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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Von dem Gehorsamb.

20. Wie viele seynd nicht gefunden worden/ so da vermög deß star-
cken Gehorsambs sich in die eusserste Gefahr ihres Lebens gesetzt haben[:]
welche von GOTT in Ansehung dieser herrlichen Tugend wunder-
barlicher Weiß erhalten worden? hat nicht der gehorsame Joannes ein
Jünger deß Abten Pauli; wie im Leben der H. H. Vättern zu lesen ist;In Vit.
P. P.
Historia.

auß Gehorsamb einer wilden Löwin zugenahet/ selbige gebunden/ und
wie ein Lämblein mit sich nach Hauß geführet/ die jedoch viele Menschen
und Viehe vorhin beschädiget hatte? hat nicht die Heil. Euphrasia auff
den Befelch ihrer Vorsteherin so grosse und schwäre Steine/ daß de-
ren einer von Zweyen Schwestern nicht hatte können beweget werden/
von einem Orth zum andern ohne den geringsten Vorschub oder Ent-
schuldigung gantz gern und willig getragen; und von diesem letzteren
Orth wiederumb zum vorigen ohne einiges menschliches Zuthun auff ih-
ren Achselen gebracht? Wer hat aber anders dieser Jungfrauen solche
ungemeine Stärcke verliehen/ als der starcke und standhafftige Gehor-
samb? Ein ander hat einen dürren und vertruckneten Stecken zwey gantzer
Jahr lang auß Gehorsamb befeuchtiget in Hoffnung daß er grünen solte/
und siche/ im dritten Jahr hat der standhafftige Gehorsamb dem ver-
dürreten Stock die verlangte Grüne dermassen ertheilet/ daß er zu einem
Baum erwachsen/ und von vielen Nachkömmlingen ein sehr geraume
Zeit mit Verwunderung gesehen worden. Unzahlbare andere Beyspiel
deß standhafftigen Gehorsambs könnten dir/ mein Christliche Seel/
beygebracht werden/ wann nicht dich und mich die verdrießliche Weit-
lauffigkeit abschrecken wurde/ dieß muß ich dich bitten/ daß du nemblich mit
dem Gott-seeligen Abten Nestorio dir offtmal von Hertzen zusprechest: Jch
und der Esel/ wir seynd eins/ was man ihm auffle-
get/ das tragt er ohne Verweilung.

21. Damit du aber den rechten Weeg deß Gehorsambs nicht verfeh-
lest/ so mustu diese Stuck zu deinen mehrern Versicherung wohl be-
hertzigen. Erstlich ists ins gemein darfür zu halten/ daß ein Un-
terthan seiner Obrigkeit zu gehorchen schuldig seye/ nicht allein/ wann
er billige Sachen vorschreibet; sondern auch/ wann er solche Ding
zu verrichten befehlet/ daran gezweifflet wird/ ob sie gut oder böß
seyen; dieweilen man in solchem Zweiffel schliessen muß/ daß der
Obere keine böse/ sondern vielmhr ein gute Sach seinem Un-
tergebenem aufftrage; zumahlen die Obrigkeit in der Possession oder

Be-
Von dem Gehorſamb.

20. Wie viele ſeynd nicht gefunden worden/ ſo da vermoͤg deß ſtar-
cken Gehorſambs ſich in die euſſerſte Gefahr ihres Lebens geſetzt haben[:]
welche von GOTT in Anſehung dieſer herrlichen Tugend wunder-
barlicher Weiß erhalten worden? hat nicht der gehorſame Joannes ein
Juͤnger deß Abten Pauli; wie im Leben der H. H. Vaͤttern zu leſen iſt;In Vit.
P. P.
Hiſtoria.

auß Gehorſamb einer wilden Loͤwin zugenahet/ ſelbige gebunden/ und
wie ein Laͤmblein mit ſich nach Hauß gefuͤhret/ die jedoch viele Menſchen
und Viehe vorhin beſchaͤdiget hatte? hat nicht die Heil. Euphraſia auff
den Befelch ihrer Vorſteherin ſo groſſe und ſchwaͤre Steine/ daß de-
ren einer von Zweyen Schweſtern nicht hatte koͤnnen beweget werden/
von einem Orth zum andern ohne den geringſten Vorſchub oder Ent-
ſchuldigung gantz gern und willig getragen; und von dieſem letzteren
Orth wiederumb zum vorigen ohne einiges menſchliches Zuthun auff ih-
ren Achſelen gebracht? Wer hat aber anders dieſer Jungfrauen ſolche
ungemeine Staͤrcke verliehen/ als der ſtarcke und ſtandhafftige Gehor-
ſamb? Ein ander hat einen duͤrren und vertruckneten Stecken zwey gantzer
Jahr lang auß Gehorſamb befeuchtiget in Hoffnung daß er gruͤnen ſolte/
und ſiche/ im dritten Jahr hat der ſtandhafftige Gehorſamb dem ver-
duͤrreten Stock die verlangte Gruͤne dermaſſen ertheilet/ daß er zu einem
Baum erwachſen/ und von vielen Nachkoͤmmlingen ein ſehr geraume
Zeit mit Verwunderung geſehen worden. Unzahlbare andere Beyſpiel
deß ſtandhafftigen Gehorſambs koͤnnten dir/ mein Chriſtliche Seel/
beygebracht werden/ wann nicht dich und mich die verdrießliche Weit-
lauffigkeit abſchrecken wurde/ dieß muß ich dich bitten/ daß du nemblich mit
dem Gott-ſeeligen Abten Neſtorio dir offtmal von Hertzen zuſprecheſt: Jch
und der Eſel/ wir ſeynd eins/ was man ihm auffle-
get/ das tragt er ohne Verweilung.

