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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Fünffte Geistliche Lection
dem allerweisesten König Salomon/ welche beyde ein kleines Kindlein/ als ihr
Söhnlein für sich begehrten: weilen aber der gemeldte Salomon auß den
vorgebrachten Reden dieser zweyen Weiber keinen Schluß machen konte;
und gleichwohl zu erfahren verlangte/ welche die rechte Mutter wäre/ befahle
er/ man solte das lebendige Kind zertheilen/ und einer jeden die Halbscheid ge-
ben. Diesem Urtheil fiele alsbald die vermeinte Mutter bey/ und sagte; un-
serer beyden keine soll es gantz haben/ sondern es solle zertheilet werden. Da die-
ses die rechte Mutter deß Kinds hörete/ sprach sie/ soll ich dann leiden/ daß
mein Kind getödtet werde? Ach nein! das leide ich nicht; ich will lieber mein
Recht fahren lassen/ damit mein Kind beym Leben verbleibe. Hierauß hat der
König erkennet/ daß diese die wahre Mutter des Kinds seye; derhalben sagte
er: gebet dieser das lebendige und unzertheilte Kind: die andere aber ist über-
zeugt und schamroth worden.

1. Was soll ich nun anders diesem Kind vergleichen/ als das Hertz deß
Menschens? und wem seynd diese zwey Weiber mehr ähnlich/ als GOtt und
dem Teuffel? GOtt als ein wahre Mutter hat durch die Erschaffung unser
Hertz gebohren/ dahero begehrt er selbiges/ und sagt: Sohn gebe mir
dein Hertz:
selbiges zu besitzen verlangt auch der leidige Sathan. Wem
sollen wirs nun geben? wollen wir die Persohn deß Salomons vertretten/ und
Richter seyn/ so lasset uns es dem jenigen weigeren/ der allein mit der Halb-
scheid zu frieden ist; und geben es dem/ ders gantz begehret/ oder nichts. Was
sagt der Sathan/ was fordert er? Jch bin zu frieden sagt er/ mit einem gar ge-
ringen Theil deines Hertzens: ich bin zu frieden/ daß du Meß hörest; daß du
deine Gezeiten bettest; daß du dich bißweilen disciplinirest; daß du fastes;
und bin auch zu frieden/ daß du zu Mitternacht auffstehest: daß du aber alle-
zeit in diesen Ubungen verharren wollest/ daß leiden deine Kräfften nicht; der-
halben ists rathsamb/ daß du zu Zeiten denen weltlichen Frewden beywohnest/
und dich erlüstigest: und was kans dir schaden/ daß du bißweilen in ehrlicher
Gesellschafft der weltlichen Leuten erscheinest? dieses erfordert die Bescheiden-
heit/ was ist auch daran gelegen/ so du bißweilen eine Sünd begehest: du bist
ein Mensch so wohl als andere: was kans hindern/ daß du auß Kurtzweil und
Ergötzligkeit halber zu Zeiten liegest? das muß man nicht hoch achten. Pa-
rum parum nocet.
Wenig schadet wenig. Mit einem Wort zu sagen/ der
Teuffel ist zu frieden mit der Halbscheid unseres Hertzens/ und ruffet mit der
vermeinten Mutter: Noch dir/ noch mir; sondern es soll zerthei-
let werden.
Aber/ aber/ was sagt Gott darzu Du solst GOtt dei-
nen Herrn lieben auß gantzem deinem Hertzen.
Er will das

Hertz

Die Fuͤnffte Geiſtliche Lection
dem allerweiſeſten Koͤnig Salomon/ welche beyde ein kleines Kindlein/ als ihr
Soͤhnlein fuͤr ſich begehrten: weilen aber der gemeldte Salomon auß den
vorgebrachten Reden dieſer zweyen Weiber keinen Schluß machen konte;
und gleichwohl zu erfahren verlangte/ welche die rechte Mutter waͤre/ befahle
er/ man ſolte das lebendige Kind zertheilen/ und einer jeden die Halbſcheid ge-
ben. Dieſem Urtheil fiele alsbald die vermeinte Mutter bey/ und ſagte; un-
ſerer beyden keine ſoll es gantz haben/ ſondern es ſolle zertheilet werden. Da die-
ſes die rechte Mutter deß Kinds hoͤrete/ ſprach ſie/ ſoll ich dann leiden/ daß
mein Kind getoͤdtet werde? Ach nein! das leide ich nicht; ich will lieber mein
Recht fahren laſſen/ damit mein Kind beym Leben verbleibe. Hierauß hat der
Koͤnig erkennet/ daß dieſe die wahre Mutter des Kinds ſeye; derhalben ſagte
er: gebet dieſer das lebendige und unzertheilte Kind: die andere aber iſt uͤber-
zeugt und ſchamroth worden.

