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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Zwölffte Geistliche Lection

11. Ein anders Mittel gibt uns der H. Abt Jsidorus an die Hand: wel-
Vit. P. P.cher in allen Anfechtungen von dem Hochmuth/ sich selbsten pflegte mit
diesen Worten anzureden: Du bist ja nicht an Verdiensten gleich dem
Climac.
in Scal.
Coel.
grossen Antonio/ oder dem Abten Pambo/ oder andern Einsidlern; was
bildestu dir dann ein Jsidore? mit diesen Waffen hat er allzeit seinen Feind
geschlagen. Mit gleichem Fund hat ein ander standhäfftige Ritter Christi
die Hoffart vernichtiget/ welcher mit grossem und nützlichem Fortgang/ der
Tugenden sich beflisse/ derhalben die unreine Geister denselben durch den
Saamen der Hoffart zu hemmen sich bemüheten: er aber suchte derselben
Schalckheit Vermög eines geistlichen Listes zu hintertreiben. Er schrie-
be an die Mauren seiner Cellen die allerhöchste und vollkommenste Nahmen
der Tugenden; als nemblich die allervollkommneste Lieb/ die aller tieffe-
ste und niedrigste Demuth/ das allerreineste Gebett/ die Englische Keusch-
heit/ und andere Tugenden. So offt nun die hoffärtige Gedancken ihn
zu erheben anfingen/ so sagte er zu ihnen: kombt/ meine Gedancken/ lasset uns
die Vorschrifft beschauen; wir wollen unser Argument übersehen; da er
dann zu der Schrifft kame/ und lesete: Die allervollkommenste
Lieb.
Sprach er sich selbsten zu: wie weit bistu noch von solcher Lieb/
der du noch öffters von der Faulheit deinem Nächsten zu dienen/ und von
dem Verdruß über desselben unvollkommenheiten angefochten werdest.
Hastu villeicht das allerreineste Gebett? zumaln nicht: das bezeugen gnugsam
die vielfältige ungebürliche Gedancken in demselben. Der Englischen Keusch-
heit kanstu dich auch nicht rühmen/ dieweiln die unreine Einbildungen und
brennende Stachelen deß Fleisches fast immer plagen. Und also antworte-
te er sich selbsten in Ubersehung aller angezeichneten Tugenden: nach die-
sem allem beschlosse er seine Reden mit diesen güldenen Worten: Du must
wissen/ mein lieber Bruder/ daß/ wann du alle diese Tugenden vollkom-
mentlich erworben hast; dennoch seyest ein unnützer Knecht/ dieweiln du ge-
than hast/ was du zu thun schuldig warest. Solcher massen hat dieser
fromme Geistliche seine Feind überwunden. Jch zweiffle nicht/ mein
Christliche Seel/ das diese vorgeschriebene Artzney die pistilentzialische
Seugte der Hoffart zu vertreiben bestand seye/ derhalben will ich dich länger
nicht auffhalten. Nehme du vor lieb das Wenige/ damit dich fähig
machest zu begreiffen das Viele und Grössere.

Die
Die Zwoͤlffte Geiſtliche Lection

11. Ein anders Mittel gibt uns der H. Abt Jſidorus an die Hand: wel-
Vit. P. P.cher in allen Anfechtungen von dem Hochmuth/ ſich ſelbſten pflegte mit
dieſen Worten anzureden: Du biſt ja nicht an Verdienſten gleich dem
Climac.
in Scal.
Cœl.
groſſen Antonio/ oder dem Abten Pambo/ oder andern Einſidlern; was
bildeſtu dir dann ein Jſidore? mit dieſen Waffen hat er allzeit ſeinen Feind
geſchlagen. Mit gleichem Fund hat ein ander ſtandhaͤfftige Ritter Chriſti
die Hoffart vernichtiget/ welcher mit groſſem und nuͤtzlichem Fortgang/ der
Tugenden ſich befliſſe/ derhalben die unreine Geiſter denſelben durch den
Saamen der Hoffart zu hemmen ſich bemuͤheten: er aber ſuchte derſelben
Schalckheit Vermoͤg eines geiſtlichen Liſtes zu hintertreiben. Er ſchrie-
be an die Mauren ſeiner Cellen die allerhoͤchſte und vollkommenſte Nahmen
der Tugenden; als nemblich die allervollkommneſte Lieb/ die aller tieffe-
ſte und niedrigſte Demuth/ das allerreineſte Gebett/ die Engliſche Keuſch-
heit/ und andere Tugenden. So offt nun die hoffaͤrtige Gedancken ihn
zu erheben anfingen/ ſo ſagte er zu ihnen: kombt/ meine Gedancken/ laſſet uns
die Vorſchrifft beſchauen; wir wollen unſer Argument uͤberſehen; da er
dann zu der Schrifft kame/ und leſete: Die allervollkommenſte
Lieb.
Sprach er ſich ſelbſten zu: wie weit biſtu noch von ſolcher Lieb/
der du noch oͤffters von der Faulheit deinem Naͤchſten zu dienen/ und von
dem Verdruß uͤber deſſelben unvollkommenheiten angefochten werdeſt.
Haſtu villeicht das allerreineſte Gebett? zumaln nicht: das bezeugen gnugſam
die vielfaͤltige ungebuͤrliche Gedancken in demſelben. Der Engliſchen Keuſch-
heit kanſtu dich auch nicht ruͤhmen/ dieweiln die unreine Einbildungen und
brennende Stachelen deß Fleiſches faſt immer plagen. Und alſo antworte-
te er ſich ſelbſten in Uberſehung aller angezeichneten Tugenden: nach die-
ſem allem beſchloſſe er ſeine Reden mit dieſen guͤldenen Worten: Du muſt
wiſſen/ mein lieber Bruder/ daß/ wann du alle dieſe Tugenden vollkom-
mentlich erworben haſt; dennoch ſeyeſt ein unnuͤtzer Knecht/ dieweiln du ge-
than haſt/ was du zu thun ſchuldig wareſt. Solcher maſſen hat dieſer
fromme Geiſtliche ſeine Feind uͤberwunden. Jch zweiffle nicht/ mein
Chriſtliche Seel/ das dieſe vorgeſchriebene Artzney die piſtilentzialiſche
Seugte der Hoffart zu vertreiben beſtand ſeye/ derhalben will ich dich laͤnger
nicht auffhalten. Nehme du vor lieb das Wenige/ damit dich faͤhig
macheſt zu begreiffen das Viele und Groͤſſere.