21. Damit du aber den rechten Weeg deß Gehorſambs nicht verfeh-
leſt/ ſo muſtu dieſe Stuck zu deinen mehrern Verſicherung wohl be-
hertzigen. Erſtlich iſts ins gemein darfuͤr zu halten/ daß ein Un-
terthan ſeiner Obrigkeit zu gehorchen ſchuldig ſeye/ nicht allein/ wann
er billige Sachen vorſchreibet; ſondern auch/ wann er ſolche Ding
zu verrichten befehlet/ daran gezweifflet wird/ ob ſie gut oder boͤß
ſeyen; dieweilen man in ſolchem Zweiffel ſchlieſſen muß/ daß der
Obere keine boͤſe/ ſondern vielmhr ein gute Sach ſeinem Un-
tergebenem aufftrage; zumahlen die Obrigkeit in der Poſſeſſion oder

Be-
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[263/0291] Von dem Gehorſamb. 20. Wie viele ſeynd nicht gefunden worden/ ſo da vermoͤg deß ſtar- cken Gehorſambs ſich in die euſſerſte Gefahr ihres Lebens geſetzt haben: welche von GOTT in Anſehung dieſer herrlichen Tugend wunder- barlicher Weiß erhalten worden? hat nicht der gehorſame Joannes ein Juͤnger deß Abten Pauli; wie im Leben der H. H. Vaͤttern zu leſen iſt; auß Gehorſamb einer wilden Loͤwin zugenahet/ ſelbige gebunden/ und wie ein Laͤmblein mit ſich nach Hauß gefuͤhret/ die jedoch viele Menſchen und Viehe vorhin beſchaͤdiget hatte? hat nicht die Heil. Euphraſia auff den Befelch ihrer Vorſteherin ſo groſſe und ſchwaͤre Steine/ daß de- ren einer von Zweyen Schweſtern nicht hatte koͤnnen beweget werden/ von einem Orth zum andern ohne den geringſten Vorſchub oder Ent- ſchuldigung gantz gern und willig getragen; und von dieſem letzteren Orth wiederumb zum vorigen ohne einiges menſchliches Zuthun auff ih- ren Achſelen gebracht? Wer hat aber anders dieſer Jungfrauen ſolche ungemeine Staͤrcke verliehen/ als der ſtarcke und ſtandhafftige Gehor- ſamb? Ein ander hat einen duͤrren und vertruckneten Stecken zwey gantzer Jahr lang auß Gehorſamb befeuchtiget in Hoffnung daß er gruͤnen ſolte/ und ſiche/ im dritten Jahr hat der ſtandhafftige Gehorſamb dem ver- duͤrreten Stock die verlangte Gruͤne dermaſſen ertheilet/ daß er zu einem Baum erwachſen/ und von vielen Nachkoͤmmlingen ein ſehr geraume Zeit mit Verwunderung geſehen worden. Unzahlbare andere Beyſpiel deß ſtandhafftigen Gehorſambs koͤnnten dir/ mein Chriſtliche Seel/ beygebracht werden/ wann nicht dich und mich die verdrießliche Weit- lauffigkeit abſchrecken wurde/ dieß muß ich dich bitten/ daß du nemblich mit dem Gott-ſeeligen Abten Neſtorio dir offtmal von Hertzen zuſprecheſt: Jch und der Eſel/ wir ſeynd eins/ was man ihm auffle- get/ das tragt er ohne Verweilung. In Vit. P. P. Hiſtoria. 21. Damit du aber den rechten Weeg deß Gehorſambs nicht verfeh- leſt/ ſo muſtu dieſe Stuck zu deinen mehrern Verſicherung wohl be- hertzigen. Erſtlich iſts ins gemein darfuͤr zu halten/ daß ein Un- terthan ſeiner Obrigkeit zu gehorchen ſchuldig ſeye/ nicht allein/ wann er billige Sachen vorſchreibet; ſondern auch/ wann er ſolche Ding zu verrichten befehlet/ daran gezweifflet wird/ ob ſie gut oder boͤß ſeyen; dieweilen man in ſolchem Zweiffel ſchlieſſen muß/ daß der Obere keine boͤſe/ ſondern vielmhr ein gute Sach ſeinem Un- tergebenem aufftrage; zumahlen die Obrigkeit in der Poſſeſſion oder Be-

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/291>, abgerufen am 24.11.2024.