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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Sechste Geistliche Lection
und dem jenigen den Last zu tragen überlasse/ so ihme in der vorigen Stelle
gleich gefolget/ und nun der erste ist. Thuen das die Hirsch/ was sollen dann
nicht thuen die Christen? thuen das die unvernünfftige Thier/ was sollen dann
nicht thuen die Geistliche? insonderheit/ da der Heyl. Augustinus sagt/ daß
nichts so wohl einen Freund anzeige/ als wann er den Last seines Freunds
trage: und der Heyl. Apostel Paulus uns ebenfalls mit diesen Worten er-
Gal. 6. v.
2.
mahnet: Einer trage deß andern Burde/ und also werdet ihr
das Gesetz CHRJSTJ erfullen:
als wolte er sagen; der
das Gesetz deß Herrn zu erfüllen verlanget/ dem ist nöthig/ daß er die Bür-
den/ das ist/ Verspottungen/ Bestraffungen/ Schmähwort/ vielfältiges
Plagen und dergleichen von seinem Nechsten mit einem Heldenmuth an-
nehme/ und gedültig trage: der aber das Widerspiel thuen wird/ und solchen
seinen Nechsten mit gleicher Müntz bezahlen; der bilde sich ja nicht ein/
daß er seinen Nechsten liebe; dann die Lieb muß die allerhärteste Dinge ü-
bertragen/ gleich wie ein Strauß - Vogel das unverdäuliche Eysen ver-
kochet. Dieses aber sage ich nicht/ sondern der Heyl. Paulus: Die Lieb
überträgt alles.
Auch lehrnet uns solches mit seinem Exempel der
König David/ als er nemblich von dem Semei auß dem Geschlecht deß
Sauls verfluchet/ und mit Steinen empfangen wurde; dahero demselben
der Abisai zur Stund den Kopff hinweg geschlagen hätte/ wann nicht der
2. Reg. 16.
v.
11.
sanfftmüthige König solches würde verbotten/ und gesagt haben: lasse ihn
bleiben/ daß er fluche nach dem Befehldes Herrn; ob viel-
leicht der Herr mein Elend ansähe/ und mir fur diesen
heutigen Fluch guts vergelte.
Also müssen wir auch gedencken/
wann wir die Liebe unseres Neehsten behalten wollen; daß es der Herr also
befohlen habe/ wann wir dieses oder jenes böse von diesem oder anderm zu
leiden haben. Und obschon/ so viel den ungerechten Schmäher angehet/ der
Will GOTTES dieses bloß allein zulasset; so lasset GOTT/ als
viel den leidenden Menschen betrifft/ dieses nicht allein zu/ sondern er will/
daß es also geschehe. Derowegen hoffe ein jeder mit dem David/ daß er
für solche Verfluchung oder überstandenes Unbill den Seegen deß Herrn
empfangen werde. Nicht vernachlässige dieses/ mein Christliche Seel/
dann/ wie grossen Nutzen du auß dieser Ubung der brüderlichen Liebe zu
gewarten hast/ kanst du auß folgenden Zeilen abnehmen.

Der

Die Sechſte Geiſtliche Lection
und dem jenigen den Laſt zu tragen uͤberlaſſe/ ſo ihme in der vorigen Stelle
gleich gefolget/ und nun der erſte iſt. Thuen das die Hirſch/ was ſollen dann
nicht thuen die Chriſten? thuen das die unvernuͤnfftige Thier/ was ſollen dann
nicht thuen die Geiſtliche? inſonderheit/ da der Heyl. Auguſtinus ſagt/ daß
nichts ſo wohl einen Freund anzeige/ als wann er den Laſt ſeines Freunds
trage: und der Heyl. Apoſtel Paulus uns ebenfalls mit dieſen Worten er-
Gal. 6. v.
2.
mahnet: Einer trage deß andern Bůrde/ und alſo werdet ihr
das Geſetz CHRJSTJ erfůllen:
als wolte er ſagen; der
das Geſetz deß Herrn zu erfuͤllen verlanget/ dem iſt noͤthig/ daß er die Buͤr-
den/ das iſt/ Verſpottungen/ Beſtraffungen/ Schmaͤhwort/ vielfaͤltiges
Plagen und dergleichen von ſeinem Nechſten mit einem Heldenmuth an-
nehme/ und geduͤltig trage: der aber das Widerſpiel thuen wird/ und ſolchen
ſeinen Nechſten mit gleicher Muͤntz bezahlen; der bilde ſich ja nicht ein/
daß er ſeinen Nechſten liebe; dann die Lieb muß die allerhaͤrteſte Dinge uͤ-
bertragen/ gleich wie ein Strauß - Vogel das unverdaͤuliche Eyſen ver-
kochet. Dieſes aber ſage ich nicht/ ſondern der Heyl. Paulus: Die Lieb
uͤbertraͤgt alles.
Auch lehrnet uns ſolches mit ſeinem Exempel der
Koͤnig David/ als er nemblich von dem Semei auß dem Geſchlecht deß
Sauls verfluchet/ und mit Steinen empfangen wurde; dahero demſelben
der Abiſai zur Stund den Kopff hinweg geſchlagen haͤtte/ wann nicht der
2. Reg. 16.
v.
11.
ſanfftmuͤthige Koͤnig ſolches wuͤrde verbotten/ und geſagt haben: laſſe ihn
bleiben/ daß er fluche nach dem Befehldes Herrn; ob viel-
leicht der Herr mein Elend anſaͤhe/ und mir fůr dieſen
heutigen Fluch guts vergelte.
Alſo muͤſſen wir auch gedencken/
wann wir die Liebe unſeres Neehſten behalten wollen; daß es der Herr alſo
befohlen habe/ wann wir dieſes oder jenes boͤſe von dieſem oder anderm zu
leiden haben. Und obſchon/ ſo viel den ungerechten Schmaͤher angehet/ der
Will GOTTES dieſes bloß allein zulaſſet; ſo laſſet GOTT/ als
viel den leidenden Menſchen betrifft/ dieſes nicht allein zu/ ſondern er will/
daß es alſo geſchehe. Derowegen hoffe ein jeder mit dem David/ daß er
fuͤr ſolche Verfluchung oder uͤberſtandenes Unbill den Seegen deß Herrn
empfangen werde. Nicht vernachlaͤſſige dieſes/ mein Chriſtliche Seel/
dann/ wie groſſen Nutzen du auß dieſer Ubung der bruͤderlichen Liebe zu
gewarten haſt/ kanſt du auß folgenden Zeilen abnehmen.