Die
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[142/0170] Die Zwoͤlffte Geiſtliche Lection 11. Ein anders Mittel gibt uns der H. Abt Jſidorus an die Hand: wel- cher in allen Anfechtungen von dem Hochmuth/ ſich ſelbſten pflegte mit dieſen Worten anzureden: Du biſt ja nicht an Verdienſten gleich dem groſſen Antonio/ oder dem Abten Pambo/ oder andern Einſidlern; was bildeſtu dir dann ein Jſidore? mit dieſen Waffen hat er allzeit ſeinen Feind geſchlagen. Mit gleichem Fund hat ein ander ſtandhaͤfftige Ritter Chriſti die Hoffart vernichtiget/ welcher mit groſſem und nuͤtzlichem Fortgang/ der Tugenden ſich befliſſe/ derhalben die unreine Geiſter denſelben durch den Saamen der Hoffart zu hemmen ſich bemuͤheten: er aber ſuchte derſelben Schalckheit Vermoͤg eines geiſtlichen Liſtes zu hintertreiben. Er ſchrie- be an die Mauren ſeiner Cellen die allerhoͤchſte und vollkommenſte Nahmen der Tugenden; als nemblich die allervollkommneſte Lieb/ die aller tieffe- ſte und niedrigſte Demuth/ das allerreineſte Gebett/ die Engliſche Keuſch- heit/ und andere Tugenden. So offt nun die hoffaͤrtige Gedancken ihn zu erheben anfingen/ ſo ſagte er zu ihnen: kombt/ meine Gedancken/ laſſet uns die Vorſchrifft beſchauen; wir wollen unſer Argument uͤberſehen; da er dann zu der Schrifft kame/ und leſete: Die allervollkommenſte Lieb. Sprach er ſich ſelbſten zu: wie weit biſtu noch von ſolcher Lieb/ der du noch oͤffters von der Faulheit deinem Naͤchſten zu dienen/ und von dem Verdruß uͤber deſſelben unvollkommenheiten angefochten werdeſt. Haſtu villeicht das allerreineſte Gebett? zumaln nicht: das bezeugen gnugſam die vielfaͤltige ungebuͤrliche Gedancken in demſelben. Der Engliſchen Keuſch- heit kanſtu dich auch nicht ruͤhmen/ dieweiln die unreine Einbildungen und brennende Stachelen deß Fleiſches faſt immer plagen. Und alſo antworte- te er ſich ſelbſten in Uberſehung aller angezeichneten Tugenden: nach die- ſem allem beſchloſſe er ſeine Reden mit dieſen guͤldenen Worten: Du muſt wiſſen/ mein lieber Bruder/ daß/ wann du alle dieſe Tugenden vollkom- mentlich erworben haſt; dennoch ſeyeſt ein unnuͤtzer Knecht/ dieweiln du ge- than haſt/ was du zu thun ſchuldig wareſt. Solcher maſſen hat dieſer fromme Geiſtliche ſeine Feind uͤberwunden. Jch zweiffle nicht/ mein Chriſtliche Seel/ das dieſe vorgeſchriebene Artzney die piſtilentzialiſche Seugte der Hoffart zu vertreiben beſtand ſeye/ derhalben will ich dich laͤnger nicht auffhalten. Nehme du vor lieb das Wenige/ damit dich faͤhig macheſt zu begreiffen das Viele und Groͤſſere. Vit. P. P. Climac. in Scal. Cœl. Die

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/170>, abgerufen am 26.04.2024.