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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Neun und Zwantzigste Geistliche Lection
mit dem Maul ergriffen/ und die Seel zum Hinscheiden nöthige
Nach solcher unverhofften Bekändnüß seye er alsbald ohne Buß
gestorben: Einen solchen Todt verdienet die angenommene Heylig-
keit.

10. Auch haben die Gleißner an sich die Natur der Fal-
cken/ so da nach ersehenem Reiger nicht gerad auff selbigen
zu fliegen; sondern thuen dergleichen/ als wann sie von sel-
bigem abweichen und ihn verlassen wollen: nachdem sie aber ver-
mercken/ daß sie durch das neben Außfliehen höher/ als der ge-
mldte Vogel empor gestiegen/ lassen sie sich über denselben herab/
stürtzen ihn zu Bode[m] und tödten ihn. Eben solches thun viele auß den
Gleißnern/ weiche im eusserlichen Schein die Würden und Ehren der
Welt fliehen/ damit sie desto höher steigen/ und grössere Aembter ero-
bern mögen; indem sie nichts also sehr verlangen/ als das jenige/ daß sit
dem Ausehen nach verwerffen und verachten. Wie sehr sich aber solche
selbst betriegen/ und den höllischen Straffen unterwerffen/ lernen wir auß fol-
Zach.
Bour.
1612.
Historia.
gender Histori. Ein Geistlicher auß dem heiligen Capuciner Orden
suchete sich bey den Seinigen/ und sonderbahr bey seinen Oberen
durch eine angenommene Heiligkeit einen. Nahmen zu machen: Er bet-
tete/ wann andere schlieffen/ und ware hierdurch gantz ermüdet/ gleich-
wohl in der Metten mit andern gegenwärtig. Dieserthalben ist er etlich
mahl zu hohen Aembtern und Würden gelanget/ zudenen er heimlichen
Weiß ein grosses Verlangen truge. Aber/ aber/ was ist so verbor-
gen/ daß zu seiner Zeit nicht offenbahret wird? Es truge sich zu/ daß
dieser Geistliche mit einer schwären Kranckheit behafftet wurde: Man
ermahnte ihn zeitlich/ daß er sich mit allen Christlichen Rechten wolle
versehen lassen; derhalben begehrte er einen deren Priestern/ mit dem
er sonderbahre Gemeinschafft gepflogen hatte: Da dieser hinzu kom-
men/ sagte der Krancke an statt der Beicht also: Weilen es umb mei-
ne Seeligkeit verlohren ist/ so will ich nicht beichten; ich bitte dich aber/
du wollest meinen andern Brüdern sagen/ daß ich gebeicht habe. Der
Beichts - Vatter aber gibt ihm zur Antwort/ und sagt: Was soll
das seyn? förthtest du dich dann/ mir dein Gewissen zu entdecken?
Der Krancke widerholet seyn voriges Lied/ und sagt: Was ist es nöthig/
daß ich beichte/ da doch meine Seeligkeit verspielet ist der Beichts-Vatter

lasset

Die Neun und Zwantzigſte Geiſtliche Lection
mit dem Maul ergriffen/ und die Seel zum Hinſcheiden noͤthige
Nach ſolcher unverhofften Bekaͤndnuͤß ſeye er alsbald ohne Buß
geſtorben: Einen ſolchen Todt verdienet die angenommene Heylig-
keit.

10. Auch haben die Gleißner an ſich die Natur der Fal-
cken/ ſo da nach erſehenem Reiger nicht gerad auff ſelbigen
zu fliegen; ſondern thuen dergleichen/ als wann ſie von ſel-
bigem abweichen und ihn verlaſſen wollen: nachdem ſie aber ver-
mercken/ daß ſie durch das neben Außfliehen hoͤher/ als der ge-
mldte Vogel empor geſtiegen/ laſſen ſie ſich uͤber denſelben herab/
ſtuͤrtzen ihn zu Bode[m] und toͤdten ihn. Eben ſolches thun viele auß den
Gleißnern/ weiche im euſſerlichen Schein die Wuͤrden und Ehren der
Welt fliehen/ damit ſie deſto hoͤher ſteigen/ und groͤſſere Aembter ero-
bern moͤgen; indem ſie nichts alſo ſehr verlangen/ als das jenige/ daß ſit
dem Auſehen nach verwerffen und verachten. Wie ſehr ſich aber ſolche
ſelbſt betriegen/ und den hoͤlliſchen Straffen unterwerffen/ lernen wir auß fol-
Zach.
Bour.
1612.
Hiſtoria.
gender Hiſtori. Ein Geiſtlicher auß dem heiligen Capuciner Orden
ſuchete ſich bey den Seinigen/ und ſonderbahr bey ſeinen Oberen
durch eine angenommene Heiligkeit einen. Nahmen zu machen: Er bet-
tete/ wann andere ſchlieffen/ und ware hierdurch gantz ermuͤdet/ gleich-
wohl in der Metten mit andern gegenwaͤrtig. Dieſerthalben iſt er etlich
mahl zu hohen Aembtern und Wuͤrden gelanget/ zudenen er heimlichen
Weiß ein groſſes Verlangen truge. Aber/ aber/ was iſt ſo verbor-
gen/ daß zu ſeiner Zeit nicht offenbahret wird? Es truge ſich zu/ daß
dieſer Geiſtliche mit einer ſchwaͤren Kranckheit behafftet wurde: Man
ermahnte ihn zeitlich/ daß er ſich mit allen Chriſtlichen Rechten wolle
verſehen laſſen; derhalben begehrte er einen deren Prieſtern/ mit dem
er ſonderbahre Gemeinſchafft gepflogen hatte: Da dieſer hinzu kom-
men/ ſagte der Krancke an ſtatt der Beicht alſo: Weilen es umb mei-
ne Seeligkeit verlohren iſt/ ſo will ich nicht beichten; ich bitte dich aber/
du wolleſt meinen andern Bruͤdern ſagen/ daß ich gebeicht habe. Der
Beichts - Vatter aber gibt ihm zur Antwort/ und ſagt: Was ſoll
das ſeyn? foͤrthteſt du dich dann/ mir dein Gewiſſen zu entdecken?
Der Krancke widerholet ſeyn voriges Lied/ und ſagt: Was iſt es noͤthig/
daß ich beichte/ da doch meine Seeligkeit verſpielet iſt der Beichts-Vatter

