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Sarganeck, Georg: Ueberzeugende und bewegliche Warnung vor allen Sünden der Unreinigkeit und Heimlichen Unzucht. Züllichau, 1740.

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(I. Th.) Anatomisch-Medicinische
ren? Wozu soll man ein Ding auf etlichen Bogen
hingeben, das man eben so gründlich und vollstän-
dig, aber viel deutlicher und beweglicher, mithin
zehenmal nützlicher, mit etlichen wenigen Periodis hät-
te sagen können; so man sich nicht hätte mit dem
syllogistischen Kunstgewebe entweder selbst gefallen,
oder Ehre einlegen, oder andern über die Gebühr
gefallen wollen? Oder ists denn irgend eine so gros-
se Kunst, solche syllogistische Dunstgebäude aufzufüh-
ren? Kann man nicht auf die Weise die nichtswür-
digsten Sätze, die weltbekantesten Theses oder Er-
fahrungen, und die unnützesten Grillen so weitläuf-
tig und in einem Mathematisch-demonstrativen
nexu, wenns noth und nütze wäre, auch in gantzen
Folianten ausführen, wenn man nur weitschichtige
Erklärungen macht; Dinge, darüber alle Kinder
lachen müssen, daß man sie erst lehren will, unter
gewisse prächtige Titel und in gesetzmäßige Stellen
bringt; Sätze mit Sätzen verbindet; Schluß auf
Schluß (wenns auch schon oft die lahmesten Para-
logismos und Gedankensprünge oder Hiatus geben
solte) setzet; und mit einem Worte, eine grosse
Menge unnützer und schrecklich mühsam zusammenge-
klaubter Gedanken nur in den prächtig scheinenden
mathematischen Kittel einkleidet? Wunder, daß nicht
schon längst jemand müßiges die gerechten Klagen
der armen Mathematique über den ungerechten und
einfältigen Mißbrauch ihrer sonst so fürtreflichen
Lehrart in einem satyrischen Gedichte oder einer Tra-
gödie aufgeführet hat.

Man denckt etwa: Je schärfer eine Sache erwie-
sen wird, je mehr wird man davon überzeugt; und
je stärcker die Ueberzeugung, je gewisser und noth-
wendiger ist der Gehorsam. Aber ist denn das
wahr? Sind denn nicht alle Lande, Städte, Dörfer,
Schulen, Universitäten, Lebensarten, Collegia und
Societäten, ja alle Häuser und Seelen in der Welt
voll just entgegen gesetzter Erfahrungen? Weiß ein Dieb

nicht,

(I. Th.) Anatomiſch-Mediciniſche
ren? Wozu ſoll man ein Ding auf etlichen Bogen
hingeben, das man eben ſo gruͤndlich und vollſtaͤn-
dig, aber viel deutlicher und beweglicher, mithin
zehenmal nuͤtzlicher, mit etlichen wenigen Periodis haͤt-
te ſagen koͤnnen; ſo man ſich nicht haͤtte mit dem
ſyllogiſtiſchen Kunſtgewebe entweder ſelbſt gefallen,
oder Ehre einlegen, oder andern uͤber die Gebuͤhr
gefallen wollen? Oder iſts denn irgend eine ſo groſ-
ſe Kunſt, ſolche ſyllogiſtiſche Dunſtgebaͤude aufzufuͤh-
ren? Kann man nicht auf die Weiſe die nichtswuͤr-
digſten Saͤtze, die weltbekanteſten Theſes oder Er-
fahrungen, und die unnuͤtzeſten Grillen ſo weitlaͤuf-
tig und in einem Mathematiſch-demonſtrativen
nexu, wenns noth und nuͤtze waͤre, auch in gantzen
Folianten ausfuͤhren, wenn man nur weitſchichtige
Erklaͤrungen macht; Dinge, daruͤber alle Kinder
lachen muͤſſen, daß man ſie erſt lehren will, unter
gewiſſe praͤchtige Titel und in geſetzmaͤßige Stellen
bringt; Saͤtze mit Saͤtzen verbindet; Schluß auf
Schluß (wenns auch ſchon oft die lahmeſten Para-
logiſmos und Gedankenſpruͤnge oder Hiatus geben
ſolte) ſetzet; und mit einem Worte, eine groſſe
Menge unnuͤtzer und ſchrecklich muͤhſam zuſammenge-
klaubter Gedanken nur in den praͤchtig ſcheinenden
mathematiſchen Kittel einkleidet? Wunder, daß nicht
ſchon laͤngſt jemand muͤßiges die gerechten Klagen
der armen Mathematique uͤber den ungerechten und
einfaͤltigen Mißbrauch ihrer ſonſt ſo fuͤrtreflichen
Lehrart in einem ſatyriſchen Gedichte oder einer Tra-
goͤdie aufgefuͤhret hat.

