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Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814.

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Oesterreichischen Gesetzbuch die Rede gewesen, und
nur beyläufig auch von praktischen Sätzen, insofern
nämlich jene Construction unmittelbaren Einfluß auf
dieselben ausgeübt hat. Nun ist noch besonders von
den praktischen Sätzen zu sprechen. Es ist schon be-
merkt worden, daß die materielle Vollständigkeit,
welche im Preussischen Landrechte gesucht war, hier
gar nicht zur Aufgabe gehörte: die Entscheidung der
einzelnen Rechtsfälle wird demnach meistens, so wie
bey dem Code (S. 73), nicht unmittelbar durch das
Gesetzbuch bestimmt werden können, und das außer
ihm liegende, wodurch sie in der That bestimmt wer-
den wird, verdient auch hier die allergrößte Aufmerk-
samkeit. Das Gesetzbuch selbst (§. 7) schreibt eine dop-
pelte Quelle dieser Ergänzung vor: zunächst die wirk-
lich im Gesetzbuch enthaltene Entscheidung ähnlicher
Fälle, und, wo diese nicht ausreicht, das Naturrecht.
Allein die erste Quelle wird wenig sichere Hülfe ge-
ben: denn materieller Reichthum des Gesetzbuchs war,
wie schon bemerkt, gar nicht gesucht, und von der
formellen Unzulänglichkeit desselben ist so eben aus-
führlich die Rede gewesen. Die zweyte Quelle aber
(das Naturrecht) ist selbst von den würdigen Män-
nern, welche zuletzt zur Entstehung des Gesetzbuchs
mitgewirkt haben, als sehr gefährlich für die Rechts-
pflege anerkannt 1). Der Erfolg wird also auch

1) Zeiller a. a. O., S. 38. "Da nun aber auf dem phi-
losophischen Gebiete jedermann nach seiner Ueberzeugung urthei-

Oeſterreichiſchen Geſetzbuch die Rede geweſen, und
nur beyläufig auch von praktiſchen Sätzen, inſofern
nämlich jene Conſtruction unmittelbaren Einfluß auf
dieſelben ausgeübt hat. Nun iſt noch beſonders von
den praktiſchen Sätzen zu ſprechen. Es iſt ſchon be-
merkt worden, daß die materielle Vollſtändigkeit,
welche im Preuſſiſchen Landrechte geſucht war, hier
gar nicht zur Aufgabe gehörte: die Entſcheidung der
einzelnen Rechtsfälle wird demnach meiſtens, ſo wie
bey dem Code (S. 73), nicht unmittelbar durch das
Geſetzbuch beſtimmt werden können, und das außer
ihm liegende, wodurch ſie in der That beſtimmt wer-
den wird, verdient auch hier die allergrößte Aufmerk-
ſamkeit. Das Geſetzbuch ſelbſt (§. 7) ſchreibt eine dop-
pelte Quelle dieſer Ergänzung vor: zunächſt die wirk-
lich im Geſetzbuch enthaltene Entſcheidung ähnlicher
Fälle, und, wo dieſe nicht ausreicht, das Naturrecht.
Allein die erſte Quelle wird wenig ſichere Hülfe ge-
ben: denn materieller Reichthum des Geſetzbuchs war,
wie ſchon bemerkt, gar nicht geſucht, und von der
formellen Unzulänglichkeit deſſelben iſt ſo eben aus-
führlich die Rede geweſen. Die zweyte Quelle aber
(das Naturrecht) iſt ſelbſt von den würdigen Män-
nern, welche zuletzt zur Entſtehung des Geſetzbuchs
mitgewirkt haben, als ſehr gefährlich für die Rechts-
pflege anerkannt 1). Der Erfolg wird alſo auch

1) Zeiller a. a. O., S. 38. „Da nun aber auf dem phi-
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[107/0117] Oeſterreichiſchen Geſetzbuch die Rede geweſen, und nur beyläufig auch von praktiſchen Sätzen, inſofern nämlich jene Conſtruction unmittelbaren Einfluß auf dieſelben ausgeübt hat. Nun iſt noch beſonders von den praktiſchen Sätzen zu ſprechen. Es iſt ſchon be- merkt worden, daß die materielle Vollſtändigkeit, welche im Preuſſiſchen Landrechte geſucht war, hier gar nicht zur Aufgabe gehörte: die Entſcheidung der einzelnen Rechtsfälle wird demnach meiſtens, ſo wie bey dem Code (S. 73), nicht unmittelbar durch das Geſetzbuch beſtimmt werden können, und das außer ihm liegende, wodurch ſie in der That beſtimmt wer- den wird, verdient auch hier die allergrößte Aufmerk- ſamkeit. Das Geſetzbuch ſelbſt (§. 7) ſchreibt eine dop- pelte Quelle dieſer Ergänzung vor: zunächſt die wirk- lich im Geſetzbuch enthaltene Entſcheidung ähnlicher Fälle, und, wo dieſe nicht ausreicht, das Naturrecht. Allein die erſte Quelle wird wenig ſichere Hülfe ge- ben: denn materieller Reichthum des Geſetzbuchs war, wie ſchon bemerkt, gar nicht geſucht, und von der formellen Unzulänglichkeit deſſelben iſt ſo eben aus- führlich die Rede geweſen. Die zweyte Quelle aber (das Naturrecht) iſt ſelbſt von den würdigen Män- nern, welche zuletzt zur Entſtehung des Geſetzbuchs mitgewirkt haben, als ſehr gefährlich für die Rechts- pflege anerkannt 1). Der Erfolg wird alſo auch 1) Zeiller a. a. O., S. 38. „Da nun aber auf dem phi- loſophiſchen Gebiete jedermann nach ſeiner Ueberzeugung urthei-

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/117>, abgerufen am 03.05.2024.