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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Drey und Füntzigste Geistliche Lection
nach verflossenen wenig Jahren aber die gewöhnliche Ubungen verlassen. Wie
können solche über die Fürbitt Mariä sich Hoffnung machen/ indem sie sich
von selbiger zum ersten entfrembden? Maria verlangt keinen wancklenden
und trägen/ sondern einen beständigen und eifferigen Liebhaber. Wie hoch
wurde von selbiger nicht gehalten der H. Edmundus? und gleichwohl ist die-
ser von seiner glorwürdigen Königin einsmahls scharff hergenommen wor-
den/ daß er sein gewöhnliches Gebett einen eintzigen Tag vernachlässiget hat.
Der gottselige Thomas a Kempis, da er ebenfalls sein tägliches Gebett zu der
Mutter Gottes einmal unterlassen/ hat er gesehen/ daß selbige über das Dor-
mitorium
gangen/ und einem jeden den Seegen ertheilet hat: da sie aber zu sei-
nem Zimmer kommen/ hat er vermerckt/ daß sie ihn gar scharff angesehen/ und
also seiner Nachlässigkeit erinnern wollen: auß diesem Gesicht ist der from-
me Diener dermassen bewegt worden/ daß er von selbigem Tag an/ biß zum
End seines Lebens/ die gewöhnliche Gebett zu Ehren seiner Mutter zu spre-
chen niemahl unterlassen hat. Ein anders ist dem seel. Josepho Hermanno
Praemonstraten
ser Ordens widerfahren: dann da selbigem von seiner Obrig-
keit das Ambt deß Sacristanen zu verrichten anbefohlen worden/ und wegen
vielfältiger Geschäfften/ die gewöhnliche Ubungen zu der Mutter Gottes
einige Tag unterlassen hat/ höret er einsmahls zur Abends-Zeit ein sonderli-
ches Getümmel an der Kirch-Thüren/ und da er hinzu nahet/ findet er ein al-
tes beruntzeltes und übel gekleidetes Weib: indem nun selbiges zu reden an-
fangt/ erkennet der gute Josephus die Stimm der allerseligsten Jungfrauen/
mit welcher er vorhin vielfältige Gemeinschafft gepflogen: verwundert sich
derhalben über solche seltzame Neulichkeit/ und erkühnet sich zu fragen/ was
doch diese wunderbarliche Aenderung bedeute? da gibt ihm die Mutter Got-
tes zur Antwort/ und sagt: Ein solche bin ich Josephe/ in deinem Hertzen/ wie
du mich allhier eusserlich siehest: dann jetzt gelte ich nichts mehr bey dir/ wei-
len du mich zu lieben und zu verehren hast nachgelassen/ nach diesen Worten
ist sie verschwunden.

16. Wann nun mein Christliche Seel/ so geringe Nachlässigkeit von der
allerseligsten Jungfrau so hoch ist empfunden worden; wie wird dann ihre
Treulosigkeit so übel außgedeutet werden/ welche viel zu Ehren dieser göttli-
chen Mutter zu thun versprochen haben/ und wenig halten! freylich konten je-
ne Mitbrüder der marianischen Bruderschafft ohne Sünde das gewöhnliche
In so dal.
Parthen.
l. 3. c.
2.
Bruderschaffts Gebett einmahl außgelassen: wie ists ihnen aber ergangen?
da diese beyde auffm Fluß Pado lavirten/ kommen sie zugleich in die eusserste

Lebens

Die Drey und Fuͤntzigſte Geiſtliche Lection
nach verfloſſenen wenig Jahren aber die gewoͤhnliche Ubungen verlaſſen. Wie
koͤnnen ſolche uͤber die Fuͤrbitt Mariaͤ ſich Hoffnung machen/ indem ſie ſich
von ſelbiger zum erſten entfrembden? Maria verlangt keinen wancklenden
und traͤgen/ ſondern einen beſtaͤndigen und eifferigen Liebhaber. Wie hoch
wurde von ſelbiger nicht gehalten der H. Edmundus? und gleichwohl iſt die-
ſer von ſeiner glorwuͤrdigen Koͤnigin einsmahls ſcharff hergenommen wor-
den/ daß er ſein gewoͤhnliches Gebett einen eintzigen Tag vernachlaͤſſiget hat.
Der gottſelige Thomas à Kempis, da er ebenfalls ſein taͤgliches Gebett zu der
Mutter Gottes einmal unterlaſſen/ hat er geſehen/ daß ſelbige uͤber das Dor-
mitorium
gangen/ und einem jeden den Seegen ertheilet hat: da ſie aber zu ſei-
nem Zimmer kommen/ hat er vermerckt/ daß ſie ihn gar ſcharff angeſehen/ und
alſo ſeiner Nachlaͤſſigkeit erinnern wollen: auß dieſem Geſicht iſt der from-
me Diener dermaſſen bewegt worden/ daß er von ſelbigem Tag an/ biß zum
End ſeines Lebens/ die gewoͤhnliche Gebett zu Ehren ſeiner Mutter zu ſpre-
chen niemahl unterlaſſen hat. Ein anders iſt dem ſeel. Joſepho Hermanno
Præmonſtraten
ſer Ordens widerfahren: dann da ſelbigem von ſeiner Obrig-
keit das Ambt deß Sacriſtanen zu verrichten anbefohlen worden/ und wegen
vielfaͤltiger Geſchaͤfften/ die gewoͤhnliche Ubungen zu der Mutter Gottes
einige Tag unterlaſſen hat/ hoͤret er einsmahls zur Abends-Zeit ein ſonderli-
ches Getuͤmmel an der Kirch-Thuͤren/ und da er hinzu nahet/ findet er ein al-
tes beruntzeltes und uͤbel gekleidetes Weib: indem nun ſelbiges zu reden an-
fangt/ erkennet der gute Joſephus die Stimm der allerſeligſten Jungfrauen/
mit welcher er vorhin vielfaͤltige Gemeinſchafft gepflogen: verwundert ſich
derhalben uͤber ſolche ſeltzame Neulichkeit/ und erkuͤhnet ſich zu fragen/ was
doch dieſe wunderbarliche Aenderung bedeute? da gibt ihm die Mutter Got-
tes zur Antwort/ und ſagt: Ein ſolche bin ich Joſephe/ in deinem Hertzen/ wie
du mich allhier euſſerlich ſieheſt: dann jetzt gelte ich nichts mehr bey dir/ wei-
len du mich zu lieben und zu verehren haſt nachgelaſſen/ nach dieſen Worten
iſt ſie verſchwunden.