Man denckt etwa: Je ſchaͤrfer eine Sache erwie-
ſen wird, je mehr wird man davon uͤberzeugt; und
je ſtaͤrcker die Ueberzeugung, je gewiſſer und noth-
wendiger iſt der Gehorſam. Aber iſt denn das
wahr? Sind denn nicht alle Lande, Staͤdte, Doͤrfer,
Schulen, Univerſitaͤten, Lebensarten, Collegia und
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voll juſt entgegen geſetzter Erfahrungen? Weiß ein Dieb

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[102/0122] (I. Th.) Anatomiſch-Mediciniſche ren? Wozu ſoll man ein Ding auf etlichen Bogen hingeben, das man eben ſo gruͤndlich und vollſtaͤn- dig, aber viel deutlicher und beweglicher, mithin zehenmal nuͤtzlicher, mit etlichen wenigen Periodis haͤt- te ſagen koͤnnen; ſo man ſich nicht haͤtte mit dem ſyllogiſtiſchen Kunſtgewebe entweder ſelbſt gefallen, oder Ehre einlegen, oder andern uͤber die Gebuͤhr gefallen wollen? Oder iſts denn irgend eine ſo groſ- ſe Kunſt, ſolche ſyllogiſtiſche Dunſtgebaͤude aufzufuͤh- ren? Kann man nicht auf die Weiſe die nichtswuͤr- digſten Saͤtze, die weltbekanteſten Theſes oder Er- fahrungen, und die unnuͤtzeſten Grillen ſo weitlaͤuf- tig und in einem Mathematiſch-demonſtrativen nexu, wenns noth und nuͤtze waͤre, auch in gantzen Folianten ausfuͤhren, wenn man nur weitſchichtige Erklaͤrungen macht; Dinge, daruͤber alle Kinder lachen muͤſſen, daß man ſie erſt lehren will, unter gewiſſe praͤchtige Titel und in geſetzmaͤßige Stellen bringt; Saͤtze mit Saͤtzen verbindet; Schluß auf Schluß (wenns auch ſchon oft die lahmeſten Para- logiſmos und Gedankenſpruͤnge oder Hiatus geben ſolte) ſetzet; und mit einem Worte, eine groſſe Menge unnuͤtzer und ſchrecklich muͤhſam zuſammenge- klaubter Gedanken nur in den praͤchtig ſcheinenden mathematiſchen Kittel einkleidet? Wunder, daß nicht ſchon laͤngſt jemand muͤßiges die gerechten Klagen der armen Mathematique uͤber den ungerechten und einfaͤltigen Mißbrauch ihrer ſonſt ſo fuͤrtreflichen Lehrart in einem ſatyriſchen Gedichte oder einer Tra- goͤdie aufgefuͤhret hat. Man denckt etwa: Je ſchaͤrfer eine Sache erwie- ſen wird, je mehr wird man davon uͤberzeugt; und je ſtaͤrcker die Ueberzeugung, je gewiſſer und noth- wendiger iſt der Gehorſam. Aber iſt denn das wahr? Sind denn nicht alle Lande, Staͤdte, Doͤrfer, Schulen, Univerſitaͤten, Lebensarten, Collegia und Societaͤten, ja alle Haͤuſer und Seelen in der Welt voll juſt entgegen geſetzter Erfahrungen? Weiß ein Dieb nicht,

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Zitationshilfe: Sarganeck, Georg: Ueberzeugende und bewegliche Warnung vor allen Sünden der Unreinigkeit und Heimlichen Unzucht. Züllichau, 1740, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sarganeck_unzucht_1740/122>, abgerufen am 21.11.2024.