Sarganeck, Georg: Ueberzeugende und bewegliche Warnung vor allen Sünden der Unreinigkeit und Heimlichen Unzucht. Züllichau, 1740.Anhang zum dritten Theil, viel Zeit gewendet, und darüber die allerwichtigste Sa-che ihres Lebens, ich meine den Proceß des Gewissens aus der acht gelassen haben: so ist leicht zu dencken, daß die, so manche edle Zeit mit dem lesen unnützer Bücher zubringen, einmal eine unglaubliche Anzahl Stunden in ihrer Rechnung werden finden müssen, die sie nicht werden verantworten oder Rechenschaft davon geben können. 6) Weil insgemein die Romanen nicht so beschaffen sind, wie es diejenigen fordern, die sie loben und vertheidi- gen. Wenn sie aber auch ihren rechten Eigenschaften noch etwas näher kämen so erlangen doch die wenig- sten Leser den rechten Endzweck, weil sie ihn niemals zu suchen, noch sich darum zu bekümmern begehren. Vie- len fehlt es am Verstande, das so in den Romans ver- stecket seyn und zur Erkenntniß der gemeinen Thorhei- ten, folglich zur Erweckung der Weisheit und Tugend dienen soll, aufzusuchen und einzusehen; mithin ist also das Lesen vergeblich: und weil natürlich das böse am ersten und leichtesten im Gemüthe bleibt, zugleich ver- derblich. 7) Weil es falsch ist, was man vorgibt, daß in den Ro- manen besonders die heimlichen Anschläge der Menschen und ihre Leidenschaften aufs lebhafteste vor Augen ge- stellet würden; und daß also selbige zur Erkenntniß der grossen Welt ein grosses beytragen könten. Denn es sind wenige Romanenschreiber so glücklich, daß sie die menschlichen Gemüthsneigungen in ihrer wahrhaften Beschaffenheit und Vermischungen solten beschreiben können. Die Leidenschaften und Anschläge die sie vor- stellen, sind meistens aus ihrem eigenen Gehirne, so öf- ters mit schlechter Erfahrung angefüllt ist, entsprossen; sie bleiben meist bey einerley Object, nemlich bey Liebes- händeln und Abentheuern (womit sich doch die wenig- sten Leute in ihrem Leben zu thun machen können, und womit sich kein gescheuter Mensch zu verwirren begeh- ret,) stehen, und berühren von Begebenheiten, die im gantzen Leben tagtäglich vorkommen müssen, gar nichts; so wird auch der Ausschlag von ihnen selten nach der Na- tur der Sache und Beschaffenheit der Anschläge erdich- tet, also daß wenig gründliches und natürliches daraus zu nehmen ist. Jungen und Neugierigen Gemüthern, die mit steter Verwunderung wollen unterhalten seyn, stehen zwar die seltsamen Veränderungen und plötzlich durch einander gehenden Abwechselungen der Dinge, so in den Romanen befindlich, eine Zeitlang sehr wohl an: allein was bewundern sie darinnen? Einen nichtigen Schat-
Anhang zum dritten Theil, viel Zeit gewendet, und daruͤber die allerwichtigſte Sa-che ihres Lebens, ich meine den Proceß des Gewiſſens aus der acht gelaſſen haben: ſo iſt leicht zu dencken, daß die, ſo manche edle Zeit mit dem leſen unnuͤtzer Buͤcher zubringen, einmal eine unglaubliche Anzahl Stunden in ihrer Rechnung werden finden muͤſſen, die ſie nicht werden verantworten oder Rechenſchaft davon geben koͤnnen. 6) Weil insgemein die Romanen nicht ſo beſchaffen ſind, wie es diejenigen fordern, die ſie loben und vertheidi- gen. Wenn ſie aber auch ihren rechten Eigenſchaften noch etwas naͤher kaͤmen ſo erlangen doch die wenig- ſten Leſer den rechten Endzweck, weil ſie ihn niemals zu ſuchen, noch ſich darum zu bekuͤmmern begehren. Vie- len fehlt es am Verſtande, das ſo in den Romans ver- ſtecket ſeyn und zur Erkenntniß der gemeinen Thorhei- ten, folglich zur Erweckung der Weisheit und Tugend dienen ſoll, aufzuſuchen und einzuſehen; mithin iſt alſo das Leſen vergeblich: und weil natuͤrlich das boͤſe am erſten und leichteſten im Gemuͤthe bleibt, zugleich ver- derblich. 