Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Fünff und Viertzigste Geistliche Lection
hitzigeu Treffen ohne Wunden darvon/ wann er schon
eben nicht allzeit das Leben lasset.
Ob wohl wir nun ohne die-
se Sünden insgesambt krafft der gewöhnlichen Gnad nicht leben können;
so seynd wir derhalben doch nicht ohne Schuld [:] dieweilen wir mit der Gna-
de GOttes können meiden alle und jede Sünden ins besonder/ wie die Ge-
lehrte lehren. Wann nun also fallen die Heilige/ was Raths dann mit de-
nen/ welche weder Geschmack/ weder einigen Geruch der Heiligkeit oder
Vollkommenheit empfunden haben? Soll man dann nicht billig förchten?
Wer ist unter uns/ sagt der H. Gregorius/ der an Vollkommenheit unse-
ren geistlichen Vorfahren vorgehe/ oder auffs wenigst denselben gleich lebe?
Ps. 142. v.
2.
1. Cor.
4.
4.
und dannoch sagt der fromme David: HERR/ gehe mit deinem
Knecht nicht zu Gericht.
Paulus sagte zwarn: Jch bin mir
nichts Vbel bewust;
Er setzte aber alsbald hinzu. Jch bin aber
derhalben nicht gerechtfertiget.
Der Apostel Jacobus sagt:
c. 3. v. 2.
I.
1. 8.
Wir alle stossen an in vielen Dingen. Joannes sagt: So wir
sagen/ daß wir keine Sunde haben/ so verführen wir uns
selbst/ und die Warheit ist nicht in uns.
Wann nun/ mein
Christliche Seel/ diese Säulen der Kirchen GOtts also in Forcht erzittert
seynd; wie wollen wir arme Bletter von diesem Wind uns nicht entsetzen
können? Wir sollen billig mit selbigen umbwechselen/ und immer in Forcht
leben; sie aber in sicherheit sich erfreuen lassen; Nun leben wir in Sicher-
heit/ und seynd guter Ding; sie aber lebten in Sorgen und und Forcht für
ihre und unsere ewige Seeligkeit.

6. Schlage nun deine Augen deß Hertzens auff die allerseeligste Jung-
frau Mariam/ und siehe zum dritten/ wie dich dieses Außer wählte Mägd-
lein zur heylsamen Forcht GOttes unterwiese/ indem selbiges im Tempel
Serm.
Angeli.
c
14.
zu Hierusalem (wie der Engel der Heil Brigittä erzehlet hat) nicht allein
GOtt zu lieben/ sondern auch kläglich zu förchten angefangen/ derhalben/
sagt der Engel/ war die Forcht ihr erstes Creutz: in dieser Forcht ware sie
immer besorget/ wie sie nicht allein die Sünden fliehen/ sondern auch ihre
Werck nach dem Wohlgesallen GOttes einrichten mögte: und ob sie schon
alle ihre Sorgen/ Gedancken/ Wort und Wercke zum Lob GOttes rich-
tete; so ware sie doch allzeit beförchtet/ es mögte auch in diesen villeicht
eine Unvollkommenheit verborgen seyn. Dahero solten die armseelige
Sünder gedencken/ sagt der Engel/ wie grosse Straff sie sich wegen vieler
ohne Forcht begangenen Sünden auff den Hals laden; indem sie sehen/ daß

auch

Die Fuͤnff und Viertzigſte Geiſtliche Lection
hitzigeu Treffen ohne Wunden darvon/ wann er ſchon
eben nicht allzeit das Leben laſſet.
Ob wohl wir nun ohne die-
ſe Suͤnden insgeſambt krafft der gewoͤhnlichen Gnad nicht leben koͤnnen;
ſo ſeynd wir derhalben doch nicht ohne Schuld [:] dieweilen wir mit der Gna-
de GOttes koͤnnen meiden alle und jede Suͤnden ins beſonder/ wie die Ge-
lehrte lehren. Wann nun alſo fallen die Heilige/ was Raths dann mit de-
nen/ welche weder Geſchmack/ weder einigen Geruch der Heiligkeit oder
Vollkommenheit empfunden haben? Soll man dann nicht billig foͤrchten?