1. Was ſoll ich nun anders dieſem Kind vergleichen/ als das Hertz deß
Menſchens? und wem ſeynd dieſe zwey Weiber mehr aͤhnlich/ als GOtt und
dem Teuffel? GOtt als ein wahre Mutter hat durch die Erſchaffung unſer
Hertz gebohren/ dahero begehrt er ſelbiges/ und ſagt: Sohn gebe mir
dein Hertz:
ſelbiges zu beſitzen verlangt auch der leidige Sathan. Wem
ſollen wirs nun geben? wollen wir die Perſohn deß Salomons vertretten/ und
Richter ſeyn/ ſo laſſet uns es dem jenigen weigeren/ der allein mit der Halb-
ſcheid zu frieden iſt; und geben es dem/ ders gantz begehret/ oder nichts. Was
ſagt der Sathan/ was fordert er? Jch bin zu frieden ſagt er/ mit einem gar ge-
ringen Theil deines Hertzens: ich bin zu frieden/ daß du Meß hoͤreſt; daß du
deine Gezeiten betteſt; daß du dich bißweilen diſciplinireſt; daß du faſtes;
und bin auch zu frieden/ daß du zu Mitternacht auffſteheſt: daß du aber alle-
zeit in dieſen Ubungen verharren wolleſt/ daß leiden deine Kraͤfften nicht; der-
halben iſts rathſamb/ daß du zu Zeiten denen weltlichen Frewden beywohneſt/
und dich erluͤſtigeſt: und was kans dir ſchaden/ daß du bißweilen in ehrlicher
Geſellſchafft der weltlichen Leuten erſcheineſt? dieſes erfordert die Beſcheiden-
heit/ was iſt auch daran gelegen/ ſo du bißweilen eine Suͤnd begeheſt: du biſt
ein Menſch ſo wohl als andere: was kans hindern/ daß du auß Kurtzweil und
Ergoͤtzligkeit halber zu Zeiten liegeſt? das muß man nicht hoch achten. Pa-
rum parum nocet.
Wenig ſchadet wenig. Mit einem Wort zu ſagen/ der
Teuffel iſt zu frieden mit der Halbſcheid unſeres Hertzens/ und ruffet mit der
vermeinten Mutter: Noch dir/ noch mir; ſondern es ſoll zerthei-
let werden.
Aber/ aber/ was ſagt Gott darzu Du ſolſt GOtt dei-
nen Herrn lieben auß gantzem deinem Hertzen.
Er will das

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[50/0078] Die Fuͤnffte Geiſtliche Lection dem allerweiſeſten Koͤnig Salomon/ welche beyde ein kleines Kindlein/ als ihr Soͤhnlein fuͤr ſich begehrten: weilen aber der gemeldte Salomon auß den vorgebrachten Reden dieſer zweyen Weiber keinen Schluß machen konte; und gleichwohl zu erfahren verlangte/ welche die rechte Mutter waͤre/ befahle er/ man ſolte das lebendige Kind zertheilen/ und einer jeden die Halbſcheid ge- ben. Dieſem Urtheil fiele alsbald die vermeinte Mutter bey/ und ſagte; un- ſerer beyden keine ſoll es gantz haben/ ſondern es ſolle zertheilet werden. Da die- ſes die rechte Mutter deß Kinds hoͤrete/ ſprach ſie/ ſoll ich dann leiden/ daß mein Kind getoͤdtet werde? Ach nein! das leide ich nicht; ich will lieber mein Recht fahren laſſen/ damit mein Kind beym Leben verbleibe. Hierauß hat der Koͤnig erkennet/ daß dieſe die wahre Mutter des Kinds ſeye; derhalben ſagte er: gebet dieſer das lebendige und unzertheilte Kind: die andere aber iſt uͤber- zeugt und ſchamroth worden. 1. Was ſoll ich nun anders dieſem Kind vergleichen/ als das Hertz deß Menſchens? und wem ſeynd dieſe zwey Weiber mehr aͤhnlich/ als GOtt und dem Teuffel? GOtt als ein wahre Mutter hat durch die Erſchaffung unſer Hertz gebohren/ dahero begehrt er ſelbiges/ und ſagt: Sohn gebe mir dein Hertz: ſelbiges zu beſitzen verlangt auch der leidige Sathan. Wem ſollen wirs nun geben? wollen wir die Perſohn deß Salomons vertretten/ und Richter ſeyn/ ſo laſſet uns es dem jenigen weigeren/ der allein mit der Halb- ſcheid zu frieden iſt; und geben es dem/ ders gantz begehret/ oder nichts. Was ſagt der Sathan/ was fordert er? Jch bin zu frieden ſagt er/ mit einem gar ge- ringen Theil deines Hertzens: ich bin zu frieden/ daß du Meß hoͤreſt; daß du deine Gezeiten betteſt; daß du dich bißweilen diſciplinireſt; daß du faſtes; und bin auch zu frieden/ daß du zu Mitternacht auffſteheſt: daß du aber alle- zeit in dieſen Ubungen verharren wolleſt/ daß leiden deine Kraͤfften nicht; der- halben iſts rathſamb/ daß du zu Zeiten denen weltlichen Frewden beywohneſt/ und dich erluͤſtigeſt: und was kans dir ſchaden/ daß du bißweilen in ehrlicher Geſellſchafft der weltlichen Leuten erſcheineſt? dieſes erfordert die Beſcheiden- heit/ was iſt auch daran gelegen/ ſo du bißweilen eine Suͤnd begeheſt: du biſt ein Menſch ſo wohl als andere: was kans hindern/ daß du auß Kurtzweil und Ergoͤtzligkeit halber zu Zeiten liegeſt? das muß man nicht hoch achten. Pa- rum parum nocet. Wenig ſchadet wenig. Mit einem Wort zu ſagen/ der Teuffel iſt zu frieden mit der Halbſcheid unſeres Hertzens/ und ruffet mit der vermeinten Mutter: Noch dir/ noch mir; ſondern es ſoll zerthei- let werden. Aber/ aber/ was ſagt Gott darzu Du ſolſt GOtt dei- nen Herrn lieben auß gantzem deinem Hertzen. Er will das Hertz

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/78>, abgerufen am 27.04.2024.