Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

Bild:
<< vorherige Seite
Von dem Gehorsamb.

9. Jn allem unserm Handel und Wandel solten wir billig von hinden
und vorn mit Augen versehen seyn: in dem Gehorsamb aber allein wird ei-
ne Blindheit erfordert. Ach wie viele falsche Brüder und Schwester seynd/
welche ihre Augen nicht auff den Befelch/ sondern auff den Befehlenden
schlagen/ wann ihnen dieses oder jenes geschaffet wird! und wann derselbi-
ge seine menschliche Fehler und Unvollkommenheiten an sich hat/ sagt man:
H[o]c autem quid? Was soll der? Nun höre du was dir ChristusJoan. 21.
sagt: Qnidadte? tu me sequere: Was gehet das dich an? fol-
ge du mir nach.
Andere murren bey sich selbsten/ und beklagen sich
gleichsamb/ daß ihnen die Obrigkeit allzuschweren Last aufflege/ den sie doch
selbst nicht mit einem Finger anrühret. Denen sagt ehenfals der Göttliche
Heyland: Auff dem Stuhl Moysi sitzen die Schrifft-Ge-Matt. 23.
v.
2.

lehrten und Pharisäer: derwegen haltet und thuet alles/
was sie euch sagen: aber nach ihren Wercken sollet ihr
nicht thuen.
Was hat uns Christus durch diese Warnung anders be-
deuten wollen/ als das wir nicht allein den guten/ sondern auch den bosen
Obern gehorchen sollen? Wer aber dieses vernachlässiget/ der kan seinem
GOtt keines Weegs gefallen; dieweil er nicht so sehr seine Obrigkeit/
als GOtt selbsten verachtet. Wie schlimmer und unbescheidener der Vor-
steher oder Vorsteherin ist; wie gedültiger und gehorsamer der Unterthan
seyn muß. Wie unerfahrner und ungesehickter ist der Bart-Scherer/ wie
stiller und unbeweglicher sich einer auch zu verhalten hat/ wann er mit dem
Schermesser nicht will verletzet werden. Wie weniger die Obrigkeit mit
Vernunfft versehen ist; wie mehr der Untergebene der Ruhe und Gehorsambs
sich befleissen muß/ damit er desselben Ehr nicht schmälere: wie der H. Pe-
trus mit diesen Worten uns lehret: Jhr Knecht/ seyd den1. Pet. 2. v.
18.

Herren mit aller Forcht unterthan; nicht allein den gu-
ten und bescheidenen/ sondern auch den Vngeschlachten.

Wann man den guten allein zu gehorchen hätte/ so wäre die Gewalt oder
Gerechtigkeit der Kirchen ein ungewisse Sach; indem wir nicht wissen/
wer gut oder böß seye; und also wüsten wir nicht/ wem wir gehorsamen
solten/ oder wer der rechte Vorsteher oder Vorstcherin seye: dar auß dan sicher
ein Babylonische Verwirrung entstehen dörffte. Wann man einem
Bösen zu gehorchen nicht schuldig wäre; so würde die Gerechtigkeit der
Kirchen keinen Bestand haben; dann der anjetzo gut ist/ kan über eine
Stund boß seyn. Kan nicht ein abscheulicher Mahler ein sehr schöne
Bildnuß entwerffen/ so wegen deß Mahlers Abscheuligkeit an ihrem

Werth
J i 3
Von dem Gehorſamb.

9. Jn allem unſerm Handel und Wandel ſolten wir billig von hinden
und vorn mit Augen verſehen ſeyn: in dem Gehorſamb aber allein wird ei-
ne Blindheit erfordert. Ach wie viele falſche Bruͤder und Schweſter ſeynd/
welche ihre Augen nicht auff den Befelch/ ſondern auff den Befehlenden
ſchlagen/ wann ihnen dieſes oder jenes geſchaffet wird! und wann derſelbi-
ge ſeine menſchliche Fehler und Unvollkommenheiten an ſich hat/ ſagt man:
H[o]c autem quid? Was ſoll der? Nun hoͤre du was dir ChriſtusJoan. 21.
ſagt: Qnidadte? tu me ſequere: Was gehet das dich an? fol-
ge du mir nach.
Andere murren bey ſich ſelbſten/ und beklagen ſich
gleichſamb/ daß ihnen die Obrigkeit allzuſchweren Laſt aufflege/ den ſie doch
ſelbſt nicht mit einem Finger anruͤhret. Denen ſagt ehenfals der Goͤttliche
Heyland: Auff dem Stuhl Moyſi ſitzen die Schrifft-Ge-Matt. 23.
v.
2.