Wer iſt unter uns/ ſagt der H. Gregorius/ der an Vollkommenheit unſe-
ren geiſtlichen Vorfahren vorgehe/ oder auffs wenigſt denſelben gleich lebe?
Pſ. 142. v.
2.
1. Cor.
4.
4.
und dannoch ſagt der fromme David: HERR/ gehe mit deinem
Knecht nicht zu Gericht.
Paulus ſagte zwarn: Jch bin mir
nichts Vbel bewuſt;
Er ſetzte aber alsbald hinzu. Jch bin aber
derhalben nicht gerechtfertiget.
Der Apoſtel Jacobus ſagt:
c. 3. v. 2.
I.
1. 8.
Wir alle ſtoſſen an in vielen Dingen. Joannes ſagt: So wir
ſagen/ daß wir keine Sůnde haben/ ſo verführen wir uns
ſelbſt/ und die Warheit iſt nicht in uns.
Wann nun/ mein
Chriſtliche Seel/ dieſe Saͤulen der Kirchen GOtts alſo in Forcht erzittert
ſeynd; wie wollen wir arme Bletter von dieſem Wind uns nicht entſetzen
koͤnnen? Wir ſollen billig mit ſelbigen umbwechſelen/ und immer in Forcht
leben; ſie aber in ſicherheit ſich erfreuen laſſen; Nun leben wir in Sicher-
heit/ und ſeynd guter Ding; ſie aber lebten in Sorgen und und Forcht fuͤr
ihre und unſere ewige Seeligkeit.

6. Schlage nun deine Augen deß Hertzens auff die allerſeeligſte Jung-
frau Mariam/ und ſiehe zum dritten/ wie dich dieſes Außer waͤhlte Maͤgd-
lein zur heylſamen Forcht GOttes unterwieſe/ indem ſelbiges im Tempel
Serm.
Angeli.
c
14.
zu Hieruſalem (wie der Engel der Heil Brigittaͤ erzehlet hat) nicht allein
GOtt zu lieben/ ſondern auch klaͤglich zu foͤrchten angefangen/ derhalben/
ſagt der Engel/ war die Forcht ihr erſtes Creutz: in dieſer Forcht ware ſie
immer beſorget/ wie ſie nicht allein die Suͤnden fliehen/ ſondern auch ihre
Werck nach dem Wohlgeſallen GOttes einrichten moͤgte: und ob ſie ſchon
alle ihre Sorgen/ Gedancken/ Wort und Wercke zum Lob GOttes rich-
tete; ſo ware ſie doch allzeit befoͤrchtet/ es moͤgte auch in dieſen villeicht
eine Unvollkommenheit verborgen ſeyn. Dahero ſolten die armſeelige
Suͤnder gedencken/ ſagt der Engel/ wie groſſe Straff ſie ſich wegen vieler
ohne Forcht begangenen Suͤnden auff den Hals laden; indem ſie ſehen/ daß

auch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0608" n="580"/><fw place="top" type="header">Die Fu&#x0364;nff und Viertzig&#x017F;te Gei&#x017F;tliche <hi rendition="#aq">Lection</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">hitzigeu Treffen ohne Wunden darvon/ wann er &#x017F;chon<lb/>
eben nicht allzeit das Leben la&#x017F;&#x017F;et.</hi> Ob wohl wir nun ohne die-<lb/>
&#x017F;e Su&#x0364;nden insge&#x017F;ambt krafft der gewo&#x0364;hnlichen Gnad nicht leben ko&#x0364;nnen;<lb/>
&#x017F;o &#x017F;eynd wir derhalben doch nicht ohne Schuld <supplied>:</supplied> dieweilen wir mit der Gna-<lb/>
de GOttes ko&#x0364;nnen meiden alle und jede Su&#x0364;nden ins be&#x017F;onder/ wie die Ge-<lb/>
lehrte lehren. Wann nun al&#x017F;o fallen die Heilige/ was Raths dann mit de-<lb/>
nen/ welche weder Ge&#x017F;chmack/ weder einigen Geruch der Heiligkeit oder<lb/>
Vollkommenheit empfunden haben? Soll man dann nicht billig fo&#x0364;rchten?<lb/>