laſſet
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[372/0400] Die Neun und Zwantzigſte Geiſtliche Lection mit dem Maul ergriffen/ und die Seel zum Hinſcheiden noͤthige Nach ſolcher unverhofften Bekaͤndnuͤß ſeye er alsbald ohne Buß geſtorben: Einen ſolchen Todt verdienet die angenommene Heylig- keit. 10. Auch haben die Gleißner an ſich die Natur der Fal- cken/ ſo da nach erſehenem Reiger nicht gerad auff ſelbigen zu fliegen; ſondern thuen dergleichen/ als wann ſie von ſel- bigem abweichen und ihn verlaſſen wollen: nachdem ſie aber ver- mercken/ daß ſie durch das neben Außfliehen hoͤher/ als der ge- mldte Vogel empor geſtiegen/ laſſen ſie ſich uͤber denſelben herab/ ſtuͤrtzen ihn zu Bodem und toͤdten ihn. Eben ſolches thun viele auß den Gleißnern/ weiche im euſſerlichen Schein die Wuͤrden und Ehren der Welt fliehen/ damit ſie deſto hoͤher ſteigen/ und groͤſſere Aembter ero- bern moͤgen; indem ſie nichts alſo ſehr verlangen/ als das jenige/ daß ſit dem Auſehen nach verwerffen und verachten. Wie ſehr ſich aber ſolche ſelbſt betriegen/ und den hoͤlliſchen Straffen unterwerffen/ lernen wir auß fol- gender Hiſtori. Ein Geiſtlicher auß dem heiligen Capuciner Orden ſuchete ſich bey den Seinigen/ und ſonderbahr bey ſeinen Oberen durch eine angenommene Heiligkeit einen. Nahmen zu machen: Er bet- tete/ wann andere ſchlieffen/ und ware hierdurch gantz ermuͤdet/ gleich- wohl in der Metten mit andern gegenwaͤrtig. Dieſerthalben iſt er etlich mahl zu hohen Aembtern und Wuͤrden gelanget/ zudenen er heimlichen Weiß ein groſſes Verlangen truge. Aber/ aber/ was iſt ſo verbor- gen/ daß zu ſeiner Zeit nicht offenbahret wird? Es truge ſich zu/ daß dieſer Geiſtliche mit einer ſchwaͤren Kranckheit behafftet wurde: Man ermahnte ihn zeitlich/ daß er ſich mit allen Chriſtlichen Rechten wolle verſehen laſſen; derhalben begehrte er einen deren Prieſtern/ mit dem er ſonderbahre Gemeinſchafft gepflogen hatte: Da dieſer hinzu kom- men/ ſagte der Krancke an ſtatt der Beicht alſo: Weilen es umb mei- ne Seeligkeit verlohren iſt/ ſo will ich nicht beichten; ich bitte dich aber/ du wolleſt meinen andern Bruͤdern ſagen/ daß ich gebeicht habe. Der Beichts - Vatter aber gibt ihm zur Antwort/ und ſagt: Was ſoll das ſeyn? foͤrthteſt du dich dann/ mir dein Gewiſſen zu entdecken? Der Krancke widerholet ſeyn voriges Lied/ und ſagt: Was iſt es noͤthig/ daß ich beichte/ da doch meine Seeligkeit verſpielet iſt der Beichts-Vatter laſſet Zach. Bour. 1612. Hiſtoria.

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/400>, abgerufen am 19.05.2024.