lehrten und Phariſaͤer: derwegen haltet und thuet alles/
was ſie euch ſagen: aber nach ihren Wercken ſollet ihr
nicht thuen.
Was hat uns Chriſtus durch dieſe Warnung anders be-
deuten wollen/ als das wir nicht allein den guten/ ſondern auch den boſen
Obern gehorchen ſollen? Wer aber dieſes vernachlaͤſſiget/ der kan ſeinem
GOtt keines Weegs gefallen; dieweil er nicht ſo ſehr ſeine Obrigkeit/
als GOtt ſelbſten verachtet. Wie ſchlimmer und unbeſcheidener der Vor-
ſteher oder Vorſteherin iſt; wie geduͤltiger und gehorſamer der Unterthan
ſeyn muß. Wie unerfahrner und ungeſehickter iſt der Bart-Scherer/ wie
ſtiller und unbeweglicher ſich einer auch zu verhalten hat/ wann er mit dem
Schermeſſer nicht will verletzet werden. Wie weniger die Obrigkeit mit
Vernunfft verſehen iſt; wie mehr der Untergebene der Ruhe und Gehorſambs
ſich befleiſſen muß/ damit er deſſelben Ehr nicht ſchmaͤlere: wie der H. Pe-
trus mit dieſen Worten uns lehret: Jhr Knecht/ ſeyd den1. Pet. 2. v.
18.

Herren mit aller Forcht unterthan; nicht allein den gu-
ten und beſcheidenen/ ſondern auch den Vngeſchlachten.

Wann man den guten allein zu gehorchen haͤtte/ ſo waͤre die Gewalt oder
Gerechtigkeit der Kirchen ein ungewiſſe Sach; indem wir nicht wiſſen/
wer gut oder boͤß ſeye; und alſo wuͤſten wir nicht/ wem wir gehorſamen
ſolten/ oder wer der rechte Vorſteher oder Vorſtcherin ſeye: dar auß dan ſicher
ein Babyloniſche Verwirrung entſtehen doͤrffte. Wann man einem
Boͤſen zu gehorchen nicht ſchuldig waͤre; ſo wuͤrde die Gerechtigkeit der
Kirchen keinen Beſtand haben; dann der anjetzo gut iſt/ kan uͤber eine
Stund boß ſeyn. Kan nicht ein abſcheulicher Mahler ein ſehr ſchoͤne
Bildnuß entwerffen/ ſo wegen deß Mahlers Abſcheuligkeit an ihrem

