichtlich der Vergangenheit entge-
gen setzt. Dieser überwiegende Einfluß des bestehen-
den Stoffs also ist auf keine Weise vermeidlich: aber
er wird uns verderblich seyn, solange wir ihm be-
wußtlos dienen, wohlthätig, wenn wir ihm eine le-
bendig bildende Kraft entgegen setzen, durch histori-
sche Ergründung ihn unterwerfen, und so den gan-
zen Reichthum der vergangenen Geschlechter uns an-
eignen. Wir haben also nur die Wahl, ob wir wol-
len, nach Baco's Ausdruck, sermocinari tamquam
e vinculis,
oder ob eine gründliche Rechtswissen-
schaft uns lehren soll, diesen historischen Stoff frey
als unser Werkzeug zu gebrauchen: ein drittes giebt
es nicht. Bey dieser Wahl möchte die Wissenschaft-
lichkeit schon von selbst, als der edlere Theil, für sich
gewinnen: aber es kommen noch besondere Gründe
aus unsrer Lage hinzu. Zuerst die allgemeine wis-
senschaftliche Richtung, die den Deutschen natürlich
ist, und wodurch sie es andern Nationen in vielen

H

nicht abſolutes Ende und abſoluter Anfang gedacht
werden kann. Insbeſondere damit, daß einzelne, ja
viele Rechtsſätze abgeändert werden, iſt für dieſen
Zweck gar nichts gethan: denn, wie ſchon oben be-
merkt worden iſt (S. 39), die Richtung der Gedan-
ken, die Fragen und Aufgaben werden auch da noch
durch den vorhergehenden Zuſtand beſtimmt ſeyn,
und die Herrſchaft der Vergangenheit über die Ge-
genwart wird ſich auch da äußern können, wo ſich
die Gegenwart abſichtlich der Vergangenheit entge-
gen ſetzt. Dieſer überwiegende Einfluß des beſtehen-
den Stoffs alſo iſt auf keine Weiſe vermeidlich: aber
er wird uns verderblich ſeyn, ſolange wir ihm be-
wußtlos dienen, wohlthätig, wenn wir ihm eine le-
bendig bildende Kraft entgegen ſetzen, durch hiſtori-
ſche Ergründung ihn unterwerfen, und ſo den gan-
zen Reichthum der vergangenen Geſchlechter uns an-
eignen. Wir haben alſo nur die Wahl, ob wir wol-
len, nach Baco’s Ausdruck, sermocinari tamquam
e vinculis,
oder ob eine gründliche Rechtswiſſen-
ſchaft uns lehren ſoll, dieſen hiſtoriſchen Stoff frey
als unſer Werkzeug zu gebrauchen: ein drittes giebt
es nicht. Bey dieſer Wahl möchte die Wiſſenſchaft-
lichkeit ſchon von ſelbſt, als der edlere Theil, für ſich
gewinnen: aber es kommen noch beſondere Gründe
aus unſrer Lage hinzu. Zuerſt die allgemeine wiſ-
ſenſchaftliche Richtung, die den Deutſchen natürlich
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[113/0123] nicht abſolutes Ende und abſoluter Anfang gedacht werden kann. Insbeſondere damit, daß einzelne, ja viele Rechtsſätze abgeändert werden, iſt für dieſen Zweck gar nichts gethan: denn, wie ſchon oben be- merkt worden iſt (S. 39), die Richtung der Gedan- ken, die Fragen und Aufgaben werden auch da noch durch den vorhergehenden Zuſtand beſtimmt ſeyn, und die Herrſchaft der Vergangenheit über die Ge- genwart wird ſich auch da äußern können, wo ſich die Gegenwart abſichtlich der Vergangenheit entge- gen ſetzt. Dieſer überwiegende Einfluß des beſtehen- den Stoffs alſo iſt auf keine Weiſe vermeidlich: aber er wird uns verderblich ſeyn, ſolange wir ihm be- wußtlos dienen, wohlthätig, wenn wir ihm eine le- bendig bildende Kraft entgegen ſetzen, durch hiſtori- ſche Ergründung ihn unterwerfen, und ſo den gan- zen Reichthum der vergangenen Geſchlechter uns an- eignen. Wir haben alſo nur die Wahl, ob wir wol- len, nach Baco’s Ausdruck, sermocinari tamquam e vinculis, oder ob eine gründliche Rechtswiſſen- ſchaft uns lehren ſoll, dieſen hiſtoriſchen Stoff frey als unſer Werkzeug zu gebrauchen: ein drittes giebt es nicht. Bey dieſer Wahl möchte die Wiſſenſchaft- lichkeit ſchon von ſelbſt, als der edlere Theil, für ſich gewinnen: aber es kommen noch beſondere Gründe aus unſrer Lage hinzu. Zuerſt die allgemeine wiſ- ſenſchaftliche Richtung, die den Deutſchen natürlich iſt, und wodurch ſie es andern Nationen in vielen H

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/123>, abgerufen am 29.11.2024.