Der
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[58/0086] Die Sechſte Geiſtliche Lection und dem jenigen den Laſt zu tragen uͤberlaſſe/ ſo ihme in der vorigen Stelle gleich gefolget/ und nun der erſte iſt. Thuen das die Hirſch/ was ſollen dann nicht thuen die Chriſten? thuen das die unvernuͤnfftige Thier/ was ſollen dann nicht thuen die Geiſtliche? inſonderheit/ da der Heyl. Auguſtinus ſagt/ daß nichts ſo wohl einen Freund anzeige/ als wann er den Laſt ſeines Freunds trage: und der Heyl. Apoſtel Paulus uns ebenfalls mit dieſen Worten er- mahnet: Einer trage deß andern Bůrde/ und alſo werdet ihr das Geſetz CHRJSTJ erfůllen: als wolte er ſagen; der das Geſetz deß Herrn zu erfuͤllen verlanget/ dem iſt noͤthig/ daß er die Buͤr- den/ das iſt/ Verſpottungen/ Beſtraffungen/ Schmaͤhwort/ vielfaͤltiges Plagen und dergleichen von ſeinem Nechſten mit einem Heldenmuth an- nehme/ und geduͤltig trage: der aber das Widerſpiel thuen wird/ und ſolchen ſeinen Nechſten mit gleicher Muͤntz bezahlen; der bilde ſich ja nicht ein/ daß er ſeinen Nechſten liebe; dann die Lieb muß die allerhaͤrteſte Dinge uͤ- bertragen/ gleich wie ein Strauß - Vogel das unverdaͤuliche Eyſen ver- kochet. Dieſes aber ſage ich nicht/ ſondern der Heyl. Paulus: Die Lieb uͤbertraͤgt alles. Auch lehrnet uns ſolches mit ſeinem Exempel der Koͤnig David/ als er nemblich von dem Semei auß dem Geſchlecht deß Sauls verfluchet/ und mit Steinen empfangen wurde; dahero demſelben der Abiſai zur Stund den Kopff hinweg geſchlagen haͤtte/ wann nicht der ſanfftmuͤthige Koͤnig ſolches wuͤrde verbotten/ und geſagt haben: laſſe ihn bleiben/ daß er fluche nach dem Befehldes Herrn; ob viel- leicht der Herr mein Elend anſaͤhe/ und mir fůr dieſen heutigen Fluch guts vergelte. Alſo muͤſſen wir auch gedencken/ wann wir die Liebe unſeres Neehſten behalten wollen; daß es der Herr alſo befohlen habe/ wann wir dieſes oder jenes boͤſe von dieſem oder anderm zu leiden haben. Und obſchon/ ſo viel den ungerechten Schmaͤher angehet/ der Will GOTTES dieſes bloß allein zulaſſet; ſo laſſet GOTT/ als viel den leidenden Menſchen betrifft/ dieſes nicht allein zu/ ſondern er will/ daß es alſo geſchehe. Derowegen hoffe ein jeder mit dem David/ daß er fuͤr ſolche Verfluchung oder uͤberſtandenes Unbill den Seegen deß Herrn empfangen werde. Nicht vernachlaͤſſige dieſes/ mein Chriſtliche Seel/ dann/ wie groſſen Nutzen du auß dieſer Ubung der bruͤderlichen Liebe zu gewarten haſt/ kanſt du auß folgenden Zeilen abnehmen. Gal. 6. v. 2. 2. Reg. 16. v. 11. Der

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/86>, abgerufen am 01.05.2024.