Werth
J i 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0281" n="253"/>
          <fw place="top" type="header">Von dem Gehor&#x017F;amb.</fw><lb/>
          <p>9. Jn allem un&#x017F;erm Handel und Wandel &#x017F;olten wir billig von hinden<lb/>
und vorn mit Augen ver&#x017F;ehen &#x017F;eyn: in dem Gehor&#x017F;amb aber allein wird ei-<lb/>
ne Blindheit erfordert. Ach wie viele fal&#x017F;che Bru&#x0364;der und Schwe&#x017F;ter &#x017F;eynd/<lb/>
welche ihre Augen nicht auff den Befelch/ &#x017F;ondern auff den Befehlenden<lb/>
&#x017F;chlagen/ wann ihnen die&#x017F;es oder jenes ge&#x017F;chaffet wird! und wann der&#x017F;elbi-<lb/>
ge &#x017F;eine men&#x017F;chliche Fehler und Unvollkommenheiten an &#x017F;ich hat/ &#x017F;agt man:<lb/><hi rendition="#aq">H<supplied>o</supplied>c autem quid?</hi> <hi rendition="#fr">Was &#x017F;oll der?</hi> Nun ho&#x0364;re du was dir Chri&#x017F;tus<note place="right"><hi rendition="#aq">Joan.</hi> 21.</note><lb/>
&#x017F;agt: <hi rendition="#aq">Qnidadte? tu me &#x017F;equere:</hi> <hi rendition="#fr">Was gehet das dich an? fol-<lb/>
ge du mir nach.</hi> Andere murren bey &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;ten/ und beklagen &#x017F;ich<lb/>
gleich&#x017F;amb/ daß ihnen die Obrigkeit allzu&#x017F;chweren La&#x017F;t aufflege/ den &#x017F;ie doch<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t nicht mit einem Finger anru&#x0364;hret. Denen &#x017F;agt ehenfals der Go&#x0364;ttliche<lb/>
Heyland: <hi rendition="#fr">Auff dem Stuhl Moy&#x017F;i &#x017F;itzen die Schrifft-Ge-</hi><note place="right"><hi rendition="#aq">Matt. 23.<lb/>
v.</hi> 2.</note><lb/><hi rendition="#fr">lehrten und Phari&#x017F;a&#x0364;er: derwegen haltet und thuet alles/<lb/>
was &#x017F;ie euch &#x017F;agen: aber nach ihren Wercken &#x017F;ollet ihr<lb/>
nicht thuen.</hi> Was hat uns Chri&#x017F;tus durch die&#x017F;e Warnung anders be-<lb/>
deuten wollen/ als das wir nicht allein den guten/ &#x017F;ondern auch den bo&#x017F;en<lb/>
Obern gehorchen &#x017F;ollen? Wer aber die&#x017F;es vernachla&#x0364;&#x017F;&#x017F;iget/ der kan &#x017F;einem<lb/>
GOtt keines Weegs gefallen; dieweil er nicht &#x017F;o &#x017F;ehr &#x017F;eine Obrigkeit/<lb/>
als GOtt &#x017F;elb&#x017F;ten verachtet. Wie &#x017F;chlimmer und unbe&#x017F;cheidener der Vor-<lb/>
&#x017F;teher oder Vor&#x017F;teherin i&#x017F;t; wie gedu&#x0364;ltiger und gehor&#x017F;amer der Unterthan<lb/>
&#x017F;eyn muß. Wie unerfahrner und unge&#x017F;ehickter i&#x017F;t der Bart-Scherer/ wie<lb/>
&#x017F;tiller und unbeweglicher &#x017F;ich einer auch zu verhalten hat/ wann er mit dem<lb/>
Scherme&#x017F;&#x017F;er nicht will verletzet werden. Wie weniger die Obrigkeit mit<lb/>
Vernunfft ver&#x017F;ehen i&#x017F;t; wie mehr der Untergebene der Ruhe und Gehor&#x017F;ambs<lb/>
&#x017F;ich beflei&#x017F;&#x017F;en muß/ damit er de&#x017F;&#x017F;elben Ehr nicht &#x017F;chma&#x0364;lere: wie der H. Pe-<lb/>
trus mit die&#x017F;en Worten uns lehret: <hi rendition="#fr">Jhr Knecht/ &#x017F;eyd den</hi><note place="right">1. <hi rendition="#aq">Pet. 2. v.</hi><lb/>
18.</note><lb/><hi rendition="#fr">Herren mit aller Forcht unterthan; nicht allein den gu-<lb/>
ten und be&#x017F;cheidenen/ &#x017F;ondern auch den Vnge&#x017F;chlachten.</hi><lb/>
Wann man den guten allein zu gehorchen ha&#x0364;tte/ &#x017F;o wa&#x0364;re die Gewalt oder<lb/>
Gerechtigkeit der Kirchen ein ungewi&#x017F;&#x017F;e Sach; indem wir nicht wi&#x017F;&#x017F;en/<lb/>
wer gut oder bo&#x0364;ß &#x017F;eye; und al&#x017F;o wu&#x0364;&#x017F;ten wir nicht/ wem wir gehor&#x017F;amen<lb/>
