Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

besitzen. Es darf aber auch nicht übersehen werden,
daß eine große, vielleicht unübersteigliche Schwierig-
keit in der gegenwärtigen Stufe der deutschen Spra-
che lag, welche überhaupt nicht juristisch, und am
wenigsten für Gesetzgebung, ausgebildet ist; wie sehr
dadurch die lebendige Darstellung individueller Rechts-
verhältnisse erschwert, ja unmöglich gemacht wird,
kann jeder finden, der irgend einen eigenen Versuch
der Art, z. B. eine Uebersetzung aus den Pandekten,
unternehmen will. Ja hierin hatten sogar die Fran-
zosen in der größeren Bestimmtheit der Formen und
in der lateinischen Abstammung ihrer Sprache vor
uns einen großen Vorzug: daß sie ihn nicht besser
benutzt haben, erklärt sich aus dem eben dargestellten
traurigen Zustand ihrer Sachkenntniß. -- Man wür-
de diese Bemerkungen sehr wisverstehen, wenn man
sie so deuten wollte, als ob die Verfasser des Land-
rechts gegen das künftige wissenschaftliche Studium
desselben gleichgültig gewesen wären, was gar nicht
meine Meynung ist. Sehr merkwürdig ist in dieser
Rücksicht die bekannte Preißaufgabe von 1788 1),
welche ein Lehrbuch in zwey Theilen forderte, deren
erster ein aus dem Gesetzbuch selbst abstrahirtes Na-
turrecht, der zweite einen Auszug des positiven Rechts
selbst enthalten sollte. Man hat diese Ansicht des

1) Entwurf Th. 2. Abth. 3. Vorerinnerung.

beſitzen. Es darf aber auch nicht überſehen werden,
daß eine große, vielleicht unüberſteigliche Schwierig-
keit in der gegenwärtigen Stufe der deutſchen Spra-
che lag, welche überhaupt nicht juriſtiſch, und am
wenigſten für Geſetzgebung, ausgebildet iſt; wie ſehr
dadurch die lebendige Darſtellung individueller Rechts-
verhältniſſe erſchwert, ja unmöglich gemacht wird,
kann jeder finden, der irgend einen eigenen Verſuch
der Art, z. B. eine Ueberſetzung aus den Pandekten,
unternehmen will. Ja hierin hatten ſogar die Fran-
zoſen in der größeren Beſtimmtheit der Formen und
in der lateiniſchen Abſtammung ihrer Sprache vor
uns einen großen Vorzug: daß ſie ihn nicht beſſer
benutzt haben, erklärt ſich aus dem eben dargeſtellten
traurigen Zuſtand ihrer Sachkenntniß. — Man wür-
de dieſe Bemerkungen ſehr wisverſtehen, wenn man
ſie ſo deuten wollte, als ob die Verfaſſer des Land-
rechts gegen das künftige wiſſenſchaftliche Studium
deſſelben gleichgültig geweſen wären, was gar nicht
meine Meynung iſt. Sehr merkwürdig iſt in dieſer
Rückſicht die bekannte Preißaufgabe von 1788 1),
welche ein Lehrbuch in zwey Theilen forderte, deren
erſter ein aus dem Geſetzbuch ſelbſt abſtrahirtes Na-
turrecht, der zweite einen Auszug des poſitiven Rechts
ſelbſt enthalten ſollte. Man hat dieſe Anſicht des

