Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.Die Sechs und Dreissigste Geistliche Lection Graffen/ da er den Kirch-Hoff vorbey gangen/ zur Tafel beruffen wor-den: und ob er schon nicht habe zugesagt; so wäre er doch umb die vorgestellte Fragen zu beantworten erschienen. Le[o]ntius hört an das Begeh- ren/ und erinnert sich/ nichtohne Grausen deß Todten-Kopffs/ mit dem er nicht lang vorhin geschertzet hatte: befilcht dar auff denen behertzigsten seiner Knechten/ sie sollen den beinernen Gast zum Galgen weisen; andern aber schafft er die Thüren überallzu verriegeln/ im Fall das Ungeheuer Gewalt brauchen würde. Der todte Cörper aber hat alle Rigeln zerbrochen/ und ist dem zu Tisch sitzenden Graffen zugeeilet/ sich an dessen seite begeben/ und den Gästen gesagt/ sie solten die angefangene Tisch-Freuden in aller Fröligkeit fortsetzen; und ob er schon in langer Zeit weder Speiß noch Tranck genom- men habe/ so seye er jedoch nun kommen/ umb sie zum Trincken anzufrischen. Jch bin aber der Meinung/ es werden auff dieses frembden Gastes entsetzli- ches zusprechen wenig Gläser mehr herumb geflogen seyn; indem der grosse Schrecken allen den Appetit und Lust zum Zechen ohne Zweiffel wird be- nommen haben: Es hat sich einer nach dem andern darvon gemacht/ daß also der Graff mit seinem geladenen Knochen-Gast allein an der Tafel verblie- ben/ deme er den Weeg zum Außreissen versperret/ und mit diesen Worten angeredet hat: kennest du mich nicht? Jch bin der jenige/ dessen Kopff du zu- vorn mit Füssen von dir gestossen/ und zu deinem Gastmahl/ umb die gethane Fragen zu beantworten/ citirt hast. Die erste Frag ist: ob die Verstorbene hernach ewig leben werden? Die andere ist/ ob die begangene Sünden von einem Gewalt haäenden Richter gestrafft/ und hergegen die Tugenden be- lohnt werden? Nun bin ich auß Befelch desselbigen göttlichen Richters/ dessen Fürsichtigkeit du unverschämbter Gesell hast außgelacht/ allhier zugegen/ auff daß ich dir zeige/ daß mit dem Todt deß Menschen nicht alles sterbe; sondern daß die Seel ihr Leben in die andere Welt mit sich nehme/ und daselbst oder ewig glückseelig in Frewden/ oder ewig armselig in brennenden Flammen verharren werde. Du solst nun daran nicht zweiffeln/ zumahlen ich dich nicht betriegen mag/ der ich dein Groß-Vat- ter/ und du mein Vetter bist: wir seynd aber/ leider! beyde unglück- seelig: ich hab durch mein sündhafftes Leben verdienet/ daß ich biß hier- zu/ und in alle Ewigkeit brenne/ und doch niemahl (das ich doch wünschen möchte) verbrennen werde: das Fewer ist bey mir unsterblich/ und das Leben kombt zu keinem Abgang: was ich leide/ daß hab ich auß gerechtem Urtheil GOTTES verdienet; und du/
Die Sechs und Dreiſſigſte Geiſtliche Lection Graffen/ da er den Kirch-Hoff vorbey gangen/ zur Tafel beruffen wor-den: und ob er ſchon nicht habe zugeſagt; ſo waͤre er doch umb die vorgeſtellte Fragen zu beantworten erſchienen. Le[o]ntius hoͤrt an das Begeh- ren/ und erinnert ſich/ nichtohne Grauſen deß Todten-Kopffs/ mit dem er nicht lang vorhin geſchertzet hatte: befilcht dar auff denen behertzigſten ſeiner Knechten/ ſie ſollen den beinernen Gaſt zum Galgen weiſen; andern aber ſchafft er die Thuͤren uͤberallzu verriegeln/ im Fall das Ungeheuer Gewalt brauchen wuͤrde. Der todte Coͤrper aber hat alle Rigeln zerbrochen/ und iſt dem zu Tiſch ſitzenden Graffen zugeeilet/ ſich an deſſen ſeite begeben/ und den Gaͤſten geſagt/ ſie ſolten die angefangene Tiſch-Freuden in aller Froͤligkeit fortſetzen; und ob er ſchon in langer Zeit weder Speiß noch Tranck genom- men habe/ ſo ſeye er jedoch nun kommen/ umb ſie zum Trincken anzufriſchen. Jch bin aber der Meinung/ es werden auff dieſes frembden Gaſtes entſetzli- ches zuſprechen wenig Glaͤſer mehr herumb geflogen ſeyn; indem der groſſe Schrecken allen den Appetit und Luſt zum Zechen ohne Zweiffel wird be- nommen haben: Es hat ſich einer nach dem andern darvon gemacht/ daß alſo der Graff mit ſeinem geladenen Knochen-Gaſt allein an der Tafel verblie- ben/ deme er den Weeg zum Außreiſſen verſperret/ und mit dieſen Worten angeredet hat: kenneſt du mich nicht? Jch bin der jenige/ deſſen Kopff du zu- vorn mit Fuͤſſen von dir geſtoſſen/ und zu deinem Gaſtmahl/ umb die gethane Fragen zu beantworten/ citirt haſt. Die erſte Frag iſt: ob die Verſtorbene hernach ewig leben werden? Die andere iſt/ ob die begangene Suͤnden von einem Gewalt haaͤenden Richter geſtrafft/ und hergegen die Tugenden be- lohnt werden? Nun bin ich auß Befelch deſſelbigen goͤttlichen Richters/ deſſen Fuͤrſichtigkeit du unverſchaͤmbter Geſell haſt außgelacht/ allhier zugegen/ auff daß ich dir zeige/ daß mit dem Todt deß Menſchen nicht alles ſterbe; ſondern daß die Seel ihr Leben in die andere Welt mit ſich nehme/ und daſelbſt oder ewig gluͤckſeelig in Frewden/ oder ewig armſelig in brennenden Flammen verharren werde. Du ſolſt nun daran nicht zweiffeln/ zumahlen ich dich nicht betriegen mag/ der ich dein Groß-Vat- ter/ und du mein Vetter biſt: wir ſeynd aber/ leider! beyde ungluͤck- ſeelig: ich hab durch mein ſuͤndhafftes Leben verdienet/ daß ich biß hier- zu/ und in alle Ewigkeit brenne/ und doch niemahl (das ich doch wuͤnſchen moͤchte) verbrennen werde: das Fewer iſt bey mir unſterblich/ und das Leben kombt zu keinem Abgang: was ich leide/ daß hab ich auß gerechtem Urtheil GOTTES verdienet; und du/
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Die Sechs und Dreiſſigſte Geiſtliche Lection
Graffen/ da er den Kirch-Hoff vorbey gangen/ zur Tafel beruffen wor-
den: und ob er ſchon nicht habe zugeſagt; ſo waͤre er doch umb die
vorgeſtellte Fragen zu beantworten erſchienen. Leontius hoͤrt an das Begeh-
ren/ und erinnert ſich/ nichtohne Grauſen deß Todten-Kopffs/ mit dem er
nicht lang vorhin geſchertzet hatte: befilcht dar auff denen behertzigſten ſeiner
Knechten/ ſie ſollen den beinernen Gaſt zum Galgen weiſen; andern aber
ſchafft er die Thuͤren uͤberallzu verriegeln/ im Fall das Ungeheuer Gewalt
brauchen wuͤrde. Der todte Coͤrper aber hat alle Rigeln zerbrochen/ und iſt
dem zu Tiſch ſitzenden Graffen zugeeilet/ ſich an deſſen ſeite begeben/ und den
Gaͤſten geſagt/ ſie ſolten die angefangene Tiſch-Freuden in aller Froͤligkeit
fortſetzen; und ob er ſchon in langer Zeit weder Speiß noch Tranck genom-
men habe/ ſo ſeye er jedoch nun kommen/ umb ſie zum Trincken anzufriſchen.
Jch bin aber der Meinung/ es werden auff dieſes frembden Gaſtes entſetzli-
ches zuſprechen wenig Glaͤſer mehr herumb geflogen ſeyn; indem der groſſe
Schrecken allen den Appetit und Luſt zum Zechen ohne Zweiffel wird be-
nommen haben: Es hat ſich einer nach dem andern darvon gemacht/ daß alſo
der Graff mit ſeinem geladenen Knochen-Gaſt allein an der Tafel verblie-
ben/ deme er den Weeg zum Außreiſſen verſperret/ und mit dieſen Worten
angeredet hat: kenneſt du mich nicht? Jch bin der jenige/ deſſen Kopff du zu-
vorn mit Fuͤſſen von dir geſtoſſen/ und zu deinem Gaſtmahl/ umb die gethane
Fragen zu beantworten/ citirt haſt. Die erſte Frag iſt: ob die Verſtorbene
hernach ewig leben werden? Die andere iſt/ ob die begangene Suͤnden von
einem Gewalt haaͤenden Richter geſtrafft/ und hergegen die Tugenden be-
lohnt werden? Nun bin ich auß Befelch deſſelbigen goͤttlichen Richters/
deſſen Fuͤrſichtigkeit du unverſchaͤmbter Geſell haſt außgelacht/ allhier
zugegen/ auff daß ich dir zeige/ daß mit dem Todt deß Menſchen nicht
alles ſterbe; ſondern daß die Seel ihr Leben in die andere Welt mit ſich
nehme/ und daſelbſt oder ewig gluͤckſeelig in Frewden/ oder ewig armſelig
in brennenden Flammen verharren werde. Du ſolſt nun daran nicht
zweiffeln/ zumahlen ich dich nicht betriegen mag/ der ich dein Groß-Vat-
ter/ und du mein Vetter biſt: wir ſeynd aber/ leider! beyde ungluͤck-
ſeelig: ich hab durch mein ſuͤndhafftes Leben verdienet/ daß ich biß hier-
zu/ und in alle Ewigkeit brenne/ und doch niemahl (das ich doch
wuͤnſchen moͤchte) verbrennen werde: das Fewer iſt bey mir unſterblich/
und das Leben kombt zu keinem Abgang: was ich leide/ daß hab
ich auß gerechtem Urtheil GOTTES verdienet; und
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