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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Von der Sacramentalischen Beicht.
wendete sie sich zu GOtt/ und sagte: O mein GOtt und HErr! Wo ist
dein gerechtes Urtheil? Wo ist deine unendliche Barmhertzigkeit? Wie kan
das möglich seyn/ mein gütigster GOtt/ daß ein so ehrbares Leben derge-
stalt gestrafft/ und so tugendsame Seel ewig verlohren gehe? Ach/ ach/ Herr!
wer wird dann können seelig werden? Uber solches Lamentiren hat die ver-
ftorbene angefangen/ und gesagt: Nicht Gott/ sondern ich bin die eintzige
Ursach meiner Verdamnuß: mir ist zu meiner selbst eigenen Verschähmung/
zur Warnung aber anderer befohlen worden/ den Verlauff meines Ver-
brechens folgender Massen zu erzehlen. Du weiß wohl/ sagte sie/ zu der
Matron/ daß ich von Jugend auff den geistlichen Büchern bin zugethan
gewesen: da ich nun einsmals vom Lesen ermüdet ware/ liesse ich mir
durch einer meiner Edel-Knaben/ den ich für andern liebte/ vorlesen. Da
dieser nun einsmals zu lesen auffhörte/ ersuchte er mich freundlich/ ich mögte
ihm doch meine Hand zu küssen reichen/ so ich auch thäte. Jndem selbiger
dieses nachmahlen öffters begehrte/ hab ich drey oder viermahl darein ver-
williget/ daer dann mit einer sonderbahren Affection und Liebe meine Hand
küssete/ und dieselbe länger hielte und truckete; und da er sahe/ daß ich solches
gernzuliesse/ wurde er kühner/ und ersuchte mich auch umb ein mehreres:
daß ich also mit ihm gefallen bin/ und meine Jungfrauschafft verlohren hab.
Die begangene Sünd hab ich solcher Gestalt gebeichtet; Ehrwürdiger. Pa-
ter/ ich klage mich an/ daß ich/ weiß nicht was für einen Willmuth mit einem
Edel-Knaben verübet habe: darüber ist selbiger über mich hefftig und un-
verständiglich außgefahren und gesagt: Was ist das? soll eine Königliche
Princessin dergleichen thuen? also bin beschämbt worden/ und hab gesagt/
daß ich esnun in den Gedancken gehabt habe. Darauff hat er mir noch un-
verständiger geantwortet und gesagt; daß ein solche Persohn der gleichen
Dinge auch in den Gedancken nicht zulassen müsse. Hierüber ist mir der
Muth entfallen/ und hab mir vorgenommen/ die begangene Sünd zu ver-
schweigen/ und hab gesagt/ ich hätte das nur getraumet; und also hab ich
die Absolution vom Beicht- Vatter bekommen/ bin aber von meinen Sün-
den nicht allein nicht loßgesprochen worden/ sondern hab mich wegen der
ungültigen Beicht noch mit grössern Lastern besudlet. Nachmalen hab
ich angefangen/ den Armen reichliche Allmosen mitzutheilen/ und meinen
Leib mit grosser Strenge zu züchtigen/ damit mir GOTT die heimliche
Sünd mögte nachlassen: welcher alle meine gute Wercke durch heylsame
Einsprechungen und innerliche Antrieb vergolien hat/ auff daß dermahlen
eins meine Sünd recht beichten könnte. Endlich bin ich in eine schwäre

Kran-
S s s 3

Von der Sacramentaliſchen Beicht.
wendete ſie ſich zu GOtt/ und ſagte: O mein GOtt und HErr! Wo iſt
dein gerechtes Urtheil? Wo iſt deine unendliche Barmhertzigkeit? Wie kan
das moͤglich ſeyn/ mein guͤtigſter GOtt/ daß ein ſo ehrbares Leben derge-
ſtalt geſtrafft/ und ſo tugendſame Seel ewig verlohren gehe? Ach/ ach/ Herr!
wer wird dann koͤnnen ſeelig werden? Uber ſolches Lamentiren hat die ver-
ftorbene angefangen/ und geſagt: Nicht Gott/ ſondern ich bin die eintzige
Urſach meiner Verdamnuß: mir iſt zu meiner ſelbſt eigenen Verſchaͤhmung/
zur Warnung aber anderer befohlen worden/ den Verlauff meines Ver-
brechens folgender Maſſen zu erzehlen. Du weiß wohl/ ſagte ſie/ zu der
Matron/ daß ich von Jugend auff den geiſtlichen Buͤchern bin zugethan
geweſen: da ich nun einsmals vom Leſen ermuͤdet ware/ lieſſe ich mir
durch einer meiner Edel-Knaben/ den ich fuͤr andern liebte/ vorleſen. Da
dieſer nun einsmals zu leſen auffhoͤrte/ erſuchte er mich freundlich/ ich moͤgte
ihm doch meine Hand zu kuͤſſen reichen/ ſo ich auch thaͤte. Jndem ſelbiger
dieſes nachmahlen oͤffters begehrte/ hab ich drey oder viermahl darein ver-
williget/ daer dann mit einer ſonderbahren Affection und Liebe meine Hand
kuͤſſete/ und dieſelbe laͤnger hielte und truckete; und da er ſahe/ daß ich ſolches
gernzulieſſe/ wurde er kuͤhner/ und erſuchte mich auch umb ein mehreres:
daß ich alſo mit ihm gefallen bin/ und meine Jungfrauſchafft verlohren hab.
Die begangene Suͤnd hab ich ſolcher Geſtalt gebeichtet; Ehrwuͤrdiger. Pa-
ter/ ich klage mich an/ daß ich/ weiß nicht was fuͤr einen Willmuth mit einem
Edel-Knaben veruͤbet habe: daruͤber iſt ſelbiger uͤber mich hefftig und un-
verſtaͤndiglich außgefahren und geſagt: Was iſt das? ſoll eine Koͤnigliche
Princeſſin dergleichen thuen? alſo bin beſchaͤmbt worden/ und hab geſagt/
daß ich esnun in den Gedancken gehabt habe. Darauff hat er mir noch un-
verſtaͤndiger geantwortet und geſagt; daß ein ſolche Perſohn der gleichen
Dinge auch in den Gedancken nicht zulaſſen muͤſſe. Hieruͤber iſt mir der
Muth entfallen/ und hab mir vorgenommen/ die begangene Suͤnd zu ver-
ſchweigen/ und hab geſagt/ ich haͤtte das nur getraumet; und alſo hab ich
die Abſolution vom Beicht- Vatter bekommen/ bin aber von meinen Suͤn-
den nicht allein nicht loßgeſprochen worden/ ſondern hab mich wegen der
unguͤltigen Beicht noch mit groͤſſern Laſtern beſudlet. Nachmalen hab
ich angefangen/ den Armen reichliche Allmoſen mitzutheilen/ und meinen
Leib mit groſſer Strenge zu zuͤchtigen/ damit mir GOTT die heimliche
Suͤnd moͤgte nachlaſſen: welcher alle meine gute Wercke durch heylſame
Einſprechungen und innerliche Antrieb vergolien hat/ auff daß dermahlen
eins meine Suͤnd recht beichten koͤnnte. Endlich bin ich in eine ſchwaͤre