Wer i&#x017F;t unter uns/ &#x017F;agt der H. Gregorius/ der an Vollkommenheit un&#x017F;e-<lb/>
ren gei&#x017F;tlichen Vorfahren vorgehe/ oder auffs wenig&#x017F;t den&#x017F;elben gleich lebe?<lb/><note place="left"><hi rendition="#aq">P&#x017F;. 142. v.<lb/>
2.<lb/>
1. Cor.</hi> 4.<lb/>
4.</note>und dannoch &#x017F;agt der fromme David: HERR/ <hi rendition="#fr">gehe mit deinem<lb/>
Knecht nicht zu Gericht.</hi> Paulus &#x017F;agte zwarn: <hi rendition="#fr">Jch bin mir<lb/>
nichts Vbel bewu&#x017F;t;</hi> Er &#x017F;etzte aber alsbald hinzu. <hi rendition="#fr">Jch bin aber<lb/>
derhalben nicht gerechtfertiget.</hi> Der Apo&#x017F;tel Jacobus &#x017F;agt:<lb/><note place="left"><hi rendition="#aq">c. 3. v. 2.<lb/>
I.</hi> 1. 8.</note><hi rendition="#fr">Wir alle &#x017F;to&#x017F;&#x017F;en an in vielen Dingen.</hi> Joannes &#x017F;agt: <hi rendition="#fr">So wir<lb/>
&#x017F;agen/ daß wir keine S&#x016F;nde haben/ &#x017F;o verführen wir uns<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t/ und die Warheit i&#x017F;t nicht in uns.</hi> Wann nun/ mein<lb/>
Chri&#x017F;tliche Seel/ die&#x017F;e Sa&#x0364;ulen der Kirchen GOtts al&#x017F;o in Forcht erzittert<lb/>
&#x017F;eynd; wie wollen wir arme Bletter von die&#x017F;em Wind uns nicht ent&#x017F;etzen<lb/>
ko&#x0364;nnen? Wir &#x017F;ollen billig mit &#x017F;elbigen umbwech&#x017F;elen/ und immer in Forcht<lb/>
leben; &#x017F;ie aber in &#x017F;icherheit &#x017F;ich <choice><sic>erfrenen</sic><corr>erfreuen</corr></choice> la&#x017F;&#x017F;en; Nun leben wir in Sicher-<lb/>
heit/ und &#x017F;eynd guter Ding; &#x017F;ie aber lebten in Sorgen und und Forcht fu&#x0364;r<lb/>
ihre und un&#x017F;ere ewige Seeligkeit.</p><lb/>
        <p>6. Schlage nun deine Augen deß Hertzens auff die aller&#x017F;eelig&#x017F;te Jung-<lb/>
frau Mariam/ und &#x017F;iehe zum dritten/ wie dich die&#x017F;es Außer wa&#x0364;hlte Ma&#x0364;gd-<lb/>
lein zur heyl&#x017F;amen Forcht GOttes unterwie&#x017F;e/ indem &#x017F;elbiges im Tempel<lb/><note place="left"><hi rendition="#aq">Serm.<lb/>
Angeli.<lb/>
c</hi> 14.</note>zu Hieru&#x017F;alem (wie der Engel der Heil Brigitta&#x0364; erzehlet hat) nicht allein<lb/>
GOtt zu lieben/ &#x017F;ondern auch kla&#x0364;glich zu fo&#x0364;rchten angefangen/ derhalben/<lb/>
&#x017F;agt der Engel/ war die Forcht ihr er&#x017F;tes Creutz: in die&#x017F;er Forcht ware &#x017F;ie<lb/>
immer be&#x017F;orget/ wie &#x017F;ie nicht allein die Su&#x0364;nden fliehen/ &#x017F;ondern auch ihre<lb/>
Werck nach dem Wohlge&#x017F;allen GOttes einrichten mo&#x0364;gte: und ob &#x017F;ie &#x017F;chon<lb/>
alle ihre Sorgen/ Gedancken/ Wort und Wercke zum Lob GOttes rich-<lb/>
tete; &#x017F;o ware &#x017F;ie doch allzeit befo&#x0364;rchtet/ es mo&#x0364;gte auch in die&#x017F;en villeicht<lb/>
eine Unvollkommenheit verborgen &#x017F;eyn. Dahero &#x017F;olten die arm&#x017F;eelige<lb/>
Su&#x0364;nder gedencken/ &#x017F;agt der Engel/ wie gro&#x017F;&#x017F;e Straff &#x017F;ie &#x017F;ich wegen vieler<lb/>