7) Weil es falſch iſt, was man vorgibt, daß in den Ro- manen beſonders die heimlichen Anſchlaͤge der Menſchen und ihre Leidenſchaften aufs lebhafteſte vor Augen ge- ſtellet wuͤrden; und daß alſo ſelbige zur Erkenntniß der groſſen Welt ein groſſes beytragen koͤnten. Denn es ſind wenige Romanenſchreiber ſo gluͤcklich, daß ſie die menſchlichen Gemuͤthsneigungen in ihrer wahrhaften Beſchaffenheit und Vermiſchungen ſolten beſchreiben koͤnnen. Die Leidenſchaften und Anſchlaͤge die ſie vor- ſtellen, ſind meiſtens aus ihrem eigenen Gehirne, ſo oͤf- ters mit ſchlechter Erfahrung angefuͤllt iſt, entſproſſen; ſie bleiben meiſt bey einerley Object, nemlich bey Liebes- haͤndeln und Abentheuern (womit ſich doch die wenig- ſten Leute in ihrem Leben zu thun machen koͤnnen, und womit ſich kein geſcheuter Menſch zu verwirren begeh- ret,) ſtehen, und beruͤhren von Begebenheiten, die im gantzen Leben tagtaͤglich vorkommen muͤſſen, gar nichts; ſo wird auch der Ausſchlag von ihnen ſelten nach der Na- tur der Sache und Beſchaffenheit der Anſchlaͤge erdich- tet, alſo daß wenig gruͤndliches und natuͤrliches daraus zu nehmen iſt. Jungen und Neugierigen Gemuͤthern, die mit ſteter Verwunderung wollen unterhalten ſeyn, ſtehen zwar die ſeltſamen Veraͤnderungen und ploͤtzlich durch einander gehenden Abwechſelungen der Dinge, ſo in den Romanen befindlich, eine Zeitlang ſehr wohl an: allein was bewundern ſie darinnen? Einen nichtigen Schat-
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Anhang zum dritten Theil,
viel Zeit gewendet, und daruͤber die allerwichtigſte Sa-
che ihres Lebens, ich meine den Proceß des Gewiſſens
aus der acht gelaſſen haben: ſo iſt leicht zu dencken, daß
die, ſo manche edle Zeit mit dem leſen unnuͤtzer Buͤcher
zubringen, einmal eine unglaubliche Anzahl Stunden
in ihrer Rechnung werden finden muͤſſen, die ſie nicht
werden verantworten oder Rechenſchaft davon geben
koͤnnen.
6) Weil insgemein die Romanen nicht ſo beſchaffen ſind,
wie es diejenigen fordern, die ſie loben und vertheidi-
gen. Wenn ſie aber auch ihren rechten Eigenſchaften
noch etwas naͤher kaͤmen ſo erlangen doch die wenig-
ſten Leſer den rechten Endzweck, weil ſie ihn niemals
zu ſuchen, noch ſich darum zu bekuͤmmern begehren. Vie-
len fehlt es am Verſtande, das ſo in den Romans ver-
ſtecket ſeyn und zur Erkenntniß der gemeinen Thorhei-
ten, folglich zur Erweckung der Weisheit und Tugend
dienen ſoll, aufzuſuchen und einzuſehen; mithin iſt alſo
das Leſen vergeblich: und weil natuͤrlich das boͤſe am
erſten und leichteſten im Gemuͤthe bleibt, zugleich ver-
derblich.
7) Weil es falſch iſt, was man vorgibt, daß in den Ro-
manen beſonders die heimlichen Anſchlaͤge der Menſchen
und ihre Leidenſchaften aufs lebhafteſte vor Augen ge-
ſtellet wuͤrden; und daß alſo ſelbige zur Erkenntniß der
groſſen Welt ein groſſes beytragen koͤnten. Denn es
ſind wenige Romanenſchreiber ſo gluͤcklich, daß ſie die
menſchlichen Gemuͤthsneigungen in ihrer wahrhaften
Beſchaffenheit und Vermiſchungen ſolten beſchreiben
koͤnnen. Die Leidenſchaften und Anſchlaͤge die ſie vor-
ſtellen, ſind meiſtens aus ihrem eigenen Gehirne, ſo oͤf-
ters mit ſchlechter Erfahrung angefuͤllt iſt, entſproſſen;
ſie bleiben meiſt bey einerley Object, nemlich bey Liebes-
haͤndeln und Abentheuern (womit ſich doch die wenig-
ſten Leute in ihrem Leben zu thun machen koͤnnen, und
womit ſich kein geſcheuter Menſch zu verwirren begeh-
ret,) ſtehen, und beruͤhren von Begebenheiten, die im
gantzen Leben tagtaͤglich vorkommen muͤſſen, gar nichts;
ſo wird auch der Ausſchlag von ihnen ſelten nach der Na-
tur der Sache und Beſchaffenheit der Anſchlaͤge erdich-
tet, alſo daß wenig gruͤndliches und natuͤrliches daraus
zu nehmen iſt. Jungen und Neugierigen Gemuͤthern,
die mit ſteter Verwunderung wollen unterhalten ſeyn,
ſtehen zwar die ſeltſamen Veraͤnderungen und ploͤtzlich
durch einander gehenden Abwechſelungen der Dinge, ſo
in den Romanen befindlich, eine Zeitlang ſehr wohl an:
allein was bewundern ſie darinnen? Einen nichtigen
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