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S ſ ſ 3
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[509/0537] Von der Sacramentaliſchen Beicht. wendete ſie ſich zu GOtt/ und ſagte: O mein GOtt und HErr! Wo iſt dein gerechtes Urtheil? Wo iſt deine unendliche Barmhertzigkeit? Wie kan das moͤglich ſeyn/ mein guͤtigſter GOtt/ daß ein ſo ehrbares Leben derge- ſtalt geſtrafft/ und ſo tugendſame Seel ewig verlohren gehe? Ach/ ach/ Herr! wer wird dann koͤnnen ſeelig werden? Uber ſolches Lamentiren hat die ver- ftorbene angefangen/ und geſagt: Nicht Gott/ ſondern ich bin die eintzige Urſach meiner Verdamnuß: mir iſt zu meiner ſelbſt eigenen Verſchaͤhmung/ zur Warnung aber anderer befohlen worden/ den Verlauff meines Ver- brechens folgender Maſſen zu erzehlen. Du weiß wohl/ ſagte ſie/ zu der Matron/ daß ich von Jugend auff den geiſtlichen Buͤchern bin zugethan geweſen: da ich nun einsmals vom Leſen ermuͤdet ware/ lieſſe ich mir durch einer meiner Edel-Knaben/ den ich fuͤr andern liebte/ vorleſen. Da dieſer nun einsmals zu leſen auffhoͤrte/ erſuchte er mich freundlich/ ich moͤgte ihm doch meine Hand zu kuͤſſen reichen/ ſo ich auch thaͤte. Jndem ſelbiger dieſes nachmahlen oͤffters begehrte/ hab ich drey oder viermahl darein ver- williget/ daer dann mit einer ſonderbahren Affection und Liebe meine Hand kuͤſſete/ und dieſelbe laͤnger hielte und truckete; und da er ſahe/ daß ich ſolches gernzulieſſe/ wurde er kuͤhner/ und erſuchte mich auch umb ein mehreres: daß ich alſo mit ihm gefallen bin/ und meine Jungfrauſchafft verlohren hab. Die begangene Suͤnd hab ich ſolcher Geſtalt gebeichtet; Ehrwuͤrdiger. Pa- ter/ ich klage mich an/ daß ich/ weiß nicht was fuͤr einen Willmuth mit einem Edel-Knaben veruͤbet habe: daruͤber iſt ſelbiger uͤber mich hefftig und un- verſtaͤndiglich außgefahren und geſagt: Was iſt das? ſoll eine Koͤnigliche Princeſſin dergleichen thuen? alſo bin beſchaͤmbt worden/ und hab geſagt/ daß ich esnun in den Gedancken gehabt habe. Darauff hat er mir noch un- verſtaͤndiger geantwortet und geſagt; daß ein ſolche Perſohn der gleichen Dinge auch in den Gedancken nicht zulaſſen muͤſſe. Hieruͤber iſt mir der Muth entfallen/ und hab mir vorgenommen/ die begangene Suͤnd zu ver- ſchweigen/ und hab geſagt/ ich haͤtte das nur getraumet; und alſo hab ich die Abſolution vom Beicht- Vatter bekommen/ bin aber von meinen Suͤn- den nicht allein nicht loßgeſprochen worden/ ſondern hab mich wegen der unguͤltigen Beicht noch mit groͤſſern Laſtern beſudlet. Nachmalen hab ich angefangen/ den Armen reichliche Allmoſen mitzutheilen/ und meinen Leib mit groſſer Strenge zu zuͤchtigen/ damit mir GOTT die heimliche Suͤnd moͤgte nachlaſſen: welcher alle meine gute Wercke durch heylſame Einſprechungen und innerliche Antrieb vergolien hat/ auff daß dermahlen eins meine Suͤnd recht beichten koͤnnte. Endlich bin ich in eine ſchwaͤre Kran- S ſ ſ 3

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/537>, abgerufen am 23.05.2024.