1) Entwurf Th. 2. Abth. 3. Vorerinnerung.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0101" n="91"/>
be&#x017F;itzen. Es darf aber auch nicht über&#x017F;ehen werden,<lb/>
daß eine große, vielleicht unüber&#x017F;teigliche Schwierig-<lb/>
keit in der gegenwärtigen Stufe der deut&#x017F;chen Spra-<lb/>
che lag, welche überhaupt nicht juri&#x017F;ti&#x017F;ch, und am<lb/>
wenig&#x017F;ten für Ge&#x017F;etzgebung, ausgebildet i&#x017F;t; wie &#x017F;ehr<lb/>
dadurch die lebendige Dar&#x017F;tellung individueller Rechts-<lb/>
verhältni&#x017F;&#x017F;e er&#x017F;chwert, ja unmöglich gemacht wird,<lb/>
kann jeder finden, der irgend einen eigenen Ver&#x017F;uch<lb/>
der Art, z. B. eine Ueber&#x017F;etzung aus den Pandekten,<lb/>
unternehmen will. Ja hierin hatten &#x017F;ogar die Fran-<lb/>
zo&#x017F;en in der größeren Be&#x017F;timmtheit der Formen und<lb/>
in der lateini&#x017F;chen Ab&#x017F;tammung ihrer Sprache vor<lb/>
uns einen großen Vorzug: daß &#x017F;ie ihn nicht be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
benutzt haben, erklärt &#x017F;ich aus dem eben darge&#x017F;tellten<lb/>
traurigen Zu&#x017F;tand ihrer Sachkenntniß. &#x2014; Man wür-<lb/>
de die&#x017F;e Bemerkungen &#x017F;ehr wisver&#x017F;tehen, wenn man<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;o deuten wollte, als ob die Verfa&#x017F;&#x017F;er des Land-<lb/>
rechts gegen das künftige wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Studium<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben gleichgültig gewe&#x017F;en wären, was gar nicht<lb/>
meine Meynung i&#x017F;t. Sehr merkwürdig i&#x017F;t in die&#x017F;er<lb/>
Rück&#x017F;icht die bekannte Preißaufgabe von 1788 <note place="foot" n="1)">Entwurf Th. 2. Abth. 3. Vorerinnerung.</note>,<lb/>
welche ein Lehrbuch in zwey Theilen forderte, deren<lb/>
er&#x017F;ter ein aus dem Ge&#x017F;etzbuch &#x017F;elb&#x017F;t ab&#x017F;trahirtes Na-<lb/>
turrecht, der zweite einen Auszug des po&#x017F;itiven Rechts<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t enthalten &#x017F;ollte. Man hat die&#x017F;e An&#x017F;icht des<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[91/0101] beſitzen. Es darf aber auch nicht überſehen werden, daß eine große, vielleicht unüberſteigliche Schwierig- keit in der gegenwärtigen Stufe der deutſchen Spra- che lag, welche überhaupt nicht juriſtiſch, und am wenigſten für Geſetzgebung, ausgebildet iſt; wie ſehr dadurch die lebendige Darſtellung individueller Rechts- verhältniſſe erſchwert, ja unmöglich gemacht wird, kann jeder finden, der irgend einen eigenen Verſuch der Art, z. B. eine Ueberſetzung aus den Pandekten, unternehmen will. Ja hierin hatten ſogar die Fran- zoſen in der größeren Beſtimmtheit der Formen und in der lateiniſchen Abſtammung ihrer Sprache vor uns einen großen Vorzug: daß ſie ihn nicht beſſer benutzt haben, erklärt ſich aus dem eben dargeſtellten traurigen Zuſtand ihrer Sachkenntniß. — Man wür- de dieſe Bemerkungen ſehr wisverſtehen, wenn man ſie ſo deuten wollte, als ob die Verfaſſer des Land- rechts gegen das künftige wiſſenſchaftliche Studium deſſelben gleichgültig geweſen wären, was gar nicht meine Meynung iſt. Sehr merkwürdig iſt in dieſer Rückſicht die bekannte Preißaufgabe von 1788 1), welche ein Lehrbuch in zwey Theilen forderte, deren erſter ein aus dem Geſetzbuch ſelbſt abſtrahirtes Na- turrecht, der zweite einen Auszug des poſitiven Rechts ſelbſt enthalten ſollte. Man hat dieſe Anſicht des 1) Entwurf Th. 2. Abth. 3. Vorerinnerung.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/101
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/101>, abgerufen am 03.05.2024.