ohne Forcht begangenen Su&#x0364;nden auff den Hals laden; indem &#x017F;ie &#x017F;ehen/ daß<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">auch</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[580/0608] Die Fuͤnff und Viertzigſte Geiſtliche Lection hitzigeu Treffen ohne Wunden darvon/ wann er ſchon eben nicht allzeit das Leben laſſet. Ob wohl wir nun ohne die- ſe Suͤnden insgeſambt krafft der gewoͤhnlichen Gnad nicht leben koͤnnen; ſo ſeynd wir derhalben doch nicht ohne Schuld : dieweilen wir mit der Gna- de GOttes koͤnnen meiden alle und jede Suͤnden ins beſonder/ wie die Ge- lehrte lehren. Wann nun alſo fallen die Heilige/ was Raths dann mit de- nen/ welche weder Geſchmack/ weder einigen Geruch der Heiligkeit oder Vollkommenheit empfunden haben? Soll man dann nicht billig foͤrchten? Wer iſt unter uns/ ſagt der H. Gregorius/ der an Vollkommenheit unſe- ren geiſtlichen Vorfahren vorgehe/ oder auffs wenigſt denſelben gleich lebe? und dannoch ſagt der fromme David: HERR/ gehe mit deinem Knecht nicht zu Gericht. Paulus ſagte zwarn: Jch bin mir nichts Vbel bewuſt; Er ſetzte aber alsbald hinzu. Jch bin aber derhalben nicht gerechtfertiget. Der Apoſtel Jacobus ſagt: Wir alle ſtoſſen an in vielen Dingen. Joannes ſagt: So wir ſagen/ daß wir keine Sůnde haben/ ſo verführen wir uns ſelbſt/ und die Warheit iſt nicht in uns. Wann nun/ mein Chriſtliche Seel/ dieſe Saͤulen der Kirchen GOtts alſo in Forcht erzittert ſeynd; wie wollen wir arme Bletter von dieſem Wind uns nicht entſetzen koͤnnen? Wir ſollen billig mit ſelbigen umbwechſelen/ und immer in Forcht leben; ſie aber in ſicherheit ſich erfreuen laſſen; Nun leben wir in Sicher- heit/ und ſeynd guter Ding; ſie aber lebten in Sorgen und und Forcht fuͤr ihre und unſere ewige Seeligkeit. Pſ. 142. v. 2. 1. Cor. 4. 4. c. 3. v. 2. I. 1. 8. 6. Schlage nun deine Augen deß Hertzens auff die allerſeeligſte Jung- frau Mariam/ und ſiehe zum dritten/ wie dich dieſes Außer waͤhlte Maͤgd- lein zur heylſamen Forcht GOttes unterwieſe/ indem ſelbiges im Tempel zu Hieruſalem (wie der Engel der Heil Brigittaͤ erzehlet hat) nicht allein GOtt zu lieben/ ſondern auch klaͤglich zu foͤrchten angefangen/ derhalben/ ſagt der Engel/ war die Forcht ihr erſtes Creutz: in dieſer Forcht ware ſie immer beſorget/ wie ſie nicht allein die Suͤnden fliehen/ ſondern auch ihre Werck nach dem Wohlgeſallen GOttes einrichten moͤgte: und ob ſie ſchon alle ihre Sorgen/ Gedancken/ Wort und Wercke zum Lob GOttes rich- tete; ſo ware ſie doch allzeit befoͤrchtet/ es moͤgte auch in dieſen villeicht eine Unvollkommenheit verborgen ſeyn. Dahero ſolten die armſeelige Suͤnder gedencken/ ſagt der Engel/ wie groſſe Straff ſie ſich wegen vieler ohne Forcht begangenen Suͤnden auff den Hals laden; indem ſie ſehen/ daß auch Serm. Angeli. c 14.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/608
Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 580. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/608>, abgerufen am 04.05.2024.