&#x017F;olten/ oder wer der rechte Vor&#x017F;teher oder <hi rendition="#fr">V</hi>or&#x017F;tcherin &#x017F;eye: dar auß dan &#x017F;icher<lb/>
ein Babyloni&#x017F;che <hi rendition="#fr">V</hi>erwirrung ent&#x017F;tehen do&#x0364;rffte. Wann man einem<lb/>
Bo&#x0364;&#x017F;en zu gehorchen nicht &#x017F;chuldig wa&#x0364;re; &#x017F;o wu&#x0364;rde die Gerechtigkeit der<lb/>
Kirchen keinen Be&#x017F;tand haben; dann der anjetzo gut i&#x017F;t/ kan u&#x0364;ber eine<lb/>
Stund boß &#x017F;eyn. Kan nicht ein ab&#x017F;cheulicher Mahler ein &#x017F;ehr &#x017F;cho&#x0364;ne<lb/>
Bildnuß entwerffen/ &#x017F;o wegen deß Mahlers Ab&#x017F;cheuligkeit an ihrem<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J i 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Werth</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[253/0281] Von dem Gehorſamb. 9. Jn allem unſerm Handel und Wandel ſolten wir billig von hinden und vorn mit Augen verſehen ſeyn: in dem Gehorſamb aber allein wird ei- ne Blindheit erfordert. Ach wie viele falſche Bruͤder und Schweſter ſeynd/ welche ihre Augen nicht auff den Befelch/ ſondern auff den Befehlenden ſchlagen/ wann ihnen dieſes oder jenes geſchaffet wird! und wann derſelbi- ge ſeine menſchliche Fehler und Unvollkommenheiten an ſich hat/ ſagt man: Hoc autem quid? Was ſoll der? Nun hoͤre du was dir Chriſtus ſagt: Qnidadte? tu me ſequere: Was gehet das dich an? fol- ge du mir nach. Andere murren bey ſich ſelbſten/ und beklagen ſich gleichſamb/ daß ihnen die Obrigkeit allzuſchweren Laſt aufflege/ den ſie doch ſelbſt nicht mit einem Finger anruͤhret. Denen ſagt ehenfals der Goͤttliche Heyland: Auff dem Stuhl Moyſi ſitzen die Schrifft-Ge- lehrten und Phariſaͤer: derwegen haltet und thuet alles/ was ſie euch ſagen: aber nach ihren Wercken ſollet ihr nicht thuen. Was hat uns Chriſtus durch dieſe Warnung anders be- deuten wollen/ als das wir nicht allein den guten/ ſondern auch den boſen Obern gehorchen ſollen? Wer aber dieſes vernachlaͤſſiget/ der kan ſeinem GOtt keines Weegs gefallen; dieweil er nicht ſo ſehr ſeine Obrigkeit/ als GOtt ſelbſten verachtet. Wie ſchlimmer und unbeſcheidener der Vor- ſteher oder Vorſteherin iſt; wie geduͤltiger und gehorſamer der Unterthan ſeyn muß. Wie unerfahrner und ungeſehickter iſt der Bart-Scherer/ wie ſtiller und unbeweglicher ſich einer auch zu verhalten hat/ wann er mit dem Schermeſſer nicht will verletzet werden. Wie weniger die Obrigkeit mit Vernunfft verſehen iſt; wie mehr der Untergebene der Ruhe und Gehorſambs ſich befleiſſen muß/ damit er deſſelben Ehr nicht ſchmaͤlere: wie der H. Pe- trus mit dieſen Worten uns lehret: Jhr Knecht/ ſeyd den Herren mit aller Forcht unterthan; nicht allein den gu- ten und beſcheidenen/ ſondern auch den Vngeſchlachten. Wann man den guten allein zu gehorchen haͤtte/ ſo waͤre die Gewalt oder Gerechtigkeit der Kirchen ein ungewiſſe Sach; indem wir nicht wiſſen/ wer gut oder boͤß ſeye; und alſo wuͤſten wir nicht/ wem wir gehorſamen ſolten/ oder wer der rechte Vorſteher oder Vorſtcherin ſeye: dar auß dan ſicher ein Babyloniſche Verwirrung entſtehen doͤrffte. Wann man einem Boͤſen zu gehorchen nicht ſchuldig waͤre; ſo wuͤrde die Gerechtigkeit der Kirchen keinen Beſtand haben; dann der anjetzo gut iſt/ kan uͤber eine Stund boß ſeyn. Kan nicht ein abſcheulicher Mahler ein ſehr ſchoͤne Bildnuß entwerffen/ ſo wegen deß Mahlers Abſcheuligkeit an ihrem Werth Joan. 21. Matt. 23. v. 2. 1. Pet. 2. v. 18. J i 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/281
Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/281>, abgerufen am 24.11.2024.