16. Wann nun mein Chriſtliche Seel/ ſo geringe Nachlaͤſſigkeit von der
allerſeligſten Jungfrau ſo hoch iſt empfunden worden; wie wird dann ihre
Treuloſigkeit ſo uͤbel außgedeutet werden/ welche viel zu Ehren dieſer goͤttli-
chen Mutter zu thun verſprochen haben/ und wenig halten! freylich konten je-
ne Mitbruͤder der marianiſchen Bruderſchafft ohne Suͤnde das gewoͤhnliche
In ſo dal.
Parthen.
l. 3. c.
2.
Bruderſchaffts Gebett einmahl außgelaſſen: wie iſts ihnen aber ergangen?
da dieſe beyde auffm Fluß Pado lavirten/ kommen ſie zugleich in die euſſerſte

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[696/0724] Die Drey und Fuͤntzigſte Geiſtliche Lection nach verfloſſenen wenig Jahren aber die gewoͤhnliche Ubungen verlaſſen. Wie koͤnnen ſolche uͤber die Fuͤrbitt Mariaͤ ſich Hoffnung machen/ indem ſie ſich von ſelbiger zum erſten entfrembden? Maria verlangt keinen wancklenden und traͤgen/ ſondern einen beſtaͤndigen und eifferigen Liebhaber. Wie hoch wurde von ſelbiger nicht gehalten der H. Edmundus? und gleichwohl iſt die- ſer von ſeiner glorwuͤrdigen Koͤnigin einsmahls ſcharff hergenommen wor- den/ daß er ſein gewoͤhnliches Gebett einen eintzigen Tag vernachlaͤſſiget hat. Der gottſelige Thomas à Kempis, da er ebenfalls ſein taͤgliches Gebett zu der Mutter Gottes einmal unterlaſſen/ hat er geſehen/ daß ſelbige uͤber das Dor- mitorium gangen/ und einem jeden den Seegen ertheilet hat: da ſie aber zu ſei- nem Zimmer kommen/ hat er vermerckt/ daß ſie ihn gar ſcharff angeſehen/ und alſo ſeiner Nachlaͤſſigkeit erinnern wollen: auß dieſem Geſicht iſt der from- me Diener dermaſſen bewegt worden/ daß er von ſelbigem Tag an/ biß zum End ſeines Lebens/ die gewoͤhnliche Gebett zu Ehren ſeiner Mutter zu ſpre- chen niemahl unterlaſſen hat. Ein anders iſt dem ſeel. Joſepho Hermanno Præmonſtraten ſer Ordens widerfahren: dann da ſelbigem von ſeiner Obrig- keit das Ambt deß Sacriſtanen zu verrichten anbefohlen worden/ und wegen vielfaͤltiger Geſchaͤfften/ die gewoͤhnliche Ubungen zu der Mutter Gottes einige Tag unterlaſſen hat/ hoͤret er einsmahls zur Abends-Zeit ein ſonderli- ches Getuͤmmel an der Kirch-Thuͤren/ und da er hinzu nahet/ findet er ein al- tes beruntzeltes und uͤbel gekleidetes Weib: indem nun ſelbiges zu reden an- fangt/ erkennet der gute Joſephus die Stimm der allerſeligſten Jungfrauen/ mit welcher er vorhin vielfaͤltige Gemeinſchafft gepflogen: verwundert ſich derhalben uͤber ſolche ſeltzame Neulichkeit/ und erkuͤhnet ſich zu fragen/ was doch dieſe wunderbarliche Aenderung bedeute? da gibt ihm die Mutter Got- tes zur Antwort/ und ſagt: Ein ſolche bin ich Joſephe/ in deinem Hertzen/ wie du mich allhier euſſerlich ſieheſt: dann jetzt gelte ich nichts mehr bey dir/ wei- len du mich zu lieben und zu verehren haſt nachgelaſſen/ nach dieſen Worten iſt ſie verſchwunden. 16. Wann nun mein Chriſtliche Seel/ ſo geringe Nachlaͤſſigkeit von der allerſeligſten Jungfrau ſo hoch iſt empfunden worden; wie wird dann ihre Treuloſigkeit ſo uͤbel außgedeutet werden/ welche viel zu Ehren dieſer goͤttli- chen Mutter zu thun verſprochen haben/ und wenig halten! freylich konten je- ne Mitbruͤder der marianiſchen Bruderſchafft ohne Suͤnde das gewoͤhnliche Bruderſchaffts Gebett einmahl außgelaſſen: wie iſts ihnen aber ergangen? da dieſe beyde auffm Fluß Pado lavirten/ kommen ſie zugleich in die euſſerſte Lebens In ſo dal. Parthen. l. 3. c. 2.

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 696. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/724>, abgerufen am